Harburg. Neue Fischtreppe am Karnapp-Wehr soll Gewässer mitten in Harburg aufwerten. Warum sich die Stadt das viel Geld kosten lässt.

Beim Blick auf den Seevekanal vor dem Phoenix-Center Harburg wirkt das Gewässer unspektakulär. Doch der anno 1540 erbaute Kanal entwickelt sich allmählich zu einem „richtigen“ Gewässer: In ihm tummeln sich Flussbarsche, Bachforellen, Bachneunaugen, Aale, Meerforellen. Insgesamt 18 Fischarten. Viele steigen von der Elbe zu ihren Laichgebieten in der Seeve auf. Um ihnen den Einstieg in den Zubringerkanal zu erleichtern, wird jetzt im Binnenhafen, am Karnapp-Wehr, eine neue Fischtreppe gebaut.

„Der Seevekanal stellt in Hamburg eine der großen Wanderrouten für Fische dar“, sagt Marion Beckmann-Wirth aus der Abteilung Wasserwirtschaft der Umweltbehörde. Kürzlich führte die Geologin zusammen mit dem Biologen Wolfram Hammer vom BUND interessierte Harburger am Seevekanal entlang und berichtete von den ökologischen Fortschritten des Gewässers.

Harburger Hafenschleuse ist erstes großes Hindernis für Fische

Dabei spielt die Durchgängigkeit für Fische eine wichtige Rolle. Auch weil sie vom EU-Recht eingefordert wird. Doch auf dem Weg zur Seeve stehen ihnen vier Hindernisse im Weg. Das erste Hemmnis ist am imposantesten: Die Harburger Hafenschleuse ist die einzige Verbindung zwischen der Süderelbe und dem Binnenhafen. Meist sind ihre Tore geschlossen. Dennoch gelinge es bei jeder Schleusung vielen Fischen, den Weg in die Hafengewässer zu finden. Sie orientieren sich am Geruch des Wassers, riechen ihr Heimatgewässer.

Im Binnenhafen geht’s immer der Fischnase nach geradeaus in den Östlichen Bahnhofskanal. Der 600 Meter lange Kanal ist Teil des Naturschutzgroßprojekts „Hamburg, deine Flussnatur“. Die Stiftung Lebensraum Elbe arbeitet daran, das Gewässer ökologisch aufzuwerten und gleichzeitig für die Anwohner attraktiver zu machen. Am nördlichen Ende, vor dem Karnapp-Wehr ist vor der Kaimauer eine flache Uferzone angelegt und bepflanzt worden, die gerade in Blüte steht. Und den Fischen Deckung bietet.

Das Karnapp-Wehr kann seine wichtige Rolle nicht mehr spielen

Den schwimmenden Wanderern steht nun eine sportliche Übung bevor: die veraltete Fischtreppe am Karnapp-Wehr. Sie wurde 2010 hergestellt, als ökologischer Ausgleich für negative Eingriffe im Gewässer und an seinen Ufern vor dem 2004 eröffneten Phoenix-Center. Damals wurden Erlen gefällt, um die Sichtbarkeit des Einkaufcenters zu erhöhen.

Der Borstenfischpass ist für aufwärtswandernde Fische der Einstieg in den Seevekanal. Er ist nicht mehr voll funktionstüchtig.
Der Borstenfischpass ist für aufwärtswandernde Fische der Einstieg in den Seevekanal. Er ist nicht mehr voll funktionstüchtig. © HA | Angelika Hillmer

Die Fischtreppe ist eine Schleife um das Wehr, die mit besenähnlichen Verbauungen bestückt ist, ein sogenannte Borstenfischpass. Ein Blick auf die Anlage zeigt, dass sie am Ende ihrer Nutzungszeit steht: Dort, wo das Wasser am meisten strömt und die Aufstiegshilfe am dringendsten gebraucht wird, sind Borstenbüschel umgekippt und liegen funktionslos im Wasser herum. Damals sei der Fischpass Stand der Technik gewesen, so Beckmann-Wirth. Heute würde man ihn so nicht mehr bauen.

Für 1,76 Millionen Euro für einen neuen Einstieg in den Seevekanal

Jetzt wird die Fischtreppe erneuert und den Flussbewohnern quasi der rote Teppich ausgerollt: Die Umweltbehörde investiert 1,76 Millionen Euro in einen „Schlitzpass mit 15 Aufstiegsbecken, einem Ruhebecken und einer Lockströmung“, den der Bezirk Harburg bauen lässt. In Kürze werden die Arbeiten beginnen und voraussichtlich bis Mitte 2024 dauern. Die Becken sind durch vertikale Schlitze miteinander verbunden, so dass die Fische Becken für Becken, in Zehn-Zentimeter-Stufen, zum Seevekanal aufsteigen können. Jedes Becken ist 2,45 Meter lang, 1,85 Meter breit und 70 Zentimeter tief.

Ist der Aufstieg geschafft, geht es unter der Straße Karnapp hindurch Richtung Bahntrasse nach Cuxhaven und B73. Am Marktkauf-Center gerät der Kanal wieder ins Blickfeld der Harburger, ebenso vor dem Phoenix-Center. „Hier hatten wir bei der ersten Bestandsaufnahme 2009 nichts gefunden, keine wertgebenden Arten“, sagt Beckmann-Wirth.

Das änderte sich mit dem Borstenfischpass. Und mit dem 2013 gestarteten „Seevekanal-Modellprojekt 2021“: In den Kanallauf wurden Totholzbündel und Kies eingebaut. Sie sollten nicht nur Pflanzen und Tieren neuen Lebensraum bieten, sondern den Kanal einengen, damit das Wasser schneller fließt. Schülerinnen und Schüler des Friedrich-Ebert-Gymnasiums, der Katholischen Schule Harburg und der Integrierten Gesamtschule Seevetal (Hittfeld) packten mit an.

Das Wasser im Kanal fließt besser als in der Alster

Ein Blick von den Kanalbrücken am Phoenix-Center zeigt: Der Einsatz hat sich gelohnt: Beidseits der Ufer wachsen Wasserpflanzen, in der Mitte strömt das Seevewasser. „Der Kanal hat nur ein geringes Gefälle von 20 Zentimeter auf einem Kilometer“, sagt Wolfram Kammer. „Aber auch Geestgewässer haben nicht viel mehr. Der Seevekanal ist durchgängiger fließend als die Alster. Die hat zwar mehr Gefälle, aber auch mehr Wehre und nur wenige Abschnitte mit Fließeigenschaften.“

Vor dem Phoenix Center verengen künstliche Hindernisse und Wasserpflanzen den Kanal und sorgen dafür, dass das Wasser schneller fließt.
Vor dem Phoenix Center verengen künstliche Hindernisse und Wasserpflanzen den Kanal und sorgen dafür, dass das Wasser schneller fließt. © HA | Angelika Hillmer

Die bewegte Wasseroberfläche von Fließgewässern erhöht die Sauerstoffaufnahme und macht es möglich, dass sich Fischarten ansiedeln, die nur in fließenden Gewässern leben können. Hammer: „Anders als Fische, die in Stillgewässern wie Seen leben, können Fließgewässerarten ihre Kiemen nicht bewegen. Sie sind beim Atmen darauf angewiesen, dass Wasser durch die Kiemen fließt.“

Mehr Pflanzen im Seevekanal: Artenvielfalt wächst auch im Kleinen

Ist das Phoenix-Wehr passiert, verläuft der Kanal entlang der Bahngleise Richtung Meckelfeld. Eingeklemmt zwischen Bahnanlagen und der Straße Kanzlershof lässt sich der Seevekanal kaum natürlicher gestalten. Doch auch in diesem Abschnitt wurde ihm an einigen Stellen Begleitgrün spendiert. Wolfram Hammer steigt in seine Wathose und anschließend ins Gewässer.

Mit einem Kescher streift er an Wasserpflanzen entlang und holt viele kleine Lebewesen ans Tageslicht, die sich im Seevekanal tummeln. Er ist zufrieden mit seinem Fang: Prachtlibelle und Bachflohkrebse, Larven von Eintagsfliegen und Köcherfliegen zeigen dem Experten, dass auch in dieser biologischen Liga neues Leben in den Seevekanal eingekehrt ist.