In einem Modellprojekt mit Beteiligung der Anwohner renaturiert der Bezirk Harburg den Seevekanal bis zum Jahr 2021. In den Kanallauf werden Holz und Kies eingebaut, um Lebensraum für Tiere zu schaffen.

Rönneburg. Als Kind hat der heute 79 Jahre alte Helmut Marquardt im Seevekanal gebadet. Den Anwohnern der Straße Kanzlershof an der Grenze zwischen Rönneburg und Neuland diente damals das von Menschenhand geschaffene Gewässer zur Naherholung. „Wir haben Barsche und Aale geangelt“, erzählt der 79-Jährige. Und seine Mutter habe eimerweise Wasser für die Wäsche aus dem Kanal geschöpft. Das war vor rund 70 Jahren, als der Milchhändler noch mit dem Pferdewagen kam und einmal die Woche ein Fahrzeug die Straße Kanzlershof entlang fuhr, um den Kolonialwarenladen zu beliefern.

Die Natur soll bis zum Jahr 2021 wieder die Qualität erhalten wie damals – wahrscheinlich sogar noch besser. Der Bezirk Harburg lässt den etwa acht langen Seevekanal renaturieren, um Tieren neue Lebensräume zu schaffen und die Wasserqualität zu verbessern.

Die Kosten belaufen sich auf voraussichtlich etwa 100.000 Euro, schätzt der zuständige Umweltingenieur des Bezirksamtes Harburg, Jens Brehm. Die genaue Summe lässt sich erst in den nächsten sieben Jahren ermitteln. Sie hängen von dem Erfolg der einzelnen Wasserbaumaßnahmen ab. „Gutes ökologisches Potenzial“ soll der Seevekanal erreichen, so lautet die rechtliche Zielvorgabe.

Das auf den ersten Blick willkürlich wirkende Zieldatum 2021 ergibt sich aus der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie. Sie schreibt den Mitgliedsstaaten vor, die Qualität ihrer Gewässer zu verbessern. Die Freie und Hansestadt Hamburg wendet dazu drei Millionen Euro pro Jahr auf. So entsteht an der Alster eine Fischaufstiegsanlage oder eben ein renaturierter Seevekanal.

Das Bezirksamt Harburg beschreitet mit dem sogenannten Modellprojekt Seevekanal 2021 einen neuen Weg. Die Europäische Union will, dass die Öffentlichkeit und die Gewässernutzer aktiv beteiligt werden. Und so hatte das Bezirksamt Harburg die rund 100 Hamburger Haushalte entlang des etwa acht Kilometer langen Seevekanals angeschrieben und zu Arbeitstreffen eingeladen. Am Wochenende informierte eine mit einem Grifffest verbundene Ausstellung über die Wasserbauarbeiten am Seevekanal bis zum Jahr 2021.

Die Information der Anwohner hat geholfen, Missverständnisse aus der Welt zu schaffen. Denn als das Bezirksamt im Stillen begann, Baumäste gezielt in dem Kanallauf zu verankern, werteten Anwohner das nicht als sinnvolle ökologische Baumaßnahme. Bisher angehalten, die Uferkante zu mähen und den Kanals sauber zu halten, interpretierten die Nachbarn am Kanal das ins Wasser geworfenen Totholz als Verschmutzung.

Ein Anwohner hatte sogar ein Schild neben eine Totholzansammlung der Wasserbauer aufgestellt und mit der süffisanten Aufschrift versehen: „Anlegeplatz für die Queen Mary“. „Die hielten uns für bekloppt, weil sie den ökologischen Ansatz nicht verstanden hatten“, sagt Jens Brehm. Das habe sich mit der Bürgerbeteiligung nun geändert.

Zur Pflege heute beauftragt das Bezirksamt ein Unternehmen, das mit einem Mähboot den Kanal entlangfährt und die Mittelrinne entkrautet. Vor 70 Jahren, erinnert sich Helmut Marquardt, stand dazu ein Arbeiter auf einem Floß und schwang die Sense.

Bei der Renaturierung helfen Schüler des Friedrich-Ebert-Gymnasiums und der Katholischen Schule Harburg mit. Sie untersuchen die Wasserqualität oder bauen Verstecke für Fische.

Was passiert noch in den nächsten sieben Jahren? Wasserbauunternehmen und Schüler werden Holz und Kies einsetzen, um verschiedene Strömungsgeschwindigkeiten zu schaffen. „Wir wollen, das der Kanal schlängelnd fließt“, erklärt Jens Brehm. So könnten sich mehr verschiedene Tierarten ansiedeln. Momentan leben bereits Neunaugen und Aale in dem Seevekanal, der im schnellen Fußgängertempo fließt. Der Kanal habe den größten Bestand der geschützten Neunaugen in Hamburg, sagt Jens Brehm. Vorgesehen ist auch, Unterstände für Fische zubauen, damit sie sich vor Jägern wie dem Reiher verstecken können.

Der Seevekanal ist im 16. Jahrhundert errichtet worden. Er sollte den Burggraben der Horeburg mit Wasser versorgen, die 1644 zur Barockfestung wurde. Die Schlossinsel erhielt damals ihre heute bekannte fünfeckige Sternform. Der Seevekanal versorgte auch die umliegenden Mühlen zu deren Betrieb mit Wasser.

Eine wirtschaftliche Funktion hat der Seevekanal noch heute, weiß Jens Brehm: Das ContiTech-Werk, in Harburg besser bekannt als Phoenix-Werke, bezieht aus ihm Kühlwasser.