Hamburg. Die Kanäle im Harburger Binnenhafen werden Schauplatz eines Projekts, das Naturschutz und Attraktivität gleichzeitig verbessern soll.

Der Harburger Binnenhafen ist für vieles bekannt, nicht aber für eine lebendige Natur in seinen Gewässern. Wer genau in und an dem Westlichen und dem Östlichen Bahnhofskanal lebt, hat die Stiftung Lebensraum Elbe im Sommer untersuchen lassen. Die beiden Kanäle sind zusammen mit der Engelbek die drei Gewässer im Bezirk Harburg, die in das im Juni gestartete Naturschutzgroßprojekt „Hamburg, deine Flussnatur“ einbezogen werden.

Naturschutz "in urbanen Räumen": "Damit betreten wir Neuland"

Das vom Bund finanzierte Projekt will Hamburgs Gewässernetz ökologisch aufwerten und gleichzeitig für die Anwohner attraktiver machen. „Dieses Naturschutzvorhaben findet in urbanen Räumen statt, damit betreten wir Neuland“, sagt Karsten Borggräfe, der bei der Stiftung das Großprojekt leitet. „Wir möchten mit den Menschen zusammenarbeiten. In der Stadt, nicht in einem Nationalpark.“

Das Projekt beinhaltet eine dreijährige Phase der ökologischen Bestandsaufnahme und Planung, ausgestattet mit 2,3 Millionen Euro. Von 2025 an folgt eine auf zehn Jahre angelegte Umsetzungsphase, für die 25 bis 30 Millionen Euro zur Verfügung stehen sollen.

20 Prozent der für das Naturschutzprojekt ausgewählten Gewässer sind Kanäle

Rund 20 Prozent der für das Naturschutzprojekt ausgewählten Hamburger Gewässer sind Kanäle. Auch sie könnten dem Ziel dienen, in Gewässern von den Stadtgrenzen bis zur Elbe durchgängig naturnahe Lebensräume zu schaffen, sagt Borggräfe – „die Elbe mit ihren Nebengewässern ist eines der wichtigsten Biotop-Verbunde in Norddeutschland“.

Im Süden der Stadt sind nun die Bahnhofskanäle ins Visier der Naturentwickler gekommen. Dabei spielt der Östliche Bahnhofskanal die größere Rolle. Er hat offenbar mehr Potenzial als der weiter westlich vom Hafen abzweigende Bahnhofskanal und ist für Fische, die in Elbnebenflüsse aufsteigen, eine Verbindungsstrecke zur Seeve. Der Heidefluss liegt zwar einige Kilometer entfernt, ist jedoch durch den Seevekanal mit dem Binnenhafen verbunden.

Das östliche Kanalufer ist sehr viel naturnäher als das westliche mit seiner Bebauung des Brückenquartiers.
Das östliche Kanalufer ist sehr viel naturnäher als das westliche mit seiner Bebauung des Brückenquartiers. © Hillmer/HA | Angelika Hillmer

Das Karnappwehr verbindet den Östlichen Bahnhofs- mit dem Seevekanal. Neben der künstlichen Fallstufe plätschert in einer kleinen Schleife Wasser in den Bahnhofskanal. Diese Aufstiegshilfe für Fische solle sehr bald baulich verbessert werden, so Borggräfe. Das sei ein starkes Argument für weitere Naturschutzmaßnahmen im und am Bahnhofskanal. Gerade dieser südliche, relativ naturnahe Abschnitt des 600 Meter langen Kanals sei ökologisch ausbaufähig. Allerdings ist er stark verschlickt.

Untersuchungen zeigen, dass in beiden Binnenhafenkanälen Fische unterwegs sind

Erste Untersuchungen zeigen, dass in beiden Binnenhafenkanälen Fische unterwegs sind, vornehmlich typische Arten für stehende Gewässer. Aal und Aland, Barsch und Brassen, Rapfen und Rotfeder, Ukelei und Zander sind hier zu finden, ab und an auch mal eine Flunder. Der Westliche Bahnhofskanal diene den Fischen als Rückzugsraum. „Sie sind im Falle eines Fischsterbens in der Elbe ein Reservoir zur Wiederbesiedlung des Flusses“, sagt der Biologe.

Der Westliche Bahnhofskanal bietet weniger Naturlebensräume, etwa für Insekten, als der Östliche Bahnhofskanal. 
Der Westliche Bahnhofskanal bietet weniger Naturlebensräume, etwa für Insekten, als der Östliche Bahnhofskanal.  © Hillmer/HA | Angelika Hillmer

Um es der Fischwelt im Kanal angenehmer zu machen, könnten Unterwasserstrukturen, etwa Totholz, eingebracht werden, die Jungfischen Unterschlupf gewähren und Lebensräume für Insektenlarven und andere Wasserbewohner bieten. „Aber grundsätzlich ist der Östliche Bahnhofskanal viel lebendiger.“

Welchen Unterschied "strukturreiche Gewässer" machen

Das zeigte sich bei den Libellen: Viermal von Mitte Juni bis Ende August wurde deren Vorkommen in beiden Kanälen ermittelt. Im Westlichen Bahnhofskanal wurden nur einmal, Mitte Juli, Libellen gesichtet. Zwei Arten. Weiter östlich waren es bei jeder Erhebung fünf bis sieben Arten. Insgesamt kamen die Insektenkundler dort auf 13 Arten.

„Das Zahlenverhältnis zeigt, wie viel es ausmacht, strukturreiche Gewässer zu haben“, kommentiert Borggräfe das Ergebnis. „Im Östlichen Bahnhofskanal gibt es abgeflachte Ufer mit Bewuchs, an dem die Libellen- und andere Insektenlarven aus dem Wasser herauskommen können.“ Die Insekten sind gleichzeitig Nahrung für die relativ vielen Fledermäuse, die durch den Binnenhafen fliegen. Die alten Speicher bieten ihnen gute Lebensräume.

Schwimmende Beete zwischen geschwungenen Stegen - wie in Chicago

Das weitgehend verwilderte östliche Ufer vom Östlichen Bahnhofkanal zeigt, wie naturnahe Gewässer aussehen. Im nördlichen Abschnitt, dort, wo einstmals ein Kanal parallel zur heutigen Neuländer Straße abzweigte, hat sich ein kleines Biotop gebildet. Nach Planungen des Bezirks soll es erhalten bleiben, wenn irgendwann die dahinter liegende, 45.000 Quadratmeter große Brachfläche zum Neuländer Quarree wird.

Das Bauprojekt liegt seit Jahren auf Eis. Weitere denkbare Maßnahmen seien schwimmende Strukturen, vielleicht mit Röhricht und Blutweiderich, die den Kanal etwas verengen würden, sagt Borggräfe. Oder schwimmende Beete zwischen geschwungenen Stegen, wie sie gerade in Chicago entstehen. Oder kleinere Lösungen wie Betonstrukturen aus dem 3-D-Drucker, die kostengünstig glatte Kaimauern strukturieren könnten.

Konkrete Konzepte, welche Maßnahmen in den Binnenhafenkanälen jeweils sinnvoll sind, gibt es noch nicht – derzeit läuft noch die Bestandsaufnahme. Wenn es an die Umsetzung geht, werden die Einwohner mit ins Boot geholt, versichert Borggräfe. Und der Denkmalschutz. Schließlich macht das Miteinander historischer Industriebauten und moderner Büro- oder Wohngebäude den Binnenhafen aus. Das gilt auch und gerade für den Westlichen Bahnhofskanal und sein Umfeld.

Naturschutz: Wie viel Freizeitbetrieb vertragen Fische?

Es gelte, „Lösungen zu finden bei denen die historische Anmutung erhalten bleibt, aber auch die Ökologie ihren Platz hat“, sagt der Projektleiter. Vielleicht könnte hier eine Naturschutzmaßnahme am Alsterfleet als Vorbild dienen: die Grüne Schute, ein 23 Meter langer Lastenkahn, der vor zwei Jahren im Rahmen des Projektes „Lebendige Alster“ zu einem Ort der Umweltbildung umgebaut, mit Pflanzen bestückt, auf Grund gesetzt und zum Fleet hin geöffnet wurde. So wurde die Schute auch zum Lebensraum für Fische.

Wie viel Freizeitbetrieb vertragen Fische? Diese Frage stellt sich angesichts der bezirklichen Planung, am Ufer des Treidelwegs, dort, wo der Östliche Bahnhofskanal abzweigt, einen Beachclub und womöglich auch Gastroschiffe oder ein Badeschiff anzusiedeln. Karsten Borggräfe sieht darin keinen Widerspruch: „Es wird ruhigere Momente geben, in denen die Fische ungestört passieren können. So eine zeitweilige Durchlässigkeit der Gewässer wäre bereits gut. Wenn die Fische vermehrt aufsteigen können, würde davon auch die Seeve profitieren.“