Seevetal. Das Maschener Wehrversperrt europaweit geschützten Arten wie dem Fluss- und Meerneunauge den Weg an ihre Laichplätze.
Radfahrer, Wanderer und Kanuten können den Großteil des Seevelaufs für sich erschließen und die Natur genießen. Die Flussbewohner haben es dagegen schwer: Auf einer Länge von 28 Kilometern ist der Heidefluss als Teil des europäischen Schutzgebietsnetzes (FFH-Gebiet) ausgewiesen, doch wandernde Fischarten wie das Fluss- und das Meerneunauge stoßen sich, von der Elbe kommend, schon nach wenigen Kilometern jenseits des Rangierbahnhofs Maschen ihre runden Mäuler: am Maschener Wehr. An seiner Seite verläuft zwar eine Fischtreppe, aber dort herrscht so viel Gegenströmung, dass selbst die sprungstarken Meerforellen die Einstiegsstufe meiden und versuchen, den Wasserfall des Wehres zu überwinden.
Jürgen Lüdke, der sich seit vielen Jahren mit dem Pachtverein Hamburger Angler für die Fischwelt im Fluss engagiert, ist über dieses und weitere Hindernisse in der Seeve empört: „Detlef Gumz, Leiter der Naturschutz-Abteilung vom Landkreis Harburg, hat immer wieder – auch im Abendblatt – betont, dass die Seeve und die Luhe zu den bedeutendsten Gebieten gehören, in denen Meerneunaugen vorkommen. Diese stehen, wie auch die kleineren Flussneunaugen, europaweit unter besonderem Schutz. Die Seeve hat ideale Laichgebiete, doch die sind unerreichbar. Das Problem ist seit Jahrzehnten bekannt. Dennoch haben die zuständigen Behörden keine Maßnahmen ergriffen“, sagt Lüdke.
Generell fordert das europäische Recht von den Mitgliedsstaaten, dass die vielfach verbauten Flüsse besser für Fische passierbar werden. Das verlangt die Wasserrahmenrichtlinie (WRRL), die seit 20 Jahren den rechtlichen Rahmen des Gewässerschutzes bildet, und die FFH-Richtlinie, die den Naturschutz stärkt. Lüdke: „Insgesamt verläuft die Wiederherstellung der ökologischen Durchgängigkeit in Niedersachsen so schleppend, dass sich der Eindruck aufdrängt, dass die Umsetzung der Richtlinien von den zuständigen Behörden nicht als gesetzliche Verpflichtung, sondern als unverbindliche Handlungsempfehlung angesehen wird.” Für die flussaufwärts wandernden Neunaugen wäre die Wasserwelt jenseits des Wehres ein ideales Fortpflanzungsgebiet, in dem der Nachwuchs gute Lebensbedingungen vorfinden würde.
Doch dort gelangen die laichbereiten Tiere nicht hin. „Natürlich haben Fluss- und Meerneunauge und weitere Arten nur einen sehr eingeschränkten Lebensraum, den Unterlauf des Flusses, zur Verfügung. Um diesen Arten zu helfen, wäre es in der Tat notwendig, die Durchgängigkeit hinreichend zu verbessern. Das würde die Laichmöglichkeiten erheblich erweitern und die Populationen nachhaltig stärken“, sagt auch Detlef Gumz von der Harburger Kreisverwaltung.
Nicht absehbar, wann die Vorplanungen wieder aufgenommen werden
Das Wehr gehört dem Land und fällt in die Zuständigkeit des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz, kurz NLWKN. Der hatte im Jahr 2017 ein Ingenieurbüro mit einer Untersuchung beauftragt, wie das Wehr fischfreundlich umgebaut werden kann. Dabei sei festgestellt worden, dass nicht nur das Wehr in der Seeve, sondern auch das angrenzende Wehr am Abzweig des Seevekanals betrachtet werden müsse. „Dadurch wird die Maßnahmenplanung erheblich komplexer, wofür im NLWKN bisher keine ausreichenden Personalkapazitäten zur Verfügung standen und derzeit auch nicht zur Verfügung stehen“, sagt Behördensprecher Carsten Lippe. Derzeit sei nicht absehbar, wann die Vorplanungen wieder aufgenommen werden können.
Wenn dies passiert, kann das Land mit Unterstützung aus Brüssel rechnen: „Komplexe und anspruchsvolle Umbaumaßnahmen wie am Seeve-Wehr bzw. Seeve-Kanal-Wehr werden in der Regel über Fördermittel der EU finanziert“, so Lippe. Die Passierbarkeit des Wehrs wieder herzustellen, sei auch aus Sicht des NLWKN wichtig, „weil gerade im Oberlauf der Seeve wertvolle Habitate für Fische und andere aquatische Lebewesen vorhanden sind“.
Jürgen Lüdke wird präziser: „Derzeit liegt das Hauptlaichgebiet der Neunaugen in dem nur 320 Meter langen Abschnitt zwischen dem Wehr und dem Flusstunnel unterhalb des Rangierbahnhofs.“ Würde die Fischtreppe des Wehres nach einem Umbau ihre Funktion wieder erfüllen, so stünden den Neunaugen weitere sieben Flusskilometer für die Fortpflanzung zur Verfügung. Bis das nächste Hindernis auftaucht: das etwa drei Meter hohe Stauwehr der Horster Wassermühle. Auch hier stellt eine veraltete, zu steile Fischtreppe eine Barriere dar. „Die stufenförmige Anordnung der Becken ist schlecht, die Fischtreppe müsste kurvenförmig die gesamte Breite des Wehres nutzen“, sagt Uwe Wieschowski.
Der Spezialist fürs Fliegenfischen und Gewässerwart der Seeve trifft sich mit seinem Angelverein, der Horster Fischerei- und Naturschutzgemeinschaft, regelmäßig in der Gaststätte Horster Mühle. „Ein Neubau der Treppe würde wohl um die 280.000 Euro kosten“, sagt Wieschowski. So viel Geld könne die Familie Schmanns, die das Gasthaus und die Mühlenanlage betreibt, nicht ausgeben – „hier muss der Staat eingreifen und entscheiden, wie man das Problem am besten löst.“
Neunaugen und Co. werden sich noch gedulden müssen
Ob sich der Um- oder Rückbau von Stauanlagen mit Stromerzeugung überhaupt öffentlich fördern lässt, ist umstritten. Das niedersächsische Umweltministerium überprüfe in Zusammenarbeit mit dem NLWKN „im Rahmen eines Pilotprojektes Möglichkeiten der Förderung entsprechender Vorhaben“, so Lippe, das Ergebnis stehe noch aus. Jenseits der rechtlichen Fragestellungen werden für die Horster Mühle derzeit mit der Unteren Wasserbehörde des Landkreises alternative Lösungen zur Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit geprüft. Lippe: „Hierbei steht ein vorhandener Mühlengraben im Fokus, der gegebenenfalls als Umgehungsgerinne für die Fischwanderung umgestaltet werden könnte.“
Neunaugen und Co. werden sich noch gedulden müssen, bevor sie „ihren“ Fluss wieder hinauf schwimmen können: „Da neben diesen beiden Wehren im Landkreis Harburg und darüber hinaus im gesamten Land Niedersachsen eine Vielzahl von Wehren der Verbesserung der Durchgängigkeit bedürfen, hängt es von der Verfügbarkeit des knappen Geldes und der Prioritäten ab, die aus Landessicht zu sehen sind“, heißt es in einer Stellungnahme aus Winsen. Die Kreisverwaltung hatte im Juni 2019 die Seeve zum Naturschutzgebiet erklärt.
Die Seeve
Das Flüsschen Seeve entspringt in der Heide zwischen Handeloh und Undeloh. Es schlängelt sich 40 Kilometer durch die Geest zur Elbe.
Der mäandrierende Lauf der Seeve und das sandig-kiesige, mit größeren Steinen versehene Flussbett schaffen ein strukturreiches Gewässer mit wechselnden Strömungsgeschwindigkeiten. Das macht den Heidefluss zu einem wertvollen Lebensraum für zahlreiche Wassertiere und -pflanzen.
Mit einer Temperatur von durchschnittlich sechs bis acht Grad gilt die Seeve als Norddeutschlands kältester Fluss. Ihr klares, kühles und sauerstoffreiches Wasser ist für Fischarten wie Äsche, Bach- und Meerforelle lebensnotwendig.
Feuchtwiesen, Röhrichte und Gehölze prägen die naturnahen Uferstrukturen und verstärken die ökologische Bedeutung der Seeve als Lebensraum insbesondere für wandernde Fische und Rundmäuler (Neunaugen) sowie für den Fischotter.