Als die junge Frau 2003 aus der Türkei nach Hamburg kam, sprach sie kaum Deutsch. Jetzt hat sie einen Preis für ihre Diplomarbeit gewonnen.
Harburg. Kaffee oder Tee? Bei der Getränkewahl ist sich Maide Güzel, 26, ganz sicher - so wie bei fast allen Dingen in ihrem Leben. "Schwarzer Tee mit Honig bitte", sagt die Heimfelderin im gemütlichen Bistro "Al Dente" am Harburger Ring. "Ich trinke keinen Kaffee, weil ich damit schlechte Erinnerungen verbinde."
Die Erinnerungen reichen zurück in eine Zeit, als Maide Güzel sich im südosttürkischen Afsin aufs Abitur und auf Aufnahmeprüfungen für das Studium vorbereitete. "Damals trank ich Kaffee bis tief in die Nacht, damit ich nicht einschlafe. Das ist mir nicht so gut bekommen."
Geschafft hat Maide Güzel beides: das Abitur mit einem Schnitt von 1,0 und die Aufnahmeprüfung fürs Studium, für das sich Schüler in der Türkei für viel Geld an speziellen Schulen vorbereiten - in ihrer Freizeit am Wochenende. Das viele Lernen hat sich gelohnt: Maide Güzel hat ihr Studium in Informatik-Ingenieurwesen mit Bravour (1,8) abgeschlossen - an der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH). Sie hat gerade einen Preis für ihre Diplomarbeit bekommen. Und seit Anfang des Jahres hat sie einen schönen Beruf: Sie arbeitet als Softwareentwicklerin mit dem Schwerpunkt technische Innovation bei Allied Vision Technologies (43,4 Millionen Euro Umsatz) in Ahrensburg - das Unternehmen entwickelt Hightech-Digitalkameras für anspruchsvolle Bildverarbeitungsanwendungen, die in den Bereichen Wissenschaft, Forschung, Logistik und Verkehr eingesetzt werden.
Als Maide Güzel im April 2003 mit 18 Jahren aus der Türkei nach Hamburg kam, sprach sie kein Wort Deutsch. Doch ihr Ziel war vollkommen klar: eine neue Sprache lernen, etwas Anspruchsvolles studieren und andere Kulturen kennen lernen. "Als ich nach Deutschland kam, habe ich sechs Monate einen Sprachkurs besucht und dann angefangen zu studieren. Das erste Jahr im Studium war hart, ich habe nicht viel verstanden. Außer in Mathematik, aber das waren ja auch nur Zahlen", sagt sie und lacht.
Heute, acht Jahre später, spricht die Türkin fließend Deutsch. Die Betreiberin des "Al Dente", die in Hamburg geborene Deutsch-Türkin Hülya Karakurt, 43, die Maide Güzel von ihrer Arbeit als Finanzmanagerin am Northern Institute of Technology Management (NIT) vom Eißendorfer Campus kennt, sagt: "Es ist echt Wahnsinn, wie fantastisch Maide Deutsch gelernt hat. So gut sprechen die meisten Türken nach 40 Jahren in Deutschland nicht Deutsch."
Das Lernen ist Maide in die Wiege gelegt worden, sie kommt aus einer Akademikerfamilie mit vielen Vorbildern. Ihr Vater Hasan, 67, hat als Lehrer an einer Grund- und Mittelschule gearbeitet, ihre Mutter Senel, 65, ist Hausfrau. Gökalp, 44, ihr ältester Bruder, ist Herzchirurg. Orhan, 42, ist Elektrotechniker und arbeitet als Lehrer an einer Berufsschule.
Maide Güzel hat auch noch zwei Schwestern: Serpil, 46, und Sükriye, 28. Serpil lebt in Billstedt und ist Krankenschwester und Altenpflegerin beim Arbeiter-Samariter-Bund. Sükriye hat wie Maide an der TUHH studiert - dasselbe Fach: Informatik-Ingenieurwesen. Sie wohnte bis vor kurzem mit Maide in Heimfeld gemeinsam in einer Wohnung - jetzt ist sie nach Lübeck gezogen und arbeitet dort - wie Maide - als Software-Entwicklerin.
Studieren und Karriere machen, das wollte die 26-Jährige schon früh. "Studieren war für mich als Kind schon sehr selbstverständlich, weil meine beiden Brüder ja auch studierten. Ich hatte deshalb schon als Kind nur das Studium im Kopf." Erst dachte Maide Güzel daran, Lehrerin zu werden. Ihr Vater hatte andere Pläne, er wollte, dass sie Frauenärztin wird - "aber Medizin verband ich dann doch mit kranken Menschen und Unglücklichsein, und ich mag den Geruch in Arztpraxen und Krankenhäusern nicht".
Mit 15 Jahren hatte Maide dann "nur noch Interesse an Mathe und Physik. Ich hatte sehr gute Lehrer auf dem Gymnasium, und wenn die Lehrer gut sind, dann bin ich auch gut. Meine Deutsch-Lehrerin in Hamburg war auch hervorragend - die hat ihren Job geliebt". Für die Technische Universität in Harburg entschied sich Maide schon mit fünfzehneinhalb, nach dem zweiten Besuch bei ihrer Schwester in Hamburg. "Ich wollte etwas machen mit viel Mathe und praktischen Anwendungen", sagt sie.
Ihre mit dem "Fafnir-Preis" ausgezeichnete Diplomarbeit beschäftigt sich mit sogenannten implantierten RFID-Transpondersystemen, die bei Metallimplantaten für Knochenbrüche eingesetzt werden. An den Implantaten werden Lastenmessungen vorgenommen, um Informationen über die Steifigkeit der Fixierung zu erhalten. So lassen sich sowohl chirurgische Eingriffe als auch die postoperative Behandlung optimieren. Der Vorteil dieser Methode für den Patienten: Er ist keiner Strahlung ausgesetzt.
Die vom RFID-Transponder gemessenen Daten werden mittels eines Lesegerätes erfasst. Diese Übertragung ist fehleranfällig. "Meine Aufgabe bestand darin, Codierungsalgorithmen zu schreiben, die Fehler erkennen und korrigieren", sagt Maide Güzel. Da der Transponder im Körper über keine eigene Energieversorgung verfügt, wird ihm die gesamte Energie, die für die Datenübermittlung nötig ist, von außen mittels eines Magnetfeldes über das Lesegerät zugeführt. Dennoch hat der Transponder nur begrenzte Energie zur Verfügung. Aus diesem Grund muss ein Codieralgorithmus in die Software implementiert werden, der besonders energieeffizient ist. Und genau dies ist Maide Güzel gelungen.
Maide ist nicht nur eine hervorragende Ingenieurin. Auch der deutschen Literatur kann die junge Ingenieurin viel abgewinnen. Noch immer besucht sie den TUHH-Kursus "Literatur und Kultur" - ein Lese-Club für Studenten aus vielen Ländern, die sich intensiv mit einem Werk der deutschen Literatur befassen. Maides Lieblingswerk war bislang Faust von Goethe. "Den großen Goethe zu analysieren, macht mir ebensoviel Spaß wie komplizierte Algorithmen zu entwickeln", sagt die Heimfelderin. Auch Handwerken und Malen kann Maide Güzel: Ihre Mutter hat ihr beigebracht, wie man Teppiche knüpft, näht und strickt. Sie zeichnet gerne Menschen, vor allem Kinder, und joggt zwei- bis dreimal pro Woche im Meyers Park, an der Außenmühle oder zehnmal um den Schwarzenberg. Sie will Tennis oder Badminton lernen und trifft sich gerne mit ihren Freundinnen. Auch "Shoppen" gehört zu ihren Vorlieben - das kleinste Zimmer ihrer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung ist ausschließlich für ihre Schuhe und Klamotten reserviert. Maide Güzel sagt von sich, sie sei ein "glücklicher Single". Sie ist "nicht sehr religiös aufgewachsen" und hat "immer das Vertrauen meiner Eltern genossen".
Für die nähere Zukunft hat sich Maide Güzel viel vorgenommen: Erfolgreich sein, mehr Verantwortung tragen, eine Expertin auf ihrem Gebiet werden. Und noch eine Sprache lernen, am liebsten Spanisch. Ob sie sich vorstellen könne, noch einmal in ein fremdes Land zu gehen? "Schon. Aber es sollte dort warm sein und nicht zu weit weg von der Türkei."