Hamburg. Künstliche Intelligenz beschleunigt die Diagnostik. Wo sie in Hamburg schon zum Einsatz kommt: Asklepios-Chefarzt gibt Einblick.
Künstliche Intelligenz dringt in alle Lebensbereiche vor – und auch in der Medizin spielt KI längst eine wichtige Rolle. „Allein durch die sogenannten Smartwatches hat sich die Wahrnehmung von Puls, Blutdruck und Herzrhythmus verändert“, sagt Privatdozent Dr. Gerian Grönefeld. Der Chefarzt der Kardiologie von der Asklepios Klinik Hamburg-Barmbek berichtet, dass regelmäßig Patienten in seine Sprechstunde kämen, deren Uhr den Verdacht auf beispielsweise Vorhofflimmern nahegelegt habe.
Aus der Diagnostik und der Interpretation von Bildern sei künstliche Intelligenz nicht mehr wegzudenken, sagt der habilitierte Mediziner, der auch Fachverantwortlicher für Kardiologie am Asklepios Campus in Hamburg ist und sich dort in der Studentenausbildung engagiert.
Krankenhaus Hamburg: Was ist ihr entscheidender Vorteil für Patient und Arzt?
„Früher hat ein Arzt mühevoll ein Langzeit-EKG, das die elektrische Herzaktivität über einen längeren Zeitraum unter Alltagsbedingungen misst, ausgewertet. Da musste man sich spätestens nach einer Viertelstunde die Augen reiben, die Brille absetzen und kurz pausieren. Die KI liest so etwas binnen kürzester Zeit und ist dabei auch noch präziser als der Mensch“, so Dr. Grönefeld.
Selbstverständlich müsse man den „Kollegen KI“ aber kontrollieren: „Am Ende der Kette steht weiterhin der Mensch“, sagt der Chefarzt. Man dürfe allerdings auch nicht vergessen, dass man die KI ja auch zunächst über einen längeren Zeitraum trainieren müsse. Der Mensch werde also nicht überflüssig.
Was ist also der entscheidende Vorteil künstlicher Intelligenz, für Patient und Arzt? „Die Zeitersparnis ist enorm, davon versprechen wir uns in der Medizin am meisten“, sagt der Experte. Zudem verbessere sich die Qualität der Diagnostik. „Wenn man 100 Röntgenbilder hintereinander betrachtet, dann geht automatisch irgendwann mal für drei Sekunden die Konzentration verloren, und die entsprechenden Bilder sind dann vielleicht nicht richtig befundet. Derlei Schwächen hat die KI nicht.“
Krankenhaus Hamburg: Erkennt KI Herzprobleme an der Stimme des Patienten?
Die Fortentwicklung von KI sei ein stetiger Prozess, in Zukunft sei vielleicht vieles möglich – zum Beispiel, dass KI am Klang der Stimme Herzprobleme erkennt? „Klar“, sagt der Chefarzt. „Ist der linke Vorhof, der anatomisch sehr dicht am Nerv des Stimmbandes liegt, stark vergrößert, dann kann eine Heiserkeit entstehen. Davon war schon vor mehr als 100 Jahren in Lehrbüchern der Medizin die Rede. Ein Algorithmus kann das aber womöglich sehr viel schneller und besser analysieren.“ Dennoch warnt Dr. Gerian Grönefeld vor einer „Fehleranfälligkeit“: „Insbesondere Heiserkeit ist ja nun sehr unspezifisch, da muss man also schon genau hinschauen.“
In der Radiologie sei KI am weitesten verbreitet, doch auch in allen anderen Fachbereichen der Medizin gewönne sie an Einfluss. Auch in der Ausbildung von Medizinstudenten und Medizinstudentinnen komme sie vor. „Auf verschiedenen Ebenen“, sagt der Mediziner und lacht. „Wenn Sie da eine Klausur ansetzen, können Sie davon ausgehen, dass drei Viertel der Arbeiten mithilfe künstlicher Intelligenz geschrieben werden.“ Noch ganz traditionell lege man in Hamburg an der Asklepios Medical School deshalb weiterhin großen Wert auf mündliche Prüfungsgespräche.
KI in der Medizin: In wenigen Jahren spielt sie in Kliniken und Praxen eine größere Rolle
Fachlich gehe es aber vor allem darum, die angehenden Ärztinnen und Ärzte auf den Alltag in Kliniken und Praxen vorzubereiten. „Denn in vier, fünf Jahren, wenn sie praktizieren, wird KI schon eine wesentlich größere Rolle spielen.“
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Wird KI den menschlichen Arzt ersetzen können? Und ist der technologische Fortschritt wirklich nur Segen – insbesondere, da schon jetzt kritisiert wird, dass die „sprechende Medizin“ zu wenig Raum einnehme? „Nein, ich denke, der Mensch sucht den Menschen, das wird immer so bleiben“, sagt der Hamburger Chefarzt. „Wenn Sie auf eine synthetische Stimme antworten, die ihr Wissen allein aus dem unendlichen Blödsinn des Internets geschöpft hat, werden Sie irgendwann merken: Der hat doch eine Macke.“
Was KI jedoch in wenigen Jahren sicher könne, sei zum Beispiel, einen sogenannten „Risiko Score“ genauer zu bestimmen. „Wahrscheinlich lässt sich dann deutlich die jeweilige Anfälligkeit für bestimmte Erkrankungen und vielleicht sogar die Lebenserwartung präzisieren“, so Dr. Gerian Grönefeld. „Und wenn man früh genug gewarnt wird, dass es da nicht so gut aussieht, lässt sich vielleicht gegensteuern.“ Im „richtigen, präventiven Maße individualisiert“ – das sei seine Hoffnung an die KI, sagt der Kardiologe.