Hamburg. Weil Martina Schenkewitz beim Umbau der Wulffschen Siedlung mitreden wollte, trat sie in die SPD ein. Beim Richtfest war sie Stargast.

Beim Richtfest in der Wulffschen Siedlung in Langenhorn steht Martina Schenkewitz ganz vorn. Vor ihr ragen drei Neubauten mit 79 Wohnungen empor, die zwei Bestandsgebäude mit 54 Wohnungen ersetzen. Anders als in anderen Quartieren in Hamburg etwa im Luthergrund in Bahrenfeld – wird diese Nachverdichtung von den Bewohnern und Bewohnerinnen begrüßt. Sie fordern sogar, dass alle 34 Häuserblöcke der Siedlung nach und nach ersetzt werden und so deutlich mehr als die jetzigen 546 Wohnungen entstehen.

An ihrer Spitze: Martina Schenkewitz. Sie hat 2010, als die ersten Gerüchte über Abriss- und Neubaupläne durchs Quartier waberten, einen Mieterbeirat gegründet und trat extra in die SPD Hamburg-Nord ein. „Ich wollte mir kein X für ein U vormachen lassen“, so die Postbotin, die seither dem Bauausschuss und dem Stadtentwicklungsausschuss angehört.

Langenhorn: Mieter kämpften vehement gegen Bürgerentscheid

Der schwerste Kampf der Mieter war aber der gegen den Bürgerentscheid „Stopp Langenhorn 73“, mit dem Anwohner rings um die Wulffsche Siedlung die Abriss- und Neubauplanungen verhindern wollten. Er wurde beendet, indem der Senat das Vorhaben an sich zog. Die Kommunikation mit den Eigentümern der Siedlung, der GWG-Gruppe und der Hawobau, sei dagegen stets fair verlaufen, betont Schenkewitz.

Das findet auch der GWG-Vorstandsvorsitzende Andreas Engelhardt. „Der Mieterbeirat hat immer beide Seiten gesehen und war nie auf Konfrontation, sondern auf Lösung ausgerichtet“, sagt er. Beim Richtfest behandelt er Martina Schenkewitz ein bisschen wie einen Stargast.

Wulffsche Siedlung in Hamburg: Hohe Politiker zu Gast in Mini-Wohnung

Nach seiner Rede kippen sie gemeinsam einen Korn. Und dann noch einen, denn die 61-Jährige soll für ein Foto mit aufs Dach – drei Stockwerke hoch. „Eigentlich meide ich alles, was höher ist als ein Küchenstuhl“, sagt sie, bevor sie die Bauleiter erklimmt. „Aber wenn man für etwas einsteht, muss man auch Flagge zeigen.“

Ein Archivbild aus dem Jahr 2011: Martina Schenkewitz aus der Wulffschen Siedlung steht in ihrem Badezimmer, um es der damaligen Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau zu zeigen. Der Raum ist so schmal, dass man sich zum Duschen an der Toilette vorbeidrängen muss.
Ein Archivbild aus dem Jahr 2011: Martina Schenkewitz aus der Wulffschen Siedlung steht in ihrem Badezimmer, um es der damaligen Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau zu zeigen. Der Raum ist so schmal, dass man sich zum Duschen an der Toilette vorbeidrängen muss. © Juergen Joost | Juergen Joost

Und das tat sie. Neben der Auseinandersetzung mit der Bürgerinitiative, den Debatten in der Bezirksversammlung und Hunderten Gesprächen als Mieterbeirätin empfing sie zahlreiche Politiker in ihrer nur 50 Quadratmeter großen Dreizimmerwohnung, darunter die damalige Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau. Sie wollte ihnen zeigen, wie aus der Zeit gefallen die meisten Mieter in der Wulffschen Siedlung leben. „Die Bäder sind viel zu schmal, die Kellerräume zu niedrig und eng, die Fassaden voller Risse und die Heizkosten hoch.“

Langenhorner Mieterin ist eine Art „Quartiershausmeisterin“

Auch, als vor sieben Jahren ihr Mann starb, gab sie nicht auf. Nachdem Politik und Eigentümer zum Schutz der Mieter eine Sozial-Charta ins Leben riefen und ihnen Ersatzwohnraum, Übernahme der Umzugskosten und Rückkehrrecht zugesichert wurden, sei es ruhiger geworden, so die 61-Jährige. „Doch noch heute bin ich in allen Belangen Ansprechpartnerin für die Mieter, sozusagen die Quartiershausmeisterin“.

Die Wohnung, in der sie lebt, ist seit 1942 in der Hand ihrer Familie. „Hier lebte meine Großmutter, hier sind mein Vater, meine Onkel und Tanten aufgewachsen“, sagt Martina Schenkewitz. Auch sie verbrachte ihre ersten Monate hier, dann zog sie mit ihren Eltern nach Norderstedt. Doch als die Großmutter starb, kehrte sie zurück, mit 16 Jahren. Später wohnte sie dort mit Mann und Sohn.

Langenhorn: Wulffsche Siedlung – „Häuser haben ihren Zenit erreicht“

„Ich bin hier sehr verwurzelt“, sagt Schenkewitz. Sie liebt ihr Reich und den kleinen Garten. Trotzdem will sie unbedingt innerhalb der Siedlung in eine neue Wohnung ziehen, und hofft, dass auch ihr Vermieter – die Hawobau – bald anfängt, neue Häuser zu bauen.

Eine Sanierung hilft aus ihrer Sicht nichts mehr. Entsprechend verständnislos reagiert sie, als Andreas Engelhard am Rande des Richtfests erwähnt, dass die GWG nach dem Bau von 50 weiteren Wohnungen bis 2028 prüfen wolle, ob man einige Bestandshäuser nicht auch modernisieren könne. „Die Häuser haben ihren Zenit erreicht“, kontert sie. „Und da Sanierungskosten umgelegt werden können, hätten wir am Ende zwar höhere Mieten, aber keine größeren Bäder und keine Barrierefreiheit.“

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Engelhardt kann das verstehen, will sich vielleicht auch nicht mit der streitbaren Mieterin anlegen. „Zum Glück haben wir es mit einem sehr kooperativen Bezirksamt zu tun“, sagt er. Denn es gibt ein Problem: Der Bebauungsplan ist zehn Jahre alt – und vieles hat sich seitdem geändert. Nicht nur die Anforderungen an Barrierefreiheit oder Energieeffizienz.

„Die Bäume hier sind enorm gewachsen, sodass die Baufenster tatsächlich kleiner geworden sind“, so der GWG-Chef. Wenn man sein Versprechen halten und nicht nur mehr, sondern auch größere Wohnungen schaffen wolle, müsse man darüber nachdenken, die Neubauten ein Geschoss höher als im Gestaltungsleitfaden zu bauen. Und während das in anderen Hamburger Quartieren bei vielen Anwohnern Schnappatmung auslöst, sagt Martina Schenkewitz gelassen: „Damit hätte ich kein Problem.“