Hamburg. Bewohner der Siedlung in Bahrenfeld kritisieren Neubaupläne scharf. Sie sprechen von „Turbokapitalismus“. Bauverein äußert sich.

Umgeben von alten Bäumen, dichtem Buschwerk und grünen Wiesen ragt mitten in Hamburg-Bahrenfeld eine Ansammlung von Mehrfamilienhäusern aus rotem Backstein empor. Eines davon ist seit seiner Fertigstellung vor fast 60 Jahren das Zuhause von Erika (84) und Ernst Müller (89). Als junges Ehepaar zogen sie in eine Dreizimmerwohnung in der Wohnsiedlung Luthergrund. Die Senioren freuen sich noch heute, dass sie die Wohnung damals per Losentscheid bekommen haben. Hier wuchsen ihre drei Kinder auf, spielten vor dem Waschhaus im Zentrum der Siedlung und schlossen erste Freundschaften mit den Nachbarskindern.

Nun sollen die Rotklinkerbauten durch Neubauten ersetzt werden – und das Ehepaar Müller und andere langjährige Bewohner bangen um ihr Zuhause. Als der Eigentümer der 162 Wohnungen, der Altonaer Spar- und Bauverein (Altoba), vor knapp drei Jahren seine Neubaupläne für die zehn Wohnblöcke in Bahrenfeld vorstellte, begann vor allem für die älteren Bewohner die Ungewissheit. Sie wollten ihre Wohnungen nicht verlassen, fühlten sich aber ungehört. „Man wurde vor vollendete Tatsachen gestellt“, erzählt Peter Rachow. Der 79-Jährige lebt seit 1985 in der Wohnung unter den Müllers.

Bahrenfeld: 162 Wohnungen in Hamburg vor Abriss – Anwohnern „bleibt die Luft weg“

Lange Zeit war unklar, ob die Pläne tatsächlich umgesetzt werden. Denn die Siedlung liegt in einem Gebiet mit sozialer Erhaltungsverordnung, die den Abriss von Bestandsgebäuden erschwert. Im Mai kam jedoch durch eine Kleine Anfrage der Altonaer Linksfraktion an das Bezirksamt die Gewissheit, dass die Altoba an ihren Plänen festhält und bereits Bau- und Abrissanträge für die ersten Gebäude vorbereitet.

Der Altonaer Spar- und Bauverein (Altoba) plant, die Siedlung Luthergrund schrittweise durch Neubauten zu ersetzen.
Der Altonaer Spar- und Bauverein (Altoba) plant, die Siedlung Luthergrund schrittweise durch Neubauten zu ersetzen. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Laut der Wohnungsbaugenossenschaft führe an einem Neubau trotz der damit verbundenen Unannehmlichkeiten kein Weg vorbei. „Die Wohnanlage Luthergrund hat hohen Erneuerungsbedarf. Wesentliche Gebäudebauteile haben das technische Nutzungsende erreicht“, sagt die Altoba-Sprecherin Silke Kok. Das überzeugt Ernst Müller, der sich nach eigenen Angaben sein Studium durch die Arbeit auf dem Bau finanziert hat, nicht. „Diese Anlage ist sanierungsfähig. Einem bleibt die Luft weg, wenn man das hört“, sagt Müller. „Dann könnte man auch halb Hamburg abreißen“, ergänzt Rachow.

Abrisspläne in Bahrenfeld: Bewohner befürchten Verdrängung durch Neubau

Den Grund für die Neubaupläne sehen die Bewohner in einem anderen Umstand. „Der Luthergrund war immer das Sahnestück des Vereins. Seitdem die nahe Autobahn abgedeckt ist, sind die auf die Idee gekommen, für eine andere Klientel zu bauen“, vermutet Erika Müller. „Man hat den Eindruck, in die Köpfe des Vorstands sind neue Ideen des Turbokapitalismus gedrungen“, fügt ihr Mann hinzu.

Altoba-Sprecherin Kok widerspricht: „Wir sind allein der wohnlichen Versorgung unserer Mitglieder verpflichtet. Es besteht keinerlei Motivation, mit einem Neubau andere, besser zahlende Kunden zu gewinnen.“ Man habe zudem allen Mitgliedern im Luthergrund das Versprechen gegeben, das Angebot zu erhalten, eine Neubauwohnung in der Siedlung anzumieten.

Bewohner der Siedlung Luthergrund in Hamburg-Bahrenfeld: Giesela Bockelmann (v. l.), Stefan Wübbe, Peter Rachow, Erika und Ernst Müller kämpfen um ihr Zuhause.
Bewohner der Siedlung Luthergrund in Hamburg-Bahrenfeld: Giesela Bockelmann (v. l.), Stefan Wübbe, Peter Rachow, Erika und Ernst Müller kämpfen um ihr Zuhause. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Siedlung Luthergrund – Bewohner: „Verein hat es versäumt, in Wohnanlage zu investieren“

Die älteren Bewohner können sich einen Umzug in einen der Neubauten, die sukzessiv entstehen sollen, aber nicht vorstellen. „Man sagt ja nicht umsonst, einen alten Baum soll man nicht verpflanzen. Ich weiß auch gar nicht, ob ich mich da noch einleben würde“, sagt Giesela Bockelmann. Auch die 86-Jährige lebt bereits seit 1965 in ihrer Wohnung. „Ab einem gewissen Alter sind Menschen weder von der Kraft noch vom nervlichen Zustand her in der Lage, ihr Zuhause einfach so zu verlassen“, so Ernst Müller.

Es gehe aber nicht nur ihr Zuhause verloren, sondern eine soziale Gemeinschaft insgesamt, erzählen die Bewohner des Luthergrunds. Diese Entwicklung habe sich schon seit Jahren abgezeichnet. „Der Verein hat es versäumt, ständig dabei zu bleiben und in die Wohnanlage zu investieren“, sagt Erika Müller. Silke Kok von Altoba kann das nicht nachvollziehen. Man führe bis zum Beginn der Arbeiten, deren Start für 2025 geplant ist, alle erforderlichen Instandhaltungsarbeiten in der Wohnanlage durch, versichert sie.

Mehr zum Thema

Bahrenfeld: 162 Wohnungen in Hamburg vor Abriss – Bewohner geben sich kämpferisch

Bereits jetzt bringe die Altoba allerdings Unruhe und Verunsicherung in die Wohngemeinschaft, kritisieren Erika und Ernst Müller. Wohnungen würden leer stehen, und ein ständiger Möbelwagenkorso sei in der Siedlung unterwegs. Laut Peter Rachow setze die Altoba Personen, deren Wohnungen an anderen Orten saniert werden, für kurze Aufenthalte in die leeren Wohnungen. Altoba-Sprecherin Kok bestätigt die Beobachtung: „Das ist korrekt.“ Stefan Wübbe (60), seit rund zehn Jahren Bewohner im Luthergrund, ist der Meinung: „Die Altoba versucht, hier die soziale Gemeinschaft zu senken.“

Wie es weitergehen soll, wissen die Bewohner nicht. „Es ist zermürbend“, sagt Peter Rachow. Sein Nachbar Ernst Müller gibt sich jedoch kämpferisch. „Wir lassen uns hier nicht hinausschmeißen. Ich gehe davon aus, dass es zu einem Rechtsstreit kommt“, sagt der Rentner.

Auch Giesela Bockelmann hat neuen Mut geschöpft und erzählt, dass sie neuerdings auf Demonstrationen für die Rechte von Mietern geht. Mehr Unterstützung erhoffen sich die älteren Bewohner auch von jüngeren Nachbarn im Luthergrund. Für das kommende Sommerfest in der Siedlung haben sie sich vorgenommen, diese aktiv anzusprechen.