Hamburg. Initiative kämpfte für den Erhalt, Bezirkspolitiker wollten am Montag beraten. Doch der Investor kam ihnen mit Abrissbaggern zuvor.
Die Drucksache 123.70-24 trägt den Titel „Drohender Abriss der Villa und Neubauprojekt“, am Montag will der Regionalausschuss der Bezirksversammlung Nord im Großen Sitzungssaal ab 18.30 Uhr über die Eingabe einer Bürgerinitiative beraten. Sie will verhindern, dass das markante Gebäude an der Alsterdorfer Straße 386 dem Erdboden gleichgemacht wird. Der Antrag der Initiative umfasst zehn DIN-A4-Seiten mit 20 Anlagen, darunter Fotos, Zeichnungen und Behördenschreiben.
Abriss der Villa in Alsterdorf hat längst begonnen
Die Mühe dürfte vergebens gewesen sein. Denn wenn die Bezirkspolitiker beraten, hat der Abriss längst begonnen. Am Donnerstag rollte der erste Bagger an, in den kommenden zwei bis drei Wochen wird der 1905 erbauten Gründerzeitvilla der Garaus gemacht. Dort sollen sieben dreigeschossige Stadthäuser entstehen, ergänzt jeweils mit einem Staffelgeschoss.
Initiative legt Entwürfe für eine alternative Bebauung vor
Ende Februar hatte das Abendblatt über den Protest der von Anwohnern gegründeten Bürgerinitiative berichtet. Sie fürchten um ihr Quartier. Sie sehen den Charakter des Kiefernhains als verkehrsberuhigte Spielstraße in Gefahr. Die Stadthäuser seien viel zu wuchtig, passten nicht in das städtebauliche Konzept. In den vergangenen Wochen hat die Initiative den Kampf fortgesetzt, Politiker und Behörden mobilisiert.
Die Bewegung legte nun sogar erste Entwürfe für eine alternative Bebauung des Grundstücks vor: Die Villa, umgebaut zu mindestens zwei Wohneinheiten, könne erhalten bleiben, das Grundstück sei dann immer noch groß genug für drei Stadthäuser.
Diese Pläne sind nun Makulatur. Die Initiative mutmaßt, dass der Bauträger habe Fakten schaffen wollen, bevor die Bezirkspolitik den Plan noch einmal hätte korrigieren können.
Bauträger weist die Vorwürfe zurück
Henning Witt, Prokurist und Gesellschafter des Bauträgers Tomczak, weist diesen Vorwurf entschieden zurück. Weder die Initiative noch die Bezirkspolitik hätten seiner Firma gegenüber Einwände gegen den Abriss geäußert. Zudem sei der Eindruck falsch, es handele sich bei der Villa um ein Haus, das Denkmalschutz genießen könne: „Wir verstehen grundsätzlich das Interesse, ein solches Gebäude zu erhalten, da es von außen sehr ansprechend wirkt. Allerdings hat die Villa mit dem Charakter eines Denkmals überhaupt nichts zu tun. Das Gebäude wurde immer wieder überformt, das Fachwerk ist an vielen Stellen nur mit Farbe aufgetragen.“
Eine Stellungnahme des Denkmalschutzamtes stützt diese Einschätzung: „Das Haus hat schon äußerlich zu viele Veränderungen erfahren, als dass es noch als Denkmal gewertet werden könnte. So sind nicht nur alle Fenster und Türen erneuert worden, es hat auch zur Straße und zur Rückseite überdimensionierte Gauben erhalten, an der Rückseite wurden zudem Fenster zu Fenstertüren erweitert. Offenbar ist das Gebäude zudem mindestens in Teilen neu und ohne Rücksicht auf historische Oberflächen verputzt worden.“
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Hamburger Denkmalverein hält Abriss für einen Fehler
Kristina Sassenscheidt, Geschäftsführerin des Hamburger Denkmalvereins, hält den Abriss dennoch ökologisch wie architektonisch für einen Fehler: „Der Abriss der Villa ist sehr bedauerlich, weil sie den Stadtteil prägt und zu seiner Identität gehört. Auch wenn sie zu stark überformt ist, um unter Denkmalschutz gestellt zu werden, war sie offenbar frisch saniert und hätte sicherlich gut weitergenutzt werden können.“ Dass das Fachwerk keine tragende Funktion hatte, sei „kein architektonischer Mangel, sondern durchaus üblich für Bauten des Historismus, bei denen Fachwerk-Optik gerne als Stilmittel eingesetzt wurde“.
Der Bauträger verweist dagegen auf die enorme Nachfrage: „Wir haben schon jetzt zahlreiche Interessenten für die geplante Immobilie. Wir schaffen mit unserem Projekt dringend benötigten Wohnraum, gerade für Familien.“ Also alles im Sinne der ambitionierten Wohnungsbaupolitik des Senats.
Und doch wirkt der Termin des Abrisses überraschend. Denn noch im Februar hatte Witt auf Abendblatt-Nachfrage erklärt, erst abreißen zu wollen, wenn die Baugenehmigung vorliegt: „Alles andere macht keinen Sinn. Wird die Zeitspanne zwischen Abriss und Neubau zu groß, würden wir riskieren, dass die Baugrube mit Wasser vollläuft.“
Corona ein Grund für schnellen Abriss
Und genau diese Baugenehmigung des Bezirks hat Tomczak nach wie vor nicht. Witt erklärt die Entscheidung für den Abriss zu diesem Zeitpunkt nun mit „terminlichen Gründen“: „Das Baugewerbe ist stark nachgefragt. Wenn wir den Abriss verschoben hätten, hätten wir eventuell Monate auf einen neuen Termin warten müssen.“ Corona habe die Probleme weiter verschärft.
Laut Behörde durfte die Villa jederzeit ohne eine weitere Genehmigung abgerissen werden. Das Haus sei weder denkmalgeschützt, noch gelte eine städtebauliche Erhaltungsverordnung. Auch statische Zwänge würden nicht vorliegen. Bei dem Abriss handele es sich um ein „verfahrensfreies Vorhaben“.
Martina Lütjens, für die CDU in der Bezirksversammlung, ist dennoch mit dem Termin nicht einverstanden. Sie kritisiert, dass die Bagger nun rollen, bevor der Ausschuss überhaupt beraten konnte: „Ich finde das empörend. Wir in der CDU hätten uns auf jeden Fall für den Erhalt der Villa eingesetzt.“