Hamburg. Wie Politik und Bürger mit der steigenden Zahl der Flüchtlinge umgehen und wo die sieben Bezirke Unterkünfte planen. Heute: Nord.
Das helle, vierstöckige Gebäude liegt idyllisch an der Osterbek. Mehr als 40 Jahre lang saß hier an der Hufnerstraße in Barmbek die Firmenzentrale der Restaurantkette Block House. Seit diese vor Kurzem nach Hummelsbüttel zog, steht es leer. Auf Initiative von Unternehmensgründer Eugen Block ziehen im Spätherbst rund 150 Flüchtlinge in das Gebäude ein. Block hatte die ehemalige Geschäftszentrale spontan angeboten, weil er nach eigenen Worten „die Not der Flüchtlinge lindern und ihre Integration erleichtern“ wollte. Die Lage des Standorts – mitten im Stadtteil, mit einer guten Verkehrsanbindung – gilt dafür als ideal.
Die Hufnerstraße ist eine von drei neuen Einrichtungen, die in diesem Jahr in ehemaligen Barmbeker Gewerbeimmobilien entstehen. Nachdem die Containerstadt am S-Bahnhof Friedrichsberg aufgrund der ungünstigen Lage und eine Unterbringung am Wiesendamm wegen nicht eingehaltener Brandschutzbestimmungen nicht realisiert wurden, fasste der Bezirk Hamburg-Nord die Standorte Heinrich-Hertz-Straße 116 und Holsteinischer Kamp 51 ins Auge. Unter der Trägerschaft von „Fördern & Wohnen“ werden dort demnächst rund 100 Flüchtlinge einziehen.
Momentan hat der Bezirk Hamburg-Nord in den 14 Erst- und Folgeunterbringungen Platz für gut 3200 Flüchtlinge. Nach aktuellen Planungen sollen in diesem Jahr mindestens 1100 weitere Zuwanderer untergebracht werden. Sieben zusätzliche Einrichtungen sind in Planung, weitere Flächen werden geprüft. „Der aktuelle Druck führt auch dazu, dass Flächen, die vor einem Jahr noch als ungeeignet eingestuft worden waren, jetzt erneut in den Fokus rücken“, sagt Bezirksamtsleiter Harald Rösler (SPD).
Die Hilfsbereitschaft der Anwohner sei enorm. In der Regel gebe es im Bezirk Hamburg_Nord, der seit vielen Jahren Erfahrung mit Unterkünften für Flüchtlinge und Obdachlose habe, keine nennenswerten Probleme und deshalb auch keine Proteste. An der Feuerbergstraße, in deren Umfeld einige kriminelle Jugendliche vor einigen Monaten für Unruhe gesorgt hatten, herrsche nach Eingreifen der Sozialbehörde, des zuständigen Landesbetriebs, der Polizei und des Bezirks wieder Ruhe. Dennoch mahnt Rösler: „Wir müssen uns gemeinsam darum kümmern, dass dieses friedliche Neben- und Miteinander auch in den kommenden Monaten Bestand hat.“
Noch leben die Flüchtlinge im Bezirk Hamburg-Nord überwiegend in festen Gebäuden, die zum Teil umfunktioniert wurden. Seit Ferienbeginn etwa wird die Stadtteilschule Langenhorn am Grellkamp, die wegen zu
geringer Anmeldezahlen Ende des Schuljahres ohnehin geschlossen wurde, als weitere Zentrale Erstaufnahme (ZEA) für bis zu 550 Flüchtlinge genutzt. In der bestehenden Zentralen Notaufnahme an der Sportallee in Groß Borstel finden derzeit 362 Personen Platz; in den Erstaufnahmen für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge an der Feuerbergstraße, dem Jugendparkweg und Hohe Liedt insgesamt 95.
Bei den Standorten Opitzstraße in Winterhude (330 Plätze) und Fiebigerstraße in Langenhorn (213 Plätze) sind die Flüchtlinge in Anlagen mit separaten Wohnungen untergebracht. In Gemeinschaftsunterkünften leben sie am Alsterberg/Surenkamp (260 Plätze), am Jugendparkweg (wird dieses Jahr von 160 auf 350 Plätze erweitert), am Hornkamp (83 Plätze), an der Langenhorner Chaussee (80 Plätze) und Erdkampsweg (64 Plätze). Während die Flüchtlinge dort noch in festen Gebäuden wohnen, können ihnen in den Gemeinschaftsunterkünften am Tessenowweg (336 Plätze), Dakarweg (244 Plätze) und Borsteler Chaussee (94 Plätze) nur Notcontainer und Pavillons zur Verfügung gestellt werden. Am Eschenweg (300 Plätze) und an der Hebebrandstraße (140 Plätze) leben sie in Wohncontainern.
Zusätzlich zu den Standorten Hufnerstraße, Heinrich-Hertz-Straße (116 Plätze) und Holsteinischer Kamp (100 Plätze) entstehen neue Unterkünfte mit Wohncontainern an der Freiligrathstraße (200 Plätze) in Hohenfelde, am Heselstücken (500 Plätze) in Groß Borstel und auf dem Park+Ride-Parkplatz Kiwittsmoor in Langenhorn (die Größe ist noch unklar). Um künftig mehr minderjährige unbegleitete Flüchtlinge unterbringen zu können, werden zwei neue Containerdörfer am Lerchenfeld (37 Plätze) auf der Uhlenhorst und an der Langenhorner Chaussee (80 Plätze) errichtet.
Momentan liegt der Prozentsatz der Flüchtlinge in Hamburg-Nord mit seinen 285.000 Einwohnern bei 1,12 Prozent. Auf 89 Einwohner kommt also ungefähr ein Flüchtling – ein moderates Verhältnis. Vielleicht ist deshalb der Widerstand der Menschen gegen Flüchtlingsunterkünfte gering. Vereinzelte Proteste vor dem Einrichten einer Unterkunft gab es nur am Eschenweg und am Holsteinischen Kamp, was aber wohl vor allem an der verspäteten Information der Anlieger lag.
Allein in Barmbek kümmern sich500 Ehrenamtliche um die Flüchtlinge
Großen Zulauf dagegen verzeichnet die im September 2014 gegründete Initiative „Welcome to Barmbek“. Von den mittlerweile 500 Unterstützern kümmern sich etwa 100 Aktive um die Flüchtlinge an Tessenowweg und Dakarweg. „Die Barmbeker begegnen den Neuankömmlingen pragmatisch und aufgeschlossen“, sagt Mitinitiatorin Julia Rauner.
Bislang helfen die Ehrenamtlichen bei der Essenausgabe der Hamburger Tafel, organisieren in Absprache mit der Unterkunftsleitung gezielte Spendenaktionen und begleiten Neuankömmlinge beim ersten Behördengang. Noch handelt es sich bei den von ihnen betreuten Flüchtlingen hauptsächlich um Männer. In die drei neuen Barmbeker Einrichtungen werden viele Familien ziehen. „Dadurch wird sich unser Aufgabenspektrum erweitern“, sagt Julia Rauner. Sie hofft, dass sich weitere Interessierte melden, damit sich die Flüchtlinge willkommen fühlen (mail@welcome-to-barmbek).
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