Hamburg. Wo die sieben Bezirke neue Unterkünfte planen und wie Politik und Bürger mit der steigenden Zahl der Asylbewerber umgehen.
Wenn man erfahren will, wie schnell die Zahl der Flüchtlinge, die vor Krieg und Armut nach Hamburg kommen, steigt, dann lohnt ein Blick nach Eimsbüttel. In wenigen Wochen wird sich die Zahl der Schutzsuchenden in diesem Bezirk mehr als verdoppeln. Bislang hat Eimsbüttel 1450 Unterkunftsplätze zur Verfügung gestellt. Allein Anfang August kommen noch einmal rund 1700 dazu. Wie die Innenbehörde am gestrigen Montag bekannt gegeben hat, wird Ende August oder Anfang September auf einem Parkplatz an der Straße Flagentwiet (Schnelsen) am Stadtrand eine neue Unterkunft für allein 1000 Menschen errichtet.
Innenbehörde und Bezirk informieren zunächst die Nachbarschaft mit Handzetteln und später am 12. August auf einer Versammlung der Bait-ur-Rasheed-Moschee an der Pinneberger Straße 46 über die Pläne. Wie berichtet, wird bereits Anfang August auf dem Parkplatz des Fachbereichs Informatik an der Ecke Vogt-Kölln-Straße/Wördemanns Weg (Stellingen) eine Notunterkunft für 600 Flüchtlinge entstehen. Am morgigen Mittwoch um 18 Uhr wird im Haus der Jugend (Sportplatzring 71) darüber informiert. Hinzu kommen 112 Plätze auf der P+R-Fläche am Niendorf Markt.
Für Eimsbüttel bedeuten allein diese drei neuen Standorte eine große logistische Leistung. Der Bezirk ist mit 250.000 Bewohnern dicht besiedelt. Eimsbüttel ist der Bezirk mit den meisten Einwohnern pro Quadratmeter und dem geringsten Potenzial an freien und vor allem in öffentlicher Hand befindlichen Flächen in Hamburg.
Zwei neue Standorte am Lohkoppelweg in Lokstedt (38 Plätze) und die Zentrale Erstaufnahme an der Niendorfer Straße mit 320 Plätzen sind in diesem Jahr bereits entstanden – weitere neue Plätze werden nach jetziger Planung in Eimsbüttel nicht hinzukommen. Die Planung ändert sich allerdings fast täglich. Obwohl der Bezirk bislang die wenigsten Menschen aufnimmt, hat der Widerstand gegen die Unterbringung in der Nachbarschaft mit der erfolgreichen Klage gegen Flüchtlinge im ehemaligen Kreiswehrersatzamt an der Harvestehuder Sophienterrasse nicht nur in Hamburg, sondern deutschlandweit für Diskussionen gesorgt.
An der Sophienterrasse in Harvestehude ändert die Stadt nun das Planrecht
220 Plätze waren im ehemaligen Kreiswehrersatzamt geplant. Eigentlich sollten diesen Sommer die ersten Flüchtlinge einziehen. Dann kam der Baustopp, weil Anwohner dagegen klagten. Gegen die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes Hamburg, das Ende Januar den Baustopp verhängt hatte, hat das Bezirksamt Eimsbüttel Beschwerde eingereicht. Diese wurde im Juni vom Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen: Es bleibt beim Baustopp. Mit einer Änderung des Planungsrechts versuchen Bezirk und Hansestadt nun, ihr Ziel zu erreichen – frühestens in einem Jahr sollen in dem umgebauten Gebäudekomplex dann 200 Flüchtlinge untergebracht werden. „Bevor wir jahrelang prozessieren, wollen wir das veraltete Planrecht den aktuellen Gegebenheiten anpassen“, sagte Bezirksamtsleiter Torsten Sevecke (SPD). Er rechnet damit, dass der Bezirk im ersten Quartal nächsten Jahres die Baugenehmigung erteilen kann.
Tausende bei Abendblatt-Spendenaktion
Klagen gegen Flüchtlinge in der Nachbarschaft gibt es auch am geplanten Standort Hagendeel in Lokstedt. Dort sind zunächst 288 Plätze in Pavillons angedacht, eine Baugenehmigung für den ersten Abschnitt liegt vor. Der Baubeginn ist erst nach Abschluss der Widerspruchsverfahren. 250 weitere Plätze in Pavillons sollen folgen. Der Eröffnungstermin hat sich immer wieder verschoben. Jetzt wird das zweite Quartal 2016 angepeilt. Anwohner sorgen sich um den fehlenden Hochwasserschutz, wenn das Gelände für die Unterbringung versiegelt wird.
Die CDU-Bezirksfraktion hält den Standort Hagendeel für gar nicht schlecht, sieht aber die rechtlichen Grundlagen noch nicht geklärt. „Das Bezirksamt Eimsbüttel hat sich bereits am Offakamp und an der Sophienterrasse eine Fehleinschätzung der rechtlichen Grundlage geleistet“, sagt Rüdiger Kuhn, CDU-Fraktionschef. Zum Hintergrund: Die geplante Unterbringung von Flüchtlingen auf dem Gelände des ehemaligen Recyclinghofes am Offakamp war gerichtlich untersagt worden.
Die Grünen in Eimsbüttel sind mit dem Standort Hagendeel nicht glücklich, sehen aber keine Alternative: „Nach ergebnisloser Prüfung von weiteren rund 200 Flächen haben auch wir uns für die Errichtung einer öffentlichen Unterbringung auf einem Teil der Fläche am Hagendeel ausgesprochen“, sagt Fraktionschef Volker Bulla. Dennoch: Die Einrichtung erreiche mit 528 Plätzen eine Größe, die nicht den Vorstellungen von Aufenthalts- und Lebensqualität entspreche und dem Integrationsgedanken entgegenstehe.
Und so wird auch Kritik an den Standorten laut. Etwa beim P+R-Platz am Niendorf Markt. Dieser wird von allen Parteien kritisch gesehen. „Die Tibarg-Händler wurden nicht informiert“, so Rüdiger Kuhn. Ab 1. August werden Wohncontainer für 112 Flüchtlinge aufgestellt. Wann sie dort einziehen, ist noch unklar. 114 Stellplätze für Autos fallen weg. „Bis heute gibt es vom Senat keinen klaren Plan zur Flüchtlingspolitik“, sagt Zaklin Nastic von der Fraktion Die Linke im Bezirk. Der Senat habe seit Jahren keine erkennbare Strategie zur Flüchtlingsunterbringung. „Dadurch werden erneut der Bezirk und die Bürger durch Polizeirecht außen vor gelassen. Die Zahl der ankommenden Asylsuchenden ist keine Überraschung für diejenigen die sich ernsthaft mit diesem Thema auseinandersetzen“, so Nastic.
Aktuell im Gespräch ist eine Not-Unterkunft auf dem Uni-Gelände. Die Universität hat der temporären Nutzung eines Areals an der Ecke Sedanstraße/Bundesstraße zugestimmt, da sich geplante Bauarbeiten in der Gegend verzögern. Damit kann der Bezirk Eimsbüttel nun mit der Prüfung beginnen, inwiefern die Fläche geeignet ist – ob dort Strom- und Wasserleitungen vorhanden sind. Zaklin Nastic: „Der Bezirksamtsleiter hat einst gesagt, dass es keine Zelte in Eimsbüttel geben würde. An diese Aussage werden wir Linken ihn erinnern müssen.“
In Eimsbüttel gibt es auch eine große Bereitschaft, Flüchtlingen zu helfen
Doch es gibt nicht nur Klagen. Anwohner haben sich bereits durch große Hilfsbereitschaft ausgezeichnet. Das Engagement weitet sich stetig aus. Mit zu den Pionieren gehört die Initiative Herzliches Hamburg, die unter anderem an der Lokstedter Höhe in Stellingen aktiv ist. 132 Plätze gibt es dort in Wohncontainern. Auf der ersten Informationsveranstaltung in der Grundschule Döhrnstraße, noch ehe die ersten Flüchtlinge im September 2013 die Container gegenüber vom Tierpark Hagenbeck überhaupt bezogen hatten, wurde der Ruf nach Hilfe für die Flüchtlinge laut. „Das Wegschauen ist schwerer als das Dabeisein“, sagte Julia Karnick aus Niendorf anfangs über ihr Engagement. Sie hatte über die Facebook-Gruppe „HH – Herzliches Hamburg: Hilfe für Flüchtlinge“ zu Beginn die Ausstattung für den Spielecontainer gesammelt. Inzwischen engagieren sich Ehrenamtliche aus verschiedenen Hilfsprojekten sowie der Kirchengemeinde. Sie geben Deutschunterricht für die Flüchtlinge, organisieren Freizeitaktivitäten, begleiten Flüchtlinge bei Behördengängen.
Auch wenn das Potenzial an freien Flächen fast ausgeschöpft zu sein scheint, gelingt es dem Bezirk immer wieder, Flüchtlinge auch in leer stehende Wohnungen unterzubringen. Etwa am Grandweg. Dort leben derzeit 184 Menschen in Wohnungen. Genau wie an der Lokstedter Höhe ist auch hier die nachbarschaftliche Hilfe groß. So ist unter anderem die Gruppe „Herzliches Lokstedt“ aktiv und hat Deutschunterricht, Hausaufgabenhilfe und eine Kleiderkammer aufgebaut.
Was die steigenden Flüchtlingszahlen bewirken, wird sich zeigen. Die Stimmung in Eimsbüttel sei gut, sagen Bezirkspolitiker. „Sie kippt aber, wenn wie angekündigt auch Grünflächen für die Unterbringung genutzt werden“, sagt CDU-Mann Rüdiger Kuhn. „Das wäre der Super-GAU.“