Hamburg. Wo Bezirke neue Unterkünfte planen und wie Politik und Bürger mit steigenden Flüchtlingszahlen umgehen. Heute: Wandsbek.
In Wandsbek heißen die Brennpunkte Jenfeld und Poppenbüttel. Ein armer und ein reicher Stadtteil im Bezirk der harten Einkommenskontraste. In Jenfeld verhinderten aufgebrachte Nachbarn zunächst den Aufbau einer Zeltstadt für 800 Neuankömmlinge. In Poppenbüttel kamen rund 550 Anwohner zu einer Anhörung zur geplanten Unterbringung am Poppenbütteler Berg und machten ihrem Unmut deutlich lauter Luft, als es die regierende SPD gewohnt war. Obwohl im Vorfeld eine gut organisierte Anwohnerinitiative für die allseits erwünschte Willkommenskultur getrommelt hatte und Bürgerinformationsabende generell nicht von Zimperlichkeit geprägt sind.
Die Kritik der Protestler entzündet sich an immer derselben Frage: der Informationspolitik. In Jenfeld war sie schlicht ganz ausgefallen, wofür sich Staatsrat und Senator unter Hinweis auf eine „Notsituation“ später auch entschuldigten. In Poppenbüttel gab es im Vorfeld ein langes Verwirrspiel um Kleine Anfragen der CDU in der Bürgerschaft, deren Beantwortung durch die Behörden den gesetzlich vorgeschriebenen Willen zur Transparenz vermissen ließen.
„Die Offiziellen tricksen und täuschen“, lautet der Vorwurf hier wie dort. Der gern als mündig umworbene Bürger werde ferngehalten von entscheidungsrelevantem Faktenwissen und demokratischen Beteiligungsprozessen und stattdessen stets vor vollendete Tatsachen gestellt. Als könnte er ohne Gängelung durch Regierungsparteien und Verwaltung nicht zu akzeptablen Ergebnissen kommen.
Tatsächlich schleuderte die in Flüchtlingsdebatten kampferprobte Wandsbeker SPD-Fraktionschefin Anja Quast einem Unterkunftskritiker genau das entgegen: „Ich habe noch an keiner Stelle der Stadt vor Ort den Satz gehört: Bei uns könnte es gehen mit der Unterbringung.“ Das ist übertrieben, aber es trifft den Kern trotzdem. Nicht nur der Bürger hat Angst. Politik und Verwaltung haben sie auch.
Sie glauben nicht daran, dass der Bürger aus aufklärerisch motivierter „Einsicht in die Notwendigkeit“ Platz macht und teilt. Sie glauben, dass der Bürger redend und mitbestimmend Zeit schinden will, auf dass der Kelch an ihm vorübergehe. Dass er die Einrichtungen nur „zu groß“ und „letztlich auch für Flüchtlinge ungeeignet“ nennt, um sie unmöglich zu machen. Dass er erst mit Worten klagt und dann mit Anwälten.
An der Sieker Landstraße (Rahlstedt), am Lademannbogen (Hummelsbüttel), am Lottbeker Weg und der Rodenbeker Straße (Bergstedt), am Volksdorfer Grenzweg und am Poppenbütteler Berg (Poppenbüttel) sind „Unterbringungen“ in Vorbereitung. Die Grunewaldstraße (Rahlstedt) wird aufgestockt. Der Volksdorfer Buchenkamp, wo die Stadt eine Fläche kaufen müsste, ist „noch nicht vom Tisch“, heißt es. Die „Zirkuswiese“ vor dem Siemerschen Hof an der Bergstedter Chaussee wird hoch gehandelt, allerdings nur in der Gerüchteküche.
Behörden und Bezirksamt hüllen sich in Schweigen. Was als zu nutzende Fläche noch nicht beschlossen ist in der sogenannten Lenkungsgruppe aus Behörden- und Bezirksvertretern, wird weder dementiert noch bestätigt. Klar gesagt ist: Jeder Stadtteil soll eine Einrichtung bekommen. Verstärkt wird also gesucht, wo noch nichts steht. Das sind Sasel, wo es nur eine kleine Unterkunft für minderjährige Flüchtlinge am Petunienweg gibt, Tonndorf, Lemsahl-Mellingstedt, Wohldorf-Ohlstedt und der Rahlstedter Ortsteil Meiendorf.
Ein Trend zeichnet sich ab: Die vorübergehenden Unterbringungen sollen durch langfristige ersetzt werden. Für den Poppenbütteler Berg werden schon Bebauungspläne gemacht, um für Wohnungslose dauerhaft Sozialwohnungen zu schaffen. Als „Zwischennutzung“ werden Container aufgestellt, bis der Bau fertig ist und umgezogen werden kann.
Die Nachbarschaftshilfe läuft sehr gut in Wandsbek: In Farmsen, wo es harsche Kritik und eine rechtskonservative Demo gegen die schrittweise Unterbringung von 750 Flüchtlingen an der August-Krogmann-Straße gab, hat der runde Tisch erfolgreich gearbeitet. Mit der von der Mietergenossenschaft Gartenstadt Farmsen (mgf) ins Leben gerufenen ehrenamtlichen Fahrradwerkstatt zum Beispiel. Sie sammelte bisher gut 100 Schrotträder, richtete auf dem Gelände von Fördern & Wohnen eine Werkstatt ein und machte die Räder mit einigen Flüchtlingen wieder flott. Auch Flüchtlinge schrauben gern, und gemeinsames Arbeiten verbindet. Es macht auch mobil: Die Neu-Farmsener kommen bargeldlos in die City und wieder zurück.
Eine Unterstützerinitiative wurde mit dem Bürgerpreis ausgezeichnet
Der „UnterstützerInnenkreis Flüchtlingsunterkunft Litzowstraße“ in Wandsbek-Kern ließ die Flüchtlinge unter theaterpädagogischer Anleitung ihre oft monatelange Odyssee auf die Bühne im Wandsbeker Kulturschloss bringen. Das hilft den einen beim Verarbeiten, den anderen beim Verstehen von Schicksalen. Und es brachte der Initiative den mit 10.000 Euro dotierten Preis der Hamburger Bürgerstiftung ein.
Ehrenamtliche Arbeit braucht viel Geduld. Auch in überraschenden Hinsichten: Am Volksdorfer Grenzweg läuft sich der Freundeskreis seit gut eineinhalb Jahren nur warm. Schon Anfang 2014 hatten die 170 Flüchtlinge einziehen sollen. Bislang steht nur der Rohbau. Der Einzug wurde im Vierteljahresrhythmus verschoben. Jetzt soll der Innenausbau zum September fertig sein. Fördern & wohnen erklärte die Verzögerungen mit Personalmangel und dem „sprunghaft gestiegenen Bedarf an Wohngebäuden“. In der hauseigenen Bauabteilung hätten erst Ingenieure für die Bauplanung eingestellt werden müssen. Aber die Initiative hat die Zeit genutzt und mittlerweile sogar zwei Psychologen und eine profilierte Pädagogin gewonnen, die ehrenamtlich Trauma-Therapie anbieten wollen.
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