Hamburg. Sarah Müller (34) hat sich bewusst gegen Nachwuchs entschieden. Was ihre Gründe sind und warum sie sich permanent rechtfertigen muss.
Wie oft sie diese Frage schon gehört hat, kann Sarah Müller nicht mehr zählen. „Wann ist es denn bei euch so weit mit dem Nachwuchs?“ Müller ist 34 Jahre alt, hat eine glückliche Partnerschaft, eine schöne Wohnung in der HafenCity in Hamburg und spätestens, seitdem sie vor eineinhalb Jahren geheiratet hat, ist für viele in ihrem Umfeld klar: Jetzt kommen sicher bald die Kinder.
Was Sarah Müller auf die Frage antwortet, hängt vom Gegenüber ab. Und von ihrer Laune. Manchmal bleibt es bei einem „mal gucken“, in anderen Fällen verweist sie auf den Klimawandel, sagt, sie wisse nicht, ob sie in diese Welt ein Kind setzen möchte. Seltener sagt sie, was sie wirklich fühlt: „Ich möchte einfach keine Kinder, verspüre keinen Mutterinstinkt und ich finde mein Leben schön, wie es ist.“ Weil sie für diese Haltung oft Kritik erfährt und als egoistisch und verantwortungslos bezeichnet wird, möchte sie ihren wahren Namen nicht in der Zeitung lesen.
Hamburg ist die Hochburg der kinderlosen Frauen – Sarah Müller ist eine davon
Dabei ist Müller mit ihrer Einschätzung bei Weitem nicht allein. Laut Mikrozensus 2022 ist der Anteil der kinderlosen Frauen bundesweit in Hamburg am höchsten. Demnach sind hier 29 Prozent der Frauen von 45 bis 54 Jahre kinderlos.
Persönliche Gründe für die Kinderlosigkeit wurden in dem Zusammenhang nicht erhoben. Und da es natürlich auch ungewollt kinderlose Frauen gibt, sind die 29 Prozent nur bedingt aussagekräftig. Interessant ist allerdings die Korrelation zwischen Bildungsgrad und Kinderlosigkeit, die ebenfalls über den Zensus erhoben wurde. Demnach sind Frauen mit akademischem Bildungsabschluss häufiger kinderlos als Nichtakademikerinnen.
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Ebenfalls spannend: Eine repräsentative Studie aus dem vergangenen Jahr, bei der gewollt kinderlose Frauen befragt wurden, hat ergeben, dass meist ganz persönliche Gründe ausschlaggebend für die Entscheidung waren. Also etwa der Wunsch nach Freiheit und Selbstverwirklichung.
Hamburgerin und ihr Mann genießen das Leben ohne Kinder
Auch bei Sarah Müller sind diese Punkte ausschlaggebend. Sie hat studiert, hat einen gut bezahlten Job im Personalmanagement bei einer Bank, arbeitet in Vollzeit. „Durch zwei gute Einkommen können mein Mann und ich uns einen Lebensstil erlauben, der uns beiden gefällt und den wir nicht missen wollen“, sagt sie 34-Jährige.
Konkret heißt das: gutes Essen, Restaurantbesuche, Konzerte, spontane Treffen mit Freunden und viele Reisen. „Wenn wir keine Lust auf das Hamburger Mistwetter haben, dann fliegen wir halt für ein langes Wochenende nach Italien“, sagt sie. „Genau dieses Leben mögen wir, und mit einem Kind könnten wir es so nicht weiterführen.“
Doch was sich für Müller „komplett und perfekt“ anfühlt, sorgt bei anderen nicht selten für Irritationen. Viele glauben: Das mit den Muttergefühlen, das würde schon noch kommen. Manche sagen zu Müller: „Du wirst deine Meinung noch ändern.“
Kinderlose Hamburgerin: „Persönliche Fragen zu dem Thema sind unerhört“
Kommentare wie diese ärgern Sarah Müller. „Es ist eine private und sehr persönliche Entscheidung und ich verstehe nicht, warum alle Welt glaubt, sich da einmischen zu müssen und mir einen Lebensstil überzustülpen.“ Generell findet sie: „Schon die Frage, warum ich keine Kinder habe, ist unerhört, weil sie keinen etwas angeht. Eltern müssen sich ja auch nicht dafür rechtfertigen, dass sie Kinder haben.“ Außerdem könnten Fragen in die Richtung auch verletzten. „Es gibt ja auch ungewollt kinderlose Frauen, die darüber vielleicht nicht sprechen möchten.“
Bei Sarah Müller war es so, dass das Thema Kinder und damit die Frage, ob es für sie infrage kommt, erst spät aufkam. „Noch im Studium war es so weit weg, dass ich mir gar keine Gedanken darüber gemacht habe“, sagt sie.
Erst, als sie ihren heutigen Mann vor etwa acht Jahren kennenlernte, war das Thema plötzlich präsent wie nie zuvor. Denn zu Beginn der Beziehung eröffnete er ihr, dass er keine Kinder haben möchte. Und das war das für Müller zunächst vollkommen okay. Erst mit der Zeit spürte sie, dass sie das Thema doch nachhaltig beschäftigte.
Familie Hamburg: Viele Paare mit Kindern kämpften mit der Situation
Jedoch nicht, weil sie sich insgeheim doch ein Kind wünschte, sondern, weil sie Angst hatte, dass diese Muttergefühle, von denen immer alle sprechen, doch irgendwann kommen und es dann zu spät sein könnte. „Ich spürte, dass ich so etwas wie einen Notfallplan oder eine Hintertür brauche, sollte ich doch einmal ein eigenes Kind haben wollen“, sagt sie.
Und dann nahm Müller ihren Mut zusammen und sprach mit ihrem Mann. Sie war erleichtert, als er verständnisvoll reagierte. Gemeinsam beschlossen sie: Unter den Bedingungen, dass sie sich finanziell nicht einschränken müssten und solange er unter 40 ist, wollen sie die „Hintertür“ noch einen Spalt geöffnet lassen.
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Das ist nun etwa sieben Jahre her. Sieben Jahre, in denen im Freundeskreis die ersten Kinder auf die Welt gekommen sind. „Da erleben wir zum Teil, wie die Frauen und die Paare mit der neuen Situation kämpfen, und ich bin dann jedes Mal froh, dass das nicht meine Welt ist“, sagt Müller.
Hamburgerin über Kinder: „Es würde mein Leben nicht schöner machen“
Sie betont: „Ich liebe die Kinder meiner Freundinnen, verbringe gerne Zeit mit ihnen, aber ich brauche für eine Grundzufriedenheit in meinem Leben keine eigenen Kinder.“ Außerdem erlebe sie bei sich selbst immer wieder, dass sie schneller als andere von Kinderlärm oder Dreck genervt ist. „Ich glaube einfach, es wäre nichts für mich und es würde mein Leben definitiv nicht schöner machen.“
Heute sagt Sarah Müller mit fester Stimme. „Mein Mann wird nächste Woche 40. Damit schließt sich unsere Hintertür, und ich weiß mit Sicherheit, dass ich sie nicht mehr brauche. Das fühlt sich frei und gut an.“