Hamburg. Erstmals wurden Frauen befragt, warum sie keinen Nachwuchs haben möchten. Die Ergebnisse überraschen – und entkräften Vorurteile.
Während bundesweit der Anteil kinderloser Frauen im Schnitt bei 20 Prozent liegt, ist er in Hamburg deutlich höher. Laut Daten aus dem Mikrozensus 2022 liegt die Hansestadt beim Thema Kinderlosigkeit auf dem Spitzenplatz in Deutschland. Da die Hintergründe der Kinderlosigkeit nicht erfasst werden, bleibt unklar, wie groß der Anteil derer ist, die tatsächlich freiwillig auf Nachwuchs verzichtet haben.
Bis vor Kurzem gab es ohnehin kaum Informationen dazu, welche Aspekte für Frauen ausschlaggebend sind, wenn sie sich ganz bewusst gegen Kinder entscheiden. Eine Studie aus dem vergangenen Jahr hat mit überraschenden Ergebnissen nun dazu beigetragen, einige Vorurteile zu entkräften.
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Hamburg: Warum Frauen keine Kinder wollen – das sind laut Studie die Gründe
In der Studie hat Claudia Rahnfeld, Professorin für Sozialwissenschaften an der Dualen Hochschule Gera-Eisenach, das Phänomen der gewollten Kinderlosigkeit bei Frauen umfassend untersucht. Die Forschung widmete sich der zentralen Frage, warum sich Frauen im Alter von 18 bis 45 Jahren bewusst für ein Leben ohne Kinder entscheiden, und lieferte damit erstmals tiefere Einblicke in die persönlichen Beweggründe dieser Entscheidung.
Die überraschendste Erkenntnis: „Früher ist man davon ausgegangen, dass externe Faktoren wie finanzielle Gründe, Klimawandel oder Zukunftsängste bei der Entscheidung gegen Kinder eine zentrale Rolle spielen“, so Rahnfeld. Durch die Studie ist nun klar geworden, dass die tatsächlichen Gründe in den meisten Fällen deutlich persönlicher sind.
„Der überwiegende Anteil der befragten Frauen gab an, dass persönliche Gründe wie der Wunsch nach Freiheit und Selbstverwirklichung zentral waren“, so Rahnfeld. Damit werde klar, dass die Entscheidung gegen Kinder nicht nur als Resultat von Karrieredruck oder finanziellen Überlegungen gesehen werden sollte.
Kinderlos und glücklich: Frauen müssen sich oft rechtfertigen
Wer dies als Frau klar außen kommuniziert, habe es allerdings nicht immer leicht. Laut Rahnfeld hätten 68 Prozent der befragten Frauen angegeben, sich von der Gesellschaft unter Druck gesetzt zu fühlen. Ob das Leben aus gesellschaftlicher Sicht als „gelungen“ bewertet wird, hänge bei Frauen immer noch stark von ihrer Rolle und ihrem Einsatz als Mutter ab. Erste Ergebnisse einer gerade laufenden Studie zum Thema Männlichkeit und Vaterschaft, zeige, dass Männer hier weniger auszustehen hätten. „Männer werden stärker über ihren beruflichen Erfolg bewertet“, so Rahnfeld weiter.
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Eine weitere Erkenntnis: „Viele Frauen wissen schon in teils sehr jungen Jahren, dass sie keine Kinder haben möchten.“ So habe ein großer Anteil (42 Prozent) angegeben, schon vor dem 18. Lebensjahr darüber Klarheit gehabt zu haben.
Familie im Wandel: Junge Generation stellt klassisches Bild infrage
Erfreut zeigt sich Claudia Rahnfeld darüber, dass die Studie auch mit einem weit verbreiteten Vorurteil aufräumen konnte. „Frauen, die keine Kinder haben möchten, wird oft vorgeworfen, dass sie egoistisch und wenig sozial seien.“ Dabei sei das Gegenteil der Fall: „Die meisten kinderlosen Frauen arbeiten in sozialen Berufen, sind zum Beispiel Lehrerinnen oder Erzieherinnen. Auch wissen wir, dass sie Karriere und Beruf in der Regel nicht als zentralen Punkt ihres Lebens ansehen. Familie und Freunde sehen sie als viel bedeutsamer für sich an.“ Auch wisse man, dass die meisten gewollt kinderlosen Frauen nicht einsam sind, sondern in stabilen Partnerschaften leben.
Ob die Studie auch Erkenntnisse über die sogenannte Generation Z geliefert habe, die Menschen also, die etwa zwischen 1997 und 2012 geboren wurden? „Nein“, sagt Rahnfeld. „Aus anderen Studien ist aber bekannt, dass dies die erste Generation ist, die den Lebensentwurf Familie mit Kindern bewusst infrage stellt. Junge Menschen stellen sich heute also nicht mehr nur die Frage, wann sie Kinder bekommen wollen, sondern ob.“