Hamburg. Lärmbelastung außerhalb von Bars und Clubs habe neues Level erreicht, finden nicht nur Anwohner. Was das Bezirksamt jetzt anordnet.

Die Große Freiheit auf St. Pauli ist mit ihren bunten Leuchtreklamen ein beliebtes Fotomotiv und eine der angesagtesten Vergnügungsmeilen in Hamburg. Hier reihen sich Clubs, Karaoke-Bars, Kneipen und Diskotheken aneinander – Nachtschwärmer von nah und fern finden hier alles, was zu einem Kieztrip bis in den frühen Morgen gehört.

Doch Anwohner, ja, die gibt es hier auch, und wohl selbst einige Gastronomen sind genervt. Worum es geht? Dem Abendblatt sagte Gordon Nelkner, Baudezernent im Bezirksamt Mitte: „St. Pauli und insbesondere die Große Freiheit sind Synonyme für das Nachtleben bis weit über die Grenzen Deutschlands hinaus. Diesen Schatz möchten wir unbedingt erhalten und auch für die Zukunft sichern.“ Gleichwohl habe die Lärmbelastung außerhalb der Bars und Clubs zum Teil ein Maß erreicht, das nicht mehr toleriert werden könne.

St. Pauli: „Lärmbelastung“ an der Großen Freiheit könne nicht mehr „toleriert“ werden

Nelkner nennt Beispiele: „Leistungsfähige Außenlautsprecher und nach außen gerichtete Boxen direkt hinter geöffneten Fenster und Türen, die es Passanten und Einsatzkräften extrem schwer machen, sich zu verständigen, sind eine sehr negative Entwicklung.“

Das Bezirksamt hat nun wegen der zunehmenden Beschwerden gehandelt und Gewerbetreibende zum Gespräch eingeladen. Die bestätigten dabei dem Vernehmen nach die Eskalation und zeigten sich bereit, gemeinsam eine Lösung zu finden. Sie forderten klare Anweisungen und Kontrollen, um Rechtssicherheit zu haben.

Große Freiheit: Fenster und Türen der Clubs müssen ab 22 Uhr geschlossen werden

Nach Abendblatt-Informationen ordnet das Bezirksamt jetzt folgende Maßnahmen an, um den Lärm einzudämmen: Die Beschallung des Außenbereichs mit Außenlautsprechern ist nicht mehr zulässig. Außerdem dürfen Lautsprecher aus dem Inneren der Betriebe nicht nach außen schallen. Zudem sind Fenster und Türen ab 22 Uhr geschlossen zu halten.

Die Große Freiheit ist eine der bekanntesten Vergnügungsmeilen in Hamburg.
Die Große Freiheit ist eine der bekanntesten Vergnügungsmeilen in Hamburg. © picture alliance/dpa | Christian Charisius

Für Baudezernent Nelkner steht fest: „Unser Ziel ist es, die lebendige Atmosphäre von St. Pauli zu erhalten und gleichzeitig die zuletzt gestiegene Belastung für Anwohner, Anwohnerinnen, Besucherinnen und Besucher sowie Einsatzkräfte zu reduzieren.“

Clubbetreiber: „Thema Lärm muss man mit gesundem Menschenverstand angehen“

Und wie sehen das die Betreiber? „Das Thema Lärm muss man mit gesundem Menschenverstand angehen. Wichtig ist es, sowohl die Belange der Anwohner als auch der Betreiber von Clubs und Bars an der Großen Freiheit im Blick zu haben“, sagt Benjamin Steinicke auf Abendblatt-Anfrage.

Benjamin Steinicke ist der Geschäftsführer vom Musikclub Große Freiheit 36.
Benjamin Steinicke ist der Geschäftsführer vom Musikclub Große Freiheit 36. © Max Schwarz | Max Schwarz

Der Geschäftsführer des Musikclubs Große Freiheit 36, zu dem auch die Colibri Karaoke Bar gehört, führt weiter aus: „Das Lärmempfinden der Anwohner ist aus meiner Sicht in den vergangenen Jahren sensibler geworden, was sich auch auf die Beschwerdelage auswirkt. Dass das Bezirksamt nun Handlungsbedarf sieht, ist nachvollziehbar, und wir als Clubbetreiber sind da auch kooperativ. Und das mit dem Lärm ist ja auch kein neues Phänomen. Ich habe schon bei zahlreichen Gesprächen mit dem Bezirk zu diesem Thema mit am Tisch gesessen.“

Das Abendblatt hatte zu diesem Thema bereits am Montag auch weitere Gastronomen, darunter die Pressestelle der Olivia Jones Bar, angefragt. Die Dragqueen betreibt ein beliebtes Lokal an der Großen Freiheit 35. Antworten blieben bislang aus.

„In der Großen Freiheit darf man auch mal laut sein“, sagt FDP-Fraktionschef Fischer

Unterdessen weist Timo Fischer, FDP-Fraktionschef in der Bezirksversammlung Mitte, auch auf die Sonderrolle hin, die der Kiez aus seiner Sicht einnimmt: „Die Interessen der Anwohner und Anwohnerinnen müssen ernst genommen werden. Trotzdem braucht eine Stadt wie Hamburg Orte, die nicht komplett glattgebügelt sind, an denen Menschen zusammenkommen und auch feiern können. In der Großen Freiheit darf man auch mal laut sein.“

Mehr zum Thema

St. Pauli’s Mischung aus Gastronomie, Bars, Clubs und Wohnraum sei einzigartig und sollte als solche geschützt werden. Es gelte, einen gesellschaftlichen Konsens zu finden, der über reine Paragrafen hinausgeht, so Fischer weiter.

St. Pauli: Hamburgs Kiez bekommt „Nachtbürgermeister“

Die Politik hatte sich bereits in der vergangenen Woche mit dem Kiez befasst: In der Bezirksversammlung Mitte wurde ein Antrag der Koalition aus SPD, CDU und FDP beschlossen, dass St. Pauli einen Nachtbeauftragten bekommen soll. Diese Position wird jetzt ausgeschrieben und in 2024 mit 40.000 Euro finanziert.

Die Aufgabe dieses „Nachtbürgermeisters“ hatte SPD-Fraktionschef Oliver Sträter so beschrieben: „Der Nachtbeauftragte erhält den Auftrag, zwischen den legitimen Interessen der Club- und Gastro-Szene und den ebenso legitimen Interessen der Wohnbevölkerung sowie allem, was dazwischen liegt, zu vermitteln.“