Hamburg. Große Protestaktion an der Brache am Spielbudenplatz, auf der früher die Esso-Häuser standen. Wovor die Akteure Angst haben.

Sie sind kreativ, sauer – und haben Angst, dass eine der ambitioniertesten Quartiersentwicklungen Deutschlands scheitert. Aus Frust über den drohenden Verkauf der brach liegenden Fläche am Spielbudenplatz, auf der eigentlich schon lange das Paloma-Viertel entstehen sollte, haben zahlreiche Akteure aus St. Pauli am Freitag zu einer „performativen Pressekonferenz“ vor Ort geladen. Wie berichtet, prüft die Saga den Kauf des Grundstücks, das 2008 die Bayerische Hausbau erworben hatte.

Die Aktion fand zwischen dem bemalten Bauzaun und der PlanBude statt – einem Häuschen, in dem 2015 mit Bürgerbeteiligung der später im Bebauungsplan verankerte „St. Pauli Code“ entwickelt wurde: sieben Leitlinien wie „Unterschiedlichkeit statt Homogenität“, „günstig statt teuer“ oder „Freiraum ohne Konsumzwang“, die quasi als Gegenleistung für die enorme Verdichtung im Quartier umgesetzt werden sollten.

St. Pauli: „Platz der leeren Versprechungen“ an der Reeperbahn eingeweiht

Die Performance begann mit der Enthüllung eines Schildes oberhalb der PlanBude. „Platz der leeren Versprechungen“ ist darauf zu lesen, ein Pfeil deutet auf die riesige Brachfläche hinter dem Bauzaun. Dazu passend wurde der gleichnamige Song der Hamburger Band „Die goldenen Zitronen“ gespielt. Deren Sänger Ted Gaier sagte: „Den Song habe ich 2001 geschrieben. Nun gibt es diesen Platz wegen eines gebrochenen Vertrags tatsächlich.“

Kein lebendiges Quartier, sondern gähnende Ödnis: die Fläche am Spielbudenplatz.
Kein lebendiges Quartier, sondern gähnende Ödnis: die Fläche am Spielbudenplatz. © Funke Foto Services | Michael Rauhe

Der St. Paulianer erinnerte an die umstrittene Vorgehensweise der Bayerischen Hausbau, die die Esso-Häuser 2008 gekauft hatte und kurz darauf die damaligen Mieter zur Auflösung ihrer Mietverträge drängen wollte, an den Widerstand, der sich dagegen im Stadtteil bildete, an die tragische Zwangsevakuierung der 110 Wohnungen wegen Einsturzgefahr im Dezember 2013 – und das lange Ringen von Stadtteil, Politik und Investor um eine ins Viertel passende Neubebauung.

Vorwurf: Bayerische Hausbau hält sich nicht an städtebaulichen Vertrag

Mit dem nicht eingehaltenen Versprechen spielen die Akteure darauf an, dass die Bayerische Hausbau den mit der Stadt Hamburg 2018 geschlossenen städtebaulichen Vertrag nicht einhalte. Darin war explizit festgelegt worden, wie das Paloma-Viertel errichtet werden soll: mit Hotel und Gewerbe, zu je 40 Prozent öffentlich geförderten und frei finanzierten Mietwohnungen, Platz für Subkultur und Quartiersnutzungen sowie den Musikclub Molotow.

„Seit Wochen verdichten sich die Hinweise, dass die Bayerische Hausbau tatsächlich alle Versprechungen bricht und das Projekt nicht baut, sondern stattdessen verkaufen will“, so der Vorwurf des sechsköpfigen PlanBude-Teams. Das Geld gehe der Schörghuber Gruppe, zu der das Unternehmen gehört, nicht aus. Mit 279,4 Millionen Euro Gewinn sei 2021 das erfolgreichste Jahr der Firmengeschichte gewesen.

Initiative Esso-Häuser: Wert des Grundstücks ins Unermessliche gestiegen

„Das würde reichen, um zweimal das Paloma-Viertel zu bauen“, vermuten sie. Dennoch habe sich die Ausrichtung des Unternehmens geändert. „Statt auf Projekte und das Firmenmotto ,Werte, die bleiben‘ zu setzen, wird die Gruppe durch einen Zugang in der Konzernleitung jetzt umstrukturiert zum gewöhnlichen Finanzinvestor“, so Margit Czenki und Christoph Schäfer.

So soll das Paloma-Viertel nach seiner Fertigstellung aussehen.
So soll das Paloma-Viertel nach seiner Fertigstellung aussehen. © NLBeL Rendering/ponnie images | NLBeL Rendering/ponnie images

„Mit dem Stempel auf dem Bebauungsplan im Oktober 2022 ist der Wert des Grundstücks ins Unermessliche gestiegen“, so Jenny von der Initiative Esso-Häuser, die sich 2009 – ein Jahr, nachdem die Bayerische Hausbau das Areal gekauft hatte – gegründet hatte. Wie andere ehemalige Mieter auch hat sie schon lange ein vertraglich zugesichertes Rückkehrrecht, aber keine Perspektive.

St.-Pauli-Code: Investor musste im Gegenzug für geplante Verdichtung Zugeständnisse machen

„Die Umsetzung des St.-Pauli-Codes ist die vereinbarte Gegenleistung dafür, dass das Volumen der geplanten Bebauung verdreifacht werden darf gegenüber dem, was hier früher stand“, sagte sie. Der Prozess, in dem sich Politik, Stadtteil und Investor darauf geeinigt hätten, sei lang gewesen. „Wenn die Bayerische Hausbau das Areal jetzt verkauft, missachtet sie diesen Prozess und sein Resultat. Vertragsbruch darf aber nicht belohnt werden.“

„Dem St.-Pauli-Code verdankt das Paloma-Viertel das rundum durch Publikumsbetrieb belebte urbane Erdgeschoss sowie die abwechslungsreiche Struktur des Ensembles aus profilierten Häusern in unterschiedlicher Höhe mit einigen benutzbaren und teils öffentlichen Dächern“, sagte Renée Tribble, ebenfalls Mitglied der Initiative und mittlerweile Professorin für Städtebau an der TU Dortmund.

Paloma-Viertel: Auf 280 Seiten wurde ermittelt, was auf der Fläche entstehen soll

Auch die Planer der vier renommierten Architekturbüros, nach deren Entwürfen das Paloma-Viertel gebaut werden soll, waren angereist und betonten die Einzigartigkeit des Projekts. Jörg Leeser vom Kölner Büro BeL hielt das 280 Seiten starke Werk der PlanBude in die Höhe.

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„Darin wurde ermittelt, was hier im Quartier entstehen soll“, sagte er. „Es ist ein sehr wertvoller und in Deutschland einmaliger Prozess, der zu dem St.-Pauli-Code geführt hat. Und es wäre ein sehr großer Verlust, wenn das verloren ginge.“

St. Pauli: Paloma-Viertel – keine neuen Stellungnahmen von Saga und Bayerischer Hausbau

Unteressen gibt es von beiden Unternehmen – Saga und Bayerische Hausbau – nichts Neues. Beide verweisen auf Ihre Stellungnahmen aus dem August. Damals hatte die Saga gesagt: „Das unbebaute Paloma-Grundstück auf St. Pauli ist der Saga Unternehmensgruppe von der Bayerischen Hausbau zum Kauf angeboten worden. Die Saga prüft einen möglichen Ankauf des Grundstücks unter der Maßgabe der Realisierung eines möglichst großen Anteils öffentlich geförderten Wohnungsbaus.“

Und die Bayerische Hausbau hatte sich wie folgt geäußert: „Wir standen und stehen in regelmäßigem Austausch mit Verwaltung und Politik, um das Paloma-Viertel voranzubringen. Aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen in der Immobilienwirtschaft, die sich weiter zugespitzt haben, suchen wir nach einer Lösung für die Zukunft des Paloma-Viertels. Auch einem möglichen Angebot der Saga stehen wir offen gegenüber.“