Hamburg. Schnee und Eis auf Fuß- und Radwegen sorgt für Unverständnis und Verletzte. Nicht nur der ADFC äußerte dieser Tage scharfe Kritik.
Der erste verkaufsoffene Sonntag im neuen Jahr wurde für manchen Kunden zum Sicherheitsrisiko: Spiegelglatte Fußwege in der Hamburger Innenstadt ließen das Einkaufserlebnis rund um Jungfernstieg, Rathausmarkt und Alsterhaus zur Rutschpartie werden.
Während die Straßen für Autofahrer geräumt wurden, sorgen Schnee und Eis auf Geh- und Radwegen auch weiterhin für Probleme. Jetzt äußerten sich die Stadtreinigung und Gewerbetreibende aus Hamburg.
Hamburger Innenstadt: Verkaufsoffener Sonntag wird für Kunden zur Schlitterpartie
Angaben der Stadtreinigung Hamburg zufolge waren in der Nacht zum Sonntag etwa 725 Mitarbeiter und 280 Fahrzeuge im Einsatz, um Hamburgs Straßen zu sichern. Vielerorts allerdings ohne langfristigen Erfolg, wie auch Citymanagerin Brigitte Allkemper am Sonntagmittag feststellen musste.
„Wir haben gestern in der Innenstadt auch wahrgenommen, dass weite Teile nicht gestreut und gefegt waren. Das war an manchen Stellen eine Rutschpartie“, sagte sie am Montag auf Abendblatt-Anfrage. Während es beispielsweise an der Spitalerstraße keine Probleme gab, war es am Rathausmarkt spiegelglatt. Als Reaktion darauf hatte Allkemper gegen Nachmittag selbst zum Hörer gegriffen und die Stadtreinigung für ein erneutes Anrücken kontaktiert. Beim Neujahrsempfang des Hamburger Abendblatts am Mittwoch, 10. Januar, kommentierte sie die Situation nochmal.
Johann Gerner-Beuerle, Pressesprecher der Stadtreinigung Hamburg, bestätigte auf Abendblatt-Anfrage, dass Mitarbeiter am Sonntagnachmittag außerplanmäßig in der Innenstadt gewesen waren, um die Flächen, die in der Zuständigkeit der Stadtreinigung liegen, erneut abzustreuen.
Wetter Hamburg: Winterzauber nach Weihnachten erfreut nicht jeden
Auch im Bezirk Eimsbüttel an der Bismarckstraße, auf der Fläche an der Rothenbaumchaussee zwischen der U-Bahn-Station Hallerstraße und Turmweg oder dem Fußweg zwischen dem Park „Am Weiher“ und dem Schulweg rutschten Fußgänger und Fahrradfahrer über die Wege. Nicht anders sah es in Niendorf, in Teilen von Wandsbek oder im Bezirk Hamburg-Nord aus.
Hamburger Winterzauber nach Weihnachten? Während sich Schlittenfahrer freuen, bleibt vielen Radfahrern aktuell nur die Möglichkeit zu schieben. Durch Schneematsch und Eis sind die Fahrradwege teilweise nicht nur schwer zu erkennen, sondern vielerorts auch nicht länger gefahrlos zu befahren. So wie an der Kellinghusenstraße.
ADFC Hamburg: Radwege durch Schnee und Eis teilweise nicht befahrbar
Während Autos und Busse problemlos fahren können, kommen Radfahrer hier an ihre Grenzen. Auf Abendblatt-Anfrage zeigte sich Pressesprecher Dirk Lau vom Landesverband des ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) darüber empört.
„Das ist katastrophal. Wir haben den Eindruck, dass nur ganz vereinzelt überhaupt etwas gemacht wurde von der Stadtreinigung“, kritisiert Lau. „Die Nebenstraßen hier in der Innenstadt sind kaum passierbar. Für Radfahrende und auch für Fußgänger ist es eine absolute Zumutung, was hier in Hamburg passiert.“
Seine Kritik richte sich allerdings vorwiegend an die Politik in Hamburg und weniger an die Einsatzkräfte der Stadtreinigung. Es sei eine „sehr enttäuschende Performance“ der Stadt, so Lau. Statt den Fahrradfahrenden zu suggerieren, es gäbe ein verlässliches Winterfahrnetz, solle man lieber offen damit umgehen, dass es im Winter zu Einschränkungen kommen kann, durch die gegebenenfalls auf das Fahrradfahren verzichtet werden muss.
Stadtreinigung Hamburg: Glätte in der City – Einsatz von Taumitteln nicht möglich
Gerner-Beuerle als Sprecher der Stadtreinigung erklärt dazu: „Auf abgesetzten Geh- und Radwegen ist der Einsatz von Taumitteln nicht möglich. Das wird durch das Hamburger Wegegesetz ausgeschlossen.“ Das habe eine ganze Reihe von Auswirkungen. „Das tatsächliche, wie auch das optische Streuergebnis unterscheidet sich sehr deutlich von dem Streuergebnis auf Fahrbahnen. Präventive Streumaßnahmen sind hier, anders als auf Fahrbahnen, nicht möglich“, so der Unternehmenssprecher.
Von der Stadtreinigung bearbeitet werden können diese Wege also erst, wenn es schon zu Niederschlag gekommen ist. „Wenn es dazu noch sehr viel und/oder langanhaltend schneit, ist das Bearbeitungsergebnis bereits nach kurzer Zeit kaum noch zu sehen und auch die sichernde Wirkung des abstumpfenden Streumittels lässt dann schnell nach.“
Am Sonntag kam hinzu, dass nach vier Tagen mit viel Niederschlag die Sonne schien, während die Bodentemperaturen noch sehr niedrig waren. Das, was noch auf oder an den Wegestrecken lag, taute an und gefror dann sofort wieder. „Das Streumittel sinkt in solchen Fällen stellenweise mit ein und friert über, was eine Minderung der Wirkung bewirkt“, erklärt Gerner-Beuerle.
Fahrradwege in Hamburg durch Eis schwer befahrbar – das sagt die Stadtreinigung
Zur eingeschränkten Nutzung der Fahrradstreifen heißt es von Gerner-Beuerle: „Wir nehmen keine Schneemengen auf, sondern räumen und streuen. Die Schneemengen werden also immer an den Fahrbahnrand geräumt, das ist auch dann der Fall, wenn sich am Fahrbahnrand ein Radstreifen befindet. Die gesamte Fahrbahn, auch die Radstreifen, werden gleichmäßig mit tauenden Streumitteln bearbeitet. Dort, wo aber die größten Schneemengen liegen und weniger Wirkung durch die Befahrung erzielt wird, braucht der Schnee länger um zu tauen.“
Und weiter: „Auf den Fahrbahnen, wo regelmäßig Autos fahren, erhöhen diese die Wirkung des Streumittels. Fahrräder fahren nicht mit der gleichen Frequenz und tragen nicht in gleichem Maße zur schnelleren Wirkung des Streumittels bei, weil von ihnen weniger Kraft auf das Streusalz ausgeübt wird. Auch hierdurch kommt es zu augenscheinlichen Unterschieden, obwohl die Flächen gleichermaßen gestreut werden.“
Bei Eis und Glätte – Stadtreinigung Hamburg weist auf Anliegerverpflichtung hin
Zum Fall der genannten Flächen im Innenstadtbereich sagte Johann Gerner-Beuerle wertfrei, dass an vielen Stellen auch eine Anliegerverpflichtung der dortigen Gewerbetreibenden bestehe. „Für den Gehweg vor dem Alsterhaus ist das Alsterhaus zuständig. Gleiches gilt für Fußgängerzonen und die überwiegenden Gehwegstrecken der Mönckebergstraße. Am Rathausmarkt sind wir für die Wege zwischen Rathaus und ÖPNV sowie die dortigen Treppenstufen und Brücken zuständig, nicht aber für die gesamte Fläche.“
Auch der Fußweg am Weiher zwischen Park und Schulstraße fällt nicht in den Aufgabenbereich der Stadtreinigung. An der Bismarckstraße gibt es eine kurze Strecke mit Zuständigkeit ausschließlich auf der Fahrbahn. Ähnlich sieht es an der Bogenstraße aus. Für die Rothenbaumchaussee zwischen der U-Bahn Hallerstraße und Turmweg liegt die Zuständigkeit nur auf der Verkehrsinsel vor den Parkplätzen.
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Dass ein genereller Winterdienst für die Neben- bzw. Wohnstraßen nicht gewährleistet werden kann, betonte die Stadtreinigung bereits in der Vergangenheit. Hier müssen Anliegerinnen und Anlieger selbst mit Schippe und Streugut aktiv werden und auf dem Gehweg entlang ihres Grundstücks räumen.
Abschließend heißt es von Johann Gerner-Beuerle: „Es sind an den vergangenen vier Tagen keine Streupläne ausgefallen, sondern alle bearbeitet worden.“
Rutschgefahr beim Einkaufen: Das sagen Hamburger Gewerbetreibende
Auf Abendblatt-Anfrage reagierten am Dienstag Gewerbetreibende aus der Hamburger Innenstadt. Vom Presse-Team des Alsterhauses heißt es: „Das Alsterhaus führt den Winterdienst seiner Verantwortung und den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend ordnungsgemäß durch und gewährleistet von Schnee und Eis befreite Fußgängerflächen über die 1 Meter Verordnung hinaus bis zu 3 Metern vor dem Geschäft.“
Auch rund um den Hamburger Hof ist es rutschig. Center Managerin Mariya Neufeld sagte dazu: „Der Hamburger Hof befolgt die in Hamburg geltenden Vorschriften für die Schnee- und Eisbeseitigung. Unsere Dienstleister sind stets bemüht, die Gehwege und Zugänge zur Immobilie innerhalb der gesetzlichen Frist nach einem Schneefall zu räumen und zu streuen. Außerdem wird der Zustand der Gehwege um das Objekt und Eingänge überprüft, um die Sicherheit zu gewährleisten. Unsere Dienstleister legen außerdem Wert darauf, umweltfreundliche Streumitteln zu verwenden, um die Auswirkungen auf die Umwelt zu minimieren.“
Bei den Flächen im Bereich der Hauptkirche St. Nikolai am Hamburger Hopfenmarkt sorgte eine ganz andere Problematik dafür, dass ein sicheres Begehen nur schwer möglich war, wie Pressevertreterin Katja Schormann erklärte. „Wir sind uns selbstverständlich unserer Verantwortung bewusst und möchten auf jeden Fall verhindern, dass jemand im Bereich der Hauptkirche St. Nikolai verunfallt. Daher haben wir einen Vertrag mit einer Firma, die unseren Winterdienst übernimmt. Leider hat diese uns versetzt, sodass wir mit internen Mitteln nun versucht haben, so schnell wie möglich, Wege um die Kirche und das Gemeindehaus begehbar zu machen. Vielleicht ist es nicht so schnell geschehen, wie es natürlich wünschenswert wäre, aber das ist dann tatsächlich dem Notfall geschuldet.“
Europapassage Hamburg äußert Kritik an Winterdienst der Stadt
Trotz ordnungsgemäßem Winterdienst der Anlieger bleibt es vielerorts glatt. Jörg Harengerd, Sprecher der Europapassage, sieht hier wieder die Stadtreinigung in der Verantwortung: „Das, was wir auf unserem Gelände haben, ist immer geräumt.“ Über die Gebäudegrenze hinaus sei allerdings nicht ausreichend gehandelt worden. „Leider hat in den letzten Tagen die Stadt komplett versagt.“
Auf Abendblatt-Nachfrage heißt es von der Stadtreinigung am Mittwoch dazu: „Es wäre in keiner Weise sinnvoll oder machbar, Zuständigkeiten für die gleichen Wege auf der gleichen Strecke irgendwo in der Mitte aufzuteilen. Eine Wertung beziehungsweise Kritik der erbrachten Räum- und Streupflicht durch Privatpersonen oder Gewerbe obliegt nicht der Stadtreinigung.“ Man werde direkten Kontakt mit der Europapassage aufnehmen und möglichen Klärungsbedarf miteinander besprechen, so Gerner-Beuerle.
Für die Unterstützung der Stadt dankbar, zeigte sich hingegen Axel-Uwe Nacken, Development Director der Mitchells & Butlers Germany GmbH aus Wiesbaden, mit einem Statement zum Restaurant Alex im Alsterpavillon. „Seit Beginn der aktuellen Wettersituation streuen wir die Zuwegung und eine Passage entlang des ALEX im Alsterpavillon, sodass Passanten dort gehen können. Aufgrund der Tiefe des Boulevards wird die Streuung der übrigen Fläche dankenswerterweise von der Stadt Hamburg übernommen.“
UKE, Asklepios und Co: Hamburger Kliniken verzeichnen vermehrt Glatteis-Verletzte
Währenddessen verzeichnen Hamburgs Kliniken vermehrt Glatteis-Opfer. Sowohl im Agaplesion Diakonieklinikum Hamburg Eimsbüttel als auch im Agaplesion Bethesda Krankenhaus Bergedorf mussten über das Wochenende deutlich mehr Patienten stationär aufgenommen werden, meist wegen glatteisbedingter Brüche von Hüften, Hand- oder Sprunggelenken, so Unternehmenssprecherin Ute Schlemmer. Auch am Montag verzeichnete man hier ein erhöhtes Aufkommen.
In Eimsbüttel wurden etwa 35 Patienten im Alter zwischen 40 und 80 Jahren aufgrund des Glatteises unfallchirurgisch behandelt. Hinzu kam eine ähnliche Anzahl an Patienten, die sich leichtere Verletzungen wie Prellungen oder Schürfwunden zugezogen haben, wie Pressesprecherin Ute Schlemmer auf Abendblatt-Anfrage erklärte. Insgesamt wären das für Hamburger Verhältnisse „recht hohe Patientenzahlen“.
Schleswig-Holstein: Finanzministerin Heinold gestürzt, Schulter gebrochen
Auch Dr. Ulrich Mayer-Runge, Leiter der Zentralen Notaufnahme des UKE kann wiederkehrend Verletzungen an Handgelenk, Knie, Schulter oder Kopf, durch Glätte verursachte Stürze vermelden. Aktuell würden sich die Zahlen allerdings in einem moderaten Rahmen bewegen, so Mayer-Runge. In der Asklepios-Klinik in St. Georg im Bezirk Hamburg-Mitte wurden nach Aussagen der Ärzte in den vergangenen Tagen diverse Brüche mit klassischem Verletzungsmuster durch Stürze und Abstützen beim Fallen behandelt, wie ein Sprecher sagte.
Ein prominentes Glatteis-Opfer gibt es derzeit in Schleswig-Holstein. Wie eine Sprecherin des Finanzministeriums sagte, brach sich Finanzministerin Monika Heinold am Freitag auf dem Weg zur Arbeit die Schulter. Die Grünen-Politikerin arbeite aktuell im Homeoffice.
Wetter in Hamburg bleibt in zweiter Januarwoche kalt
Mit gefrorenen Straßen müssen sich die Hamburger auch in den kommenden Tagen beschäftigen. Laut Deutschem Wetterdienst bleibt es vorerst kalt.
Und bei allem Ärger über nicht geräumte Wege – mancherorts machen sich die Menschen in Hamburg das Glatteis derzeit auch zu einem spontanen Vergnügen zu Nutze: In der Neuen Mitte Altona etwa schnallten sich Anwohner die Schlittschuhe an und bewegten sich auf diese Weise auf der vereisten Eva-Rühmkorf-Straße fort. (mit gv)