Hamburg. Bei Arbeiten für Weihnachtsdekoration vor der Petri-Kirche wurden Schädel und Gebeine entdeckt. Behörde ist überrascht.
Beim Einkaufsbummel über einen Friedhof schlendern? Hört sich grotesk an, passiert an der Mönckebergstraße aber täglich, und das schon seit langem: Unter dem Fußweg vor der Hauptkirche St. Petri liegen Gräber, die aus der Zeit zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert stammen. Bevor sie am 12. September beim Ausheben einer kleinen Baugrube entdeckt wurden, war ihre Existenz unbekannt.
Auf behördeninternen Karten sind lediglich Flächen südlich, westlich und östlich der Kirche als besondere Flächen gekennzeichnet (siehe Karte). Und auch die Hamburger Bodendenkmalpfleger, die am Archäologischen Museum Harburg angesiedelt sind, hätten damit nicht gerechnet. „Der Bereich vor der Kirche ist zu weiten Teilen bereits vor Jahrzehnten beim U-Bahn-Bau zerstört worden. Aus diesem Grund gab es hier keine flächige Unterschutzstellung“, heißt es.
Gräber unter Mönckebergstraße: Bis zu 300 Langknochen
Also erteilte das Bezirksamt Hamburg-Mitte dem BID Mönckebergstraße (einem Zusammenschluss von Gewerbetreibenden und Eigentümern) ohne Bedenken eine sogenannte Aufgrabungsgenehmigung. Die wurde benötigt, um knapp acht Meter von der Kirche entfernt Fundament und Verankerung für einen Mast zu errichten, an dem später Weihnachtsbeleuchtung befestigt werden kann. „Da es nicht überall möglich ist, die Überspannungen an Häuserfassaden – und erst recht nicht an einer historischen Backsteinkirche zu befestigen, stellen wir an der Mönckebergstraße in der Weihnachtszeit insgesamt acht solcher Masten auf“, erläutert Sebastian Binger, Sprecher des BID.
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Die beauftragte Garten- und Landschaftsbaufirma begann mit dem Ausheben einer vier mal vier Meter großen Baugrube – und stieß am 12. September in 1,30 Meter Tiefe auf eine Fernwärmeleitung, die an dieser Stelle nicht eingezeichnet war, und auf mehrere Knochen. Die Arbeiten wurden sofort unterbrochen, die Polizei und das Archäologische Museum informiert. Bei einer ersten Sondierung untersuchten Experten den Aushub. Dabei fanden sie 200 bis 300 Langknochen, sieben Schäden von Männern und Frauen sowie ein Kinderskelett. Außerdem verrottetes Holz von Särgen und Scherben aus verschiedenen Jahrhunderten. Gleichzeitig legten sie die Grubenwände so frei, dass sie anhand des Querschnitts die Geschichte des Ortes ablesen konnten.
„Sehen Sie diese gelbliche Schicht?“, fragt Archäologe Kay-Peter Suchowa, der mit der Untersuchung von Fundstücken und Fundort beauftrag ist, und deutet auf eine lehmfarbenen Streifen an der Wand einer Grube, die in knapp acht Meter von der Kirchenmauer entfernt am Fahrbahnrand liegt. „Das sind Knochen, zum Teil zersetzt, die offenbar beim Bau der Fernwärmeleitung hier“, er zeigt auf ein Rohr, „schon einmal aus- und wieder eingegraben wurden.“ Dass der Fund der Knochen vor rund 50 Jahren nicht dokumentiert wurde, könne daran liegen, dass damals das Bewusstsein für Geschichte und Archäologie weniger ausgeprägt war.
Skelette mit dem Kopf nach Westen gebettet
Über der gelblichen Schicht aus umgelagerten Knochen liegt das, was Suchowa die „moderne Schicht“ nennt – Erde und Schutt zum Verfüllen. Unterhalb des gelblichen Streifens wird es interessanter. Hier ist die Erde grau-braun. „Der ungestörte Bestattungshorizont“, sagt Suchowa. Hier würde man, grübe man sich weiter vor, mehr oder weniger zersetzte Skelette finden. Alle mit dem Kopf nach Westen und den Füßen nach Osten gebettet. „Früher wurden Christen so bestattet, dass sie Richtung Sonnenaufgang blicken“, weiß Suchowa.
Die Knochen aus der ersten Sondierung werden in einem großen Plastiksack aufbewahrt. Inzwischen sind weitere Knochen, Scherben und Holzstücke dazugekommen – sie liegen geordnet auf kleinen Häufchen. Es ist der zweite und gleichzeitig letzte Arbeitstag des Archäologen hier, der seine Untersuchungsergebnisse nun abschließend dokumentieren wird.
Danach wird es sich wieder den Ausgrabungen zwischen Willy-Brand-Straße, Nikolai-Mahnmal und Trostbrücke widmen, die – im Gegensatz zu den eher unspektakulären Funden vor der Petri-Kirche – tatsächlich bahnbrechende neue Erkenntnisse bringen können. Dort wurden vor zwei Jahren – auch zufällig beim „Aufhübschen“ einer Straße – die Überreste einer Bebauung gefunden, die bis zur Gründung der Neustadt reichen, also wahrscheinlich bis ins 12. Jahrhundert.
Gebeine sollen in der Gruft von St. Petri beigesetzt werden
Die Arbeiten an der Baugrube werden ab nächster Woche fortgesetzt. Fertig wird die neue Weihnachtsbeleuchtung dieses Jahr aber nicht mehr – das liegt nicht nur an den archäologischen Funden, sondern auch daran, dass laut Binger die Installation der Haken in den Fassaden der verschiedenen Gebäude „enorm aufwendig“ sei.
Und was passiert mit den Knochen? Gebeine, die Suchowa einmal am Hopfenmarkt ausgegraben hatte, wurden von der Gemeinde St. Nicolai in Bramfeld bestattet. Für die Funde von St. Petri wünscht er sich, dass sie in der kircheneigenen Gruft beigesetzt werden. „Dazu wären wir selbstverständlich bereit“, sagt Jens-Martin Kruse, seit 2018 Hauptpastor an St. Petri. Auch ihn habe der Fund der Gräber überrascht. „Aber es ist schön, dass diese archäologischen Erkenntnisse uns ein Verständnis für die Entwicklung der Stadt vermitteln, die ja offenbar nicht nur in die Breite, sondern auch in die Höhe gewachsen ist.“