Hamburg. Ein Zufallsfund begeistert die Archäologen. Bauarbeiter stoßen auf alte Fundamente: Sie könnten aus dem 12. Jahrhundert stammen.

Die Sache schien gelaufen. Zwei große Grabungen haben die Experten des Archäologischen Museums Hamburg in den vergangenen Jahren zwischen Hopfenmarkt und Großem Burstah in der Altstadt gemacht. Und beide haben bedeutende neue Erkenntnisse über die Frühgeschichte Hamburgs vor 1000 Jahren zutage gefördert. Auf mehr gab es kaum Hoffnung. Denn der so geschichtsträchtige Boden ist entweder erforscht, bebaut – oder aus Sicht der Archäologen nutzlos.

So wie unter dem Allianzgebäude, das bald abgerissen wird: Als es in den 60er-Jahren entstand, wurden beim Bau der Tiefgarage alle archäologisch interessanten Schichten einfach weggebaggert. Es bedurfte also eines Glücksfalls – und genau der scheint jetzt eingetreten zu sein. Denn direkt neben der Nikolai-Ruine sind Straßenbau-Arbeiter auf alte Fundamente gestoßen. Und statt mit Bagger und Planierraupe wird dort, an der Straße Neue Burg, jetzt mit kleinen Kellen und Pinseln gearbeitet.

Was der Denkmalschutz vorschreibt

Prof. Rainer-Maria Weiss, Leiter des Archäologischen Museums Hamburg und Chef der Bodendenkmalpflege, gibt sich allerdings noch sehr zurückhaltend. Auf Anfrage des Abendblatts bestätigt er lediglich, dass man „überraschend auf archäologische Strukturen“ gestoßen sei. Er hoffe auf Erkenntnisse über neuzeitliche und mittelalterliche Bebauung. Für weitere Auskünfte sei es noch zu früh.

Dass sich der Fund zwischen Trostbrücke und Willy-Brandt-Straße an einem geschichtsträchtigen Ort befindet, daran besteht allerdings kein Zweifel. Schon der jahrhundertealte Straßenname bezeugt, dass hier einmal die „Neue Burg“ gestanden hat. Der Archäologe Kay-Peter Suchowa war es, der auf der anderen Seite der Nikolaikirche 2014 Reste des Burgwalls ausgegraben hat. Und dank der Dendrochronologie, einer Methode zur exakten Bestimmung des Alters von Baumstämmen, konnte zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass die „Neue Burg“ zwischen 1021 und 1024 erbaut worden war – 40 Jahre früher, als es in allen Geschichtsbüchern stand.

Blick in das späte zwölfte Jahrhundert

Erst vor wenigen Wochen war eine weitere Grabung auf dem Eckgrundstück Großer Burstah/Hahntrapp abgeschlossen worden. Dort fand man zwar viele weitere Reste des Burgwalls – eine andere Hoffnung erfüllte sich allerdings nicht: auf Spuren der ersten Kaufmannssiedlung der Stadtgeschichte zu stoßen. Das könnte nun womöglich 150 Meter weiter südöstlich gelingen.

Das würde einen Blick in das späte zwölfte Jahrhundert erlauben, als in der noch ziemlich unbedeutenden Stadt die Weichen zur Expansion gestellt wurden. Die Schauenburger Grafen waren damals die weltlichen Herren Hamburgs. Graf Adolf III. war es dann, der die Entwicklung Hamburgs entscheidend voranbrachte. Sein Denkmal steht heute an der Trostbrücke.

Herausragende Managerfähigkeiten

Damals nahm in ganz Deutschland die Bedeutung der Städte als Handels- und Machtzentren zu. Das noch junge Lübeck entwickelte sich bereits rasant. Und so beauftragte Graf Adolf einen Experten damit, auch aus „seinem“ Hamburg etwas zu machen. Der Mann, den man heute als „Projektentwickler“ bezeichnen würde, war Wirad von Boizenburg – und verfügte über herausragende Managerfähigkeiten. Unter seiner Ägide wurde die mehr als drei Hektar große Neue Burg abgerissen.

Das ganze Areal ließ er wegen der Hochwassergefahr aufschütten und als Baugrund herrichten. Und es gelang ihm, mindestens 40 Kaufleute und ihre Familien, wahrscheinlich aus Holland, Friesland und Westfalen, anzuwerben, die sich in Hamburg niederlassen wollten. Doch sie stellten eine Bedingung: Sie wollten das „lübsche“, also Lübecker Stadtrecht, das ihnen viele Freiheiten garantierte. Graf Adolf gewährte es bereitwillig. Und so entstand ab 1188 die Kaufmannssiedlung, deren Bedeutung für die Entwicklung Hamburgs kaum überschätzt werden kann. „Ohne das Wissen, das Netzwerk und das Kapital dieser Kaufleute wäre Hamburg keinesfalls so schnell aufgestiegen“, sagte Kay-Peter Suchowa.

Verzögerungen bei Neubau möglich

Könnten nun Reste dieser Siedlung gefunden werden? Der Standort ist zumindest vielversprechend, denn aus alten Karten und Zeichnungen weiß man, dass die Häuser eng aneinander am äußeren Rand der früheren Burg gebaut worden waren. Bis es so weit ist, dürfte es allerdings noch dauern. Denn bei den jetzt entdeckten Mauerresten handelt es sich kaum um mehr als 800 Jahre alte Fundstücke. Vielmehr wütete hier 1842 der Große Brand, dem auch die alte Nikolaikirche zum Opfer fiel. Möglicherweise handelt es sich bei den Funden um Reste damals zerstörter Bauten. Um aber die archäologischen Schätze aus dem Hochmittelalter zu bergen, werden die Experten deutlich tiefer graben müssen.

Wie lange das dauert und wie viel Zeit den Wissenschaftlern gegeben wird, ist unklar. Jedenfalls dürften nicht alle uneingeschränkt glücklich über den Fund sein, denn es handelt sich um eine wichtige Zufahrt für die geplante Großbaustelle beim Abriss und Neubau des Allianzgebäudes. Jetzt wird es möglicherweise zu Verzögerungen kommen.

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