Hamburg. Die erste Biografie über den genialen Architekten: Wie sich der Bürgermeistersohn als 62-Jähriger einen Kindheitstraum erfüllt hat.
Ein verheerendes Feuer, das 1842 das Hamburger Rathaus und viele weitere Gebäude zerstörte, brannte sich damals in die Seele eines Sechsjährigen ein. „Das Feuer vernichtet nicht nur das alte Rathaus, sondern gleichzeitig auch sein Zuhause“, schreibt die Autorin Karin von Behr über jenen Hamburger Martin Haller (1835 bis 1925), der später zum wichtigsten Architekten der Hansestadt aufsteigen sollte. Von Behr hat jetzt die erste fundierte Biografie über diesen hanseatischen Baumeister verfasst, dessen Lebensthema der Bau des neuen Hamburger Rathauses werden sollte.
Schließlich stand sein Vater, als der Große Brand von 1842 wütete, als Hamburger Bürgermeister in Amt und Würden. Und so erlebte der kleine Martin damals gleichsam ein doppeltes Trauma: Der Vater verlor das Haus, in dem er berufsbedingt ein und aus ging. Zudem wurde das Zuhause der Familie ein Raub der Flammen.
Geniales gestalterisches Talent
Bereits mit 18 Jahren beteiligte sich der Gymnasiast deshalb an einem Wettbewerb zum Rathausneubau. Dabei entdeckte der Vater das geniale gestalterische Talent seines Sohnes – und förderte es. Die Haller-Biografie nimmt den Leser mit zu den nächsten Lebensstationen, insbesondere zum Studium nach Paris (1858 bis 1861). Wie in den anderen Studienorten Berlin und Potsdam unternahm dort Martin „instruktive Wanderungen“, um sich für seinen eigenen Stil inspirieren zu lassen.
Bis er der Erbauer des Hamburger Rathauses werden sollte, vergingen Jahrzehnte. Am 6. Mai 1886 wurde der Grundstein nach den Plänen des Rathausbaumeisterbunds und Martins Hallers gelegt. 1897 mit einem Volksfest eingeweiht, steht das Neorenaissance-Gebäude mit dem 112 Meter hohen Turm und den 647 Räumen symbolisch für das bürgerliche Selbstbewusstsein der Hanseaten. Der Bau ist räumlich in eine Senats- und Bürgerschaftsseite geteilt und beherbergt auch den Ratsweinkeller (heute „Parlament“ genannt).
„Privat- und Luxusarchitekt“
Martin Haller, der sich in der Rolle eines „Privat- und Luxusarchitekten“ sah, schrieb über dieses Werk: „Der für das Gebäude gewählte Baustil entsprach dem damaligen Zeitgeschmack und vermittelte die teils auf die Antike, teils auf die Romantik gerichteten Wünsche des Bauherrn.“ Der Kindheitstraum des damals Sechsjährigen, das Hamburger Rathaus zu bauen, wurde im Alter von 62 Jahren für ihn Wirklichkeit. Aber erst ein Jahr nach der Einweihung konnte das Gebäude offiziell bezogen werden. Als 63-Jähriger notierte er: „Ich will hier freimütig äußern, dass diese Hafenstadt ohne meine an Opfern reiche Hingebung schwerlich so rasch und verhältnismäßig so einwandfrei in den Besitz eines neuen Rathauses gelangt wäre.“
Nicht allein mit dem Rathausbau hat Martin Haller das Antlitz der Hansestadt geprägt. 500 Neu- und Umbauten stammen von ihm – dazu zählen der Hapag-Lloyd-Firmensitz am Ballindamm genauso wie das 1967 abgerissene Kontorhaus Dovenhof. „Abbruch ist das Los aller unserer Werke“, hatte Haller einmal in weiser Voraussicht geschrieben. 1967 musste das erste moderne, stilbildende Kontorhaus dem Bau der Ost-West-Straße (heute Willy-Brandt-Straße) und dem späteren „Spiegel“-Hochhaus weichen.
Alsterufer mit seinen Bauten als Haller-Land
Bestens erhalten sind dagegen die ehemaligen Domizile des US-Sammler-Ehepaars Henry und Emma Budge (heute Musikhochschule), das US-Generalkonsulat am Alsterufer („Weißes Haus“) und etliche Stadtvillen. Die Präsenz des Baumeisters war zeitweise so groß, dass um 1900 das Ufer der Außenalster als „Haller-Land“ bezeichnet wurde, heißt es in dem kenntnisreichen Buch. Es orientiert sich in der Gliederung stark biografisch und nimmt am Schluss (mit einem Beitrag von David Klemm) eine systematische Würdigung vor.
Neben der Villa des heutigen UN-Seegerichtshofs („Villa Schröder“) hat der Bürgermeistersohn auch das Afrikahaus (Große Reichenstraße 27) und die Laeiszhalle (Musikhalle) geschaffen, den Musentempel übrigens gemeinsam mit dem Architekten Emil Meerwein. Haller gestaltete zudem das Afrikahaus für den Hamburger Reeder und Westafrikakaufmann Adolph Woermann und positionierte dort zwei monumentale Elefanten mit gewaltigen Stoßzähnen am Portal. Die Fassade vollendete er mit grünen, blauen und weißen Ornamenten – in den Farben der Reederei-Flagge.
In Hallers Leben sollte noch ein weiterer Brand Folgen für sein Wirken haben: Am 3. Juli 1906, einem heißen Sommertag, löste im Hamburger Michel eine Benzinlötlampe einen schweren Brand aus. Er zerstörte das Gotteshaus. Bereits am nächsten Tag beschloss die Bürgerschaft den Wiederaufbau der Hauptkirche nach den Plänen des Architekten Ernst Georg Sonnin und vertraute Martin Haller die Leitung der Arbeiten an. Am Ende seines fast 90-jährigen Lebens notierte Hamburgs rastloser Baumeister: „Was ich schuf, ist ein Produkt des Takts und des Gedächtnisses.“