„Man hat Angst, dass es Tote gibt.“ Wie Behörden, Polizeigewerkschaften und Politiker die Krawalle einschätzen – und was sie verlangen. Zahlreiche Beamte wurden aus anderen Bundesländern angefordert.
Hamburg. Die Hamburger Polizei bewertet die Ausschreitungen in St. Georg, bei der es in der Nacht zum Mittwoch 14 Verletzte gab, nicht als Teil einer geplanten Aktion. „Es hatte bundesweit nur in Hamburg und Celle Ausschreitungen gegeben“, sagt Polizeisprecher Mirko Streiber. „Das zeigt, dass die Proteste der Kurden grundsätzlich friedlich angelegt waren.“ Das sehe man als Chance für eine Deeskalation.
Die Polizei habe Gespräche mit maßgeblichen Personen beider Lager geführt. „Es ist wichtig, dass wir deeskalierend vorgehen und Gewalt so im Keim erstickt wird“, sagt Streiber. Trotzdem müsse man „reaktionsfähig“ bleiben. Tatsächlich rechnet man mit weiteren Ausschreitungen. Oberstes Ziel sei es Polizeikreisen zufolge, einen direkten Zusammenstoß beider Gruppen zu verhindern. „Man hat Angst, dass es Tote gibt“, sagt ein Beamter.
In den kommenden Tagen werden Polizisten länger im Dienst sein, um genug Personal auf die Straße zu bringen. Dazu sollen zahlreiche Hundertschaften der Bereitschaftspolizeien aus anderen Bundesländern kommen. Entsprechende Anfragen sind bereits gestellt. Als kritisch gilt auch der morgige Freitag, wenn in den Moscheen die Freitagsgebete stattfinden. „Man wird sehen, wie sich dann die Imame positionieren“, sagt ein Beamter.
„Uns eint die Sorge um die Menschen in Syrien und im Irak. In Deutschland kann jeder dieser Sorge Ausdruck verleihen, in Deutschland kann jeder friedlich demonstrieren“, sagt Innensenator Michael Neumann (SPD). Er betonte aber auch, dass man gewalttätige Auseinandersetzungen nicht tolerieren werde. Die waren laut Joachim Lenders, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), der bei den Ausschreitungen selbst vor Ort war, ungewöhnlich schwer. „Die Gewaltausbrüche der Nacht zum Mittwoch waren von einer rücksichtslosen und menschenverachtenden Brutalität gekennzeichnet, wie ich sie selten erlebt habe“, sagt Lenders. Ohne den rechtzeitigen Einsatz der Polizei hätte es nach seiner Einschätzung wahrscheinlich Tote gegeben. „Wenn mitten in Hamburg 800 verfeindete Menschen teilweise mit Macheten, Messern und Eisenstangen aufeinander losgehen, muss dies Konsequenzen für die Täter haben. Nicht deutschen Gewalttätern, die ihr Gastrecht missbrauchten, müsse der Rechtsstaat mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln begegnen und als letzte Möglichkeit ausweisen, so Lenders. Das Aufenthaltsgesetz regele im §55 die Ermessensausweisung – „davon sollte auch Gebrauch gemacht werden“. Politisch motivierte, extremistische Gewalttäter und religiöse Fanatiker hätten einen Konflikt nach Hamburg gebracht, der hier nicht zu lösen sei, so Lenders.
„Wir haben Verständnis dafür, dass die Menschen auch hier in Hamburg auf die Straße gehen, um auf die dramatische Lage in Syrien und im Nordirak aufmerksam zu machen. Wir verstehen die Verzweiflung und Hilflosigkeit der Kurdinnen und Kurden angesichts der schrecklichen Nachrichten aus der Region“, sagt Kazim Abaci, Fachsprecher Integration der SPD-Fraktion. „Aber klar ist: Die Demonstrationen hier bei uns müssen friedlich ablaufen. Wir dulden und tolerieren keine Gewalt. Wir appellieren deshalb auch an die Verantwortlichen der kurdischen und muslimischen Gemeinden, sich in ihren Reihen dafür entsprechend einzusetzen.“
Auch Bundespolitiker haben auf die Krawalle in Hamburg reagiert. Der Innenexperte der CDU im Bundestag, Wolfgang Bosbach, mahnt nach den aktuellen Ausschreitungen zwischen Kurden und islamistischen Gruppen ein hartes Durchgreifen von Polizei und Justiz an. „Es ist leider nicht das erste Mal, dass Konflikte, die ihre Ursachen in anderen Ländern oder in der unterschiedlichen religiösen Überzeugung der rivalisierenden Gruppen haben, mit Gewalt auf unseren Straßen ausgetragen werden“, sagte Bosbach dem Hamburger Abendblatt.
Die gleiche Problematik habe Deutschland schon Mitte der 90er-Jahre bei den sogenannten Kurden-Krawallen erlebt. Diese Konflikte würden „viel zu häufig auf dem Rücken der Polizei ausgetragen, die bei der Streitschlichtung schnell zwischen die Fronten gerät“. Bosbach: „Wer Gewalt ausübt, kann sich nicht auf Demonstrationsfreiheit berufen. Und deshalb ist es wichtig, dass Sicherheitsbehörden und Justiz konsequent gegen jene vorgehen, die hier Gewalt in unsere Städte tragen, ganz gleich, welche Nationalität oder Religionszugehörigkeit sie haben.
Der Innenexperte der Grünen im Bundestag, Volker Beck, sagt: „Sowohl die Bundesregierung als auch die meisten Bundesländer haben es versäumt, Präventionsprogramme gegen Islamisten auszuarbeiten.“ Beck weiter: „Wir müssen den Zustrom zu diesen radikalen Gruppen stoppen, indem wir massiv in die Stärkung demokratischer Gesinnung in diesen Milieus investieren.“