Hamburg. Früher galt der Komplex in Lokstedt als „Ghetto“, doch das hat sich längst geändert. Wie ein Netz aus Angeboten alle zusammenhält.

Gefühlt ist die Lenzsiedlung mittendrin: Gleich auf der anderen Straßenseite beginnen Eimsbüttels Altbauten aus der Gründerzeit, die Osterstraße ist nur wenige Gehminuten entfernt, ebenso die Cafés und Restaurants am Stellinger Weg. Und doch sprechen Bewohnerinnen und Bewohner zum Teil von einer unsichtbaren Wand, die die Hochhaussiedlung, die formal zu Lokstedt gehört, vom Stadtteil zu trennen scheint.

Und das liegt nicht daran, dass sich der weiße Plattenbau-Komplex, den einige auch „die Queen Mary von Eimsbüttel“ nennen, baulich abhebt. Denn die Lenzsiedlung, das ist ein Mikrokosmos, eine Stadt in der Stadt, die anders tickt als das Drumherum. Rund 3000 Menschen aus mehr als 60 Kulturen leben hier, die Erwerbslosenquote ist höher als anderswo, die finanziellen Möglichkeiten gering. Und es gab Zeiten, da galt die Lenzsiedlung als Ghetto. Jugendbanden sorgten immer wieder für Ärger und nicht selten auch für Polizeieinsätze.

Lenzsiedlung in Lokstedt: Das soziale Engagement begann in einer Bretterbude

Doch seit etwa 20 Jahren ist es ruhig geworden um die Lenzsiedlung. Und das liegt wohl vor allen Dingen daran, dass es etliche engagierte Menschen gibt, die sich um die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner kümmern, die Ansprechpartner im Großen wie im Kleinen sind, die Angebote machen und unterstützen.

Reportage Lenzsiedlung
Mehr als eine Hochhausschlucht und besser als ihr Ruf: die Lenzsiedlung, die zwar in Lokstedt liegt, aber für viele gefühlt zu Eimsbüttel gehört. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Einer von ihnen ist Ralf Helling, der Geschäftsführer des Lenzsiedlungsvereins. Der Verein wurde bereits analog zur Fertigstellung der Lenzsiedlung bereits im Jahr 1977 gegründet – ursprünglich als Initiative von Bewohnerinnen der Siedlung, die sich für ihre Arbeit in einer kleinen Bretterbude trafen. Damals lag der Fokus vor allen Dingen auf der Unterstützung und Förderung von Jugendlichen.

Lokstedt: Lenzsiedlung bietet viel – von Schwangerschafts- bis Schuldnerberatung

Nach und nach wurde die Arbeit immer professioneller und breiter aufgestellt. Heute arbeiten zehn hauptamtliche Mitarbeiter und circa 20 Honorarkräfte für den Verein. Das breite Angebot rankt sich um vier Säulen: die offene Kinder- und Jugendarbeit, die niedrigschwellige Beratung für Familien im Lenztreff, den Seniorentreff und die Gemeinwesenarbeit des Bürgerhauses.

„Wir machen hier generationsübergreifend soziale Angebote“, sagt Helling. „Das reicht von der Vorbereitung von Behördengängen über Schwangerschafts- und Erziehungsberatung bis hin zu Freizeitangeboten und Schuldnerberatung.“ Weiter gibt es Begegnungstreffs und ein Kursangebot für unterschiedliche Altersgruppen und Bedürfnisse und diverse Kooperationen, etwa mit Grün-Weiß Eimsbüttel, dem Rauhen Haus, der Saga und vielen mehr.

Lenzsiedlung in Hamburg: Drogen und Kriminalität gibt es – aber nicht mehr als anderswo

Auch die Nachbarschafts- und Imagepflege sei wichtig: „Wir bieten etwa Führungen durch die Siedlung an oder laden den Stadtteil zum Nachbarschaftsfest“, so Helling. Die Außensicht auf die Lenzsiedlung habe sich in den vergangenen Jahren zwar zum Positiven gewandelt, aber es gebe immer noch viele, die die Siedlung für einen sozialen Brennpunkt halten, würden zuerst an Gewalt, Drogen und Kriminalität denken. Ob es das denn hier nicht gebe? „Doch“, sagt Helling. „Aber eben nicht mehr oder weniger als anderswo auch.“

Dabei sind die Zeiten, in denen die Lenzsiedlung regelmäßig Schauplatz von Polizeieinsätzen wurde, längst vorbei. Die Sozialstruktur hebe sich aber nach wie vor deutlich von der Nachbarschaft ab. „Etwa drei Viertel der Bewohnerinnen und Bewohner leben von Transferleistungen. Das heißt, sie empfangen entweder Bürger- oder Wohngeld oder arbeiten parallel in mehreren Jobs, weil es sonst nicht reicht“, so Helling. Die geringen finanziellen Möglichkeiten und der relativ kleine Wohnraum führten dazu, dass die Lenzsiedlungsbewohner von allen Krisen – von Corona bis Inflation – immer besonders betroffen seien.

Wohnen in Hamburg: Wer aus der Lenzsiedlung auszieht, kommt oft wieder zurück

Das Selbstbild der Menschen, die hier leben, sei dennoch positiv: „Man kann wirklich sagen, dass die meisten Menschen gerne hier wohnen.“ Helling verweist etwa auf Bewohner, die nach Jahren unbedingt aus „dem Ghetto“ herauswollten und auszogen, schlussendlich aber doch wiedergekommen seien, weil sie die Gemeinschaft innerhalb der Siedlung und die diversen Angebote vermisst hatten.

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Helling betont aber: „Man darf sich nicht auf dem Erreichten ausruhen.“ Damit es so bliebe, wie es ist, sei es wichtig, die Bedürfnisse weiter im Blick zu haben, die Sollbruchstellen zu kennen und mit den Bewohnerinnen und Bewohnern im engen Austausch zu sein. „Dass es hier so ruhig und friedlich vonstattengeht, ist kein Selbstgänger, sondern zumindest zum Teil auch das Ergebnis von viel Engagement und guter sozialer Arbeit. Und darauf sind wir natürlich stolz.“