Hamburg. Nachverdichtung sorgt oft für Ärger. Doch es gibt Bauprojekte, die alle begeistern. Eine neue Auszeichnung soll mehr davon bringen.
Nachverdichtung, ein ganz heikles Thema. Damit macht man sich in der Regel keine Freunde, und Gewinner, die gibt es in den meisten Fällen schon gar nicht. Dafür viele Verlierer, oder zumindest erstmal Gegner, die gegen „Schreckensszenarien“ und „Betonwüsten“ in Hamburg und für den „idyllischen Charakter“ ihrer Siedlung oder eine „historisch einmalige Bausubstanz“ kämpfen. Diese Gefechte werden seit Jahren in ganz Hamburg ausgetragen, von Niendorf über Tonndorf bis Iserbrook.
Gerne sind es possierliche Einfamilienhäuser mit Apfelbaumgärten, die vier- bis sechsgeschossigen Mehrfamilienhausklötzen weichen sollen. Lebenswerte Viertel werden zerstört, monieren die verschatteten Anwohner, die natürlich eigentlich nichts gegen neue Wohnungen haben, aber bitte maßvoll.
Immobilien Hamburg: In Hinterhöfen in Ottensen und Winterhude tobt der Konflikt
Der Konflikt tobt aber nicht nur in den Randbezirken, auch in zahlreichen Hinterhöfen in bereits dicht besiedelten Stadtteilen wie Rotherbaum, Ottensen oder Winterhude. Wenn auf Gemeinschaftsgrünflächen Luxusapartments entstehen sollen, gehen die Anwohner für ihre grünen Oasen, ihre Rückzugsorte im Großstadttrubel auf die Barrikaden.
Will man es ihnen verübeln? Höchstens doch solange, bis plötzlich ein Projekt den eigenen Not-in-my-backyard-Reflex auslöst, wenn man also selbst von einem Neubau im Umfeld betroffen ist. Hamburg wächst, die Bewohner brauchen neue Wohnungen, bezahlbare, wenn man mal „Wünsch dir was“ spielen könnte, doch gleichzeitig darf es keine Nachverdichtung auf Kosten der bereits Wohnenden geben. Der Verlust von Lebensqualität ist keine dröge Floskel, die Betroffene zum Spaß auf alte Bettlaken pinseln, um sie aus ihren Wohnungsfenstern zu hängen. Es ist eine reale Sorge, die man ebenso wenig klein reden kann, wie sechsgeschossige Mehrfamilienhäuser.
Neue Wohnungen in Hamburg: Dachaufstockung ist die Königsdisziplin der Nachverdichtung
Umso schöner, wenn Nachverdichtung nicht um jedem Preis stattfindet – sondern so, dass es dafür sogar einen Preis gibt. Einen solchen hat der Hamburger Senat nämlich nun erstmals vergeben, allerdings ging es dabei um die Königsdisziplin der kreativen Wohnraumbeschaffung: die Aufstockung. Passend dazu heißt die frisch ins Leben gerufene Auszeichnung „NEU geDACHt“. Das Ziel der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen ist es – mal ganz abgesehen von neuen Wohnungen – „das Thema Aufstockung und Dachnutzung stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken“.
Ob dieser Preis nun Werbung in Sachen Nachverdichtungs-Akzeptanz sein kann, sei dahingestellt. Doch das Gewinner-Projekt kann sich in jedem Fall sehen lassen. Dabei handelt es sich um ein Wohngebäude an der Mehtfesselstraße/Ecke Lutterothstraße in Eimsbüttel. Das denkmalgeschützte Ensemble besteht aus acht Einzelgebäuden und war nach dem Zweiten Weltkrieg nur mit einem Notdach wiederaufgebaut worden. Dieses wurde bei der Aufstockung ersetzt, und zwar mit zwei weiteren Geschossen. Enstanden sind dabei 23 neue Wohnungen.
Und, entscheidend: Das Ganze scheint keinen Anwohner zu stören, im Gegenteil. Laut Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein profitiere das ganze Umfeld von der Aufwertung des Gebäudekomplexes. Und Hamburgs Oberbaudirektor Franz-Josef Höing lobt: „Es ist möglich, sensibel im Bestand weiterzubauen, ein Stück Stadtreparatur zu betreiben und gleichzeitig etwas Neues zu schaffen.“
Immobilien aufstocken: Hamburg will Erleichterungen für Bau von Wohnungen beschließen
Während es beim Thema Nachverdichtung oft um Alt gegen Neu geht, sei den Gewinnern Trutz von Stuckrad Penner Architekten in Eimsbüttel eine kluge Verbindung von Alt und Neu gelungen, findet die Jury: „Die großen Dachschindeln aus schwarzem Titanzink erinnern an die ursprüngliche Dacheindeckung aus Schiefer. Die neuen Materialien fügen sich optisch in das Bild des altehrwürdigen Gebäudes ein und sind dennoch als zeitgenössisch zu erkennen.“ Mit anderen Worten: Gut aussehen tut es also auch noch.
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Kann man noch mehr wollen? Ja – mehr davon. Allerdings scheitern Bauprojekte, gerade clevere, oft an überzogenen Vorschriften und Regularien. Doch gerade beim Thema Aufstockung hat der Senat 2017 bereits Erleichterungen beschlossen, zum Beispiel muss kein Fahrstuhl mehr eingebaut werden. Und mit der nächsten Novelle der Hamburgischen Bauordnung, die gerade in der Mache ist, sollen Dachausbauten genehmigungsfrei gestellt werden. Diese müssen nur noch angezeigt werden, dann kann es schon losgehen. Mehr davon!