Hamburg. Das Hamburger Plattenbau-Projekt begeisterte Martin Streb damals, Hochhäuser galten als schick. Welche Pläne nie realisiert wurden.

Martin Streb war gerade 30 Jahre alt, als er das Projekt Lenzsiedlung in Hamburg-Lokstedt auf den Tisch bekam. Er hatte das Vorhaben von seinem Vater, dem bekannten Architekten Ferdinand Streb – zu seinen Werken zählen unter anderem die Grindelhochhäuser, der Alsterpavillon und das Springer-Verlagshaus –, übernommen. Dieser konnte sich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr selbst kümmern.

Martin Streb und das Architekturbüro Schween & Partner waren damals als Arbeitsgemeinschaft für die Planung des Hochhauskomplexes betraut, in dem heute mehr als 3000 Menschen leben und der formal zu Lokstedt gehört, aber gefühlt mitten in Eimsbüttel liegt. Damals, also Ende der 1960er-Jahre, befanden sich auf dem heutigen Gebiet der Lenzsiedlung noch Schrebergärten.

Hamburger Architekt der Lenzsiedlung: Raum für viele Menschen schaffen

Doch die Stadt und die Saga wollten hier hoch hinaus, um Raum für viele Menschen zu schaffen. Das war der Zeitgeist: In etwa derselben Phase entstanden auch andere Hochhaussiedlungen, unter anderem die Großsiedlungen Kirchdorf-Süd, Mümmelmannsberg und Osdorfer Born. Für Streb war die Lenzsiedlung eines seiner ersten großen Projekte, auch er war von der Idee der Nachverdichtung und der effizienten Bauweise überzeugt. Heute ist Martin Streb 84 Jahre alt. Mit dem Abendblatt sprach er darüber, warum ihn das Projekt damals so begeisterte, welche Pläne nie realisiert wurden und was er heute anders machen würde.

Hamburger Abendblatt: Herr Streb, wie kam es, dass damals genau diese Fläche für eine neue Hochhaussiedlung ausgewählt wurde?

Martin Streb: Die Fläche war damals gleich aus zwei Gründen interessant. Zum einen war die U-Bahn-Station Lutterothstraße wenige Jahre zuvor fertig geworden und bot einen guten Anschluss. Zum anderen gehörte das Grundstück der Stadt. Außerdem gab es damals das Hamburger Dichtemodell, das Wohnraumverdichtung in der Nähe von U- und S-Bahn-Stationen vorsah. Man sah hier damals die Möglichkeit, viele Wohnungen auf relativ kleiner Fläche zu bauen. Für die konkreten Planungen hatte die Stadt das Grundstück dann an die Saga übergeben.

Was waren die Vorgaben der Stadt Hamburg?

Von Anfang an war klar, dass hier sozialer Wohnungsbau entstehen soll und etwa 850 Wohnungseinheiten gebaut werden sollten. Das finanzielle Korsett war eng und machte den Plattenbau fast zwangsläufig notwendig.

Hamburger Architekt Martin Streb: Keine Vorbehalte bei Lenzsiedlung

War es für Sie als junger Architekt spannend, das Projekt zu übernehmen – oder hatten Sie Vorbehalte?

Vorbehalte hatte ich keinesfalls. In einem Hochhaus zu wohnen, galt damals als schick. Und wir hatten keine Hemmungen, uns da richtig auszutoben. Ein Hochhaus, das stand für Moderne. Und es war ein Ansporn für uns, aus den relativ kleinen Wohnflächen das Beste herauszuholen. So hat beispielsweise jede Wohnung einen belichteten Verfügungsraum bekommen, der als Arbeits-, Ess- oder Spielzimmer genutzt werden konnte. Außerdem haben wir die Küchen nicht, wie in historischen Arbeiterwohnungen typisch, zum Wohnbereich geöffnet, sondern in eigenen Räumen untergebracht. Das war uns damals wichtig, damit nach dem Kochen nicht die ganze Wohnung riecht. Heute sieht man das wohl wieder anders.

Worauf legten Sie damals den Fokus bei den Planungen? Was war Ihnen besonders wichtig?

Wir setzten die Schwerpunkte der Planung unter anderem auf Durchlässigkeit, die etwa dadurch erreicht werden sollte, dass wir zwischen den Gebäuden immer Öffnungen ließen. So sollte, zusätzlich zu den unterschiedlichen Höhen des Komplexes, Luftigkeit entstehen. Auch hatten wir die Gemeinschaft im Blick, planten also von Anfang an Gemeinschaftsräume auf den Etagen für die Bewohnerinnen und Bewohner. Wichtig war uns auch, dass der Innenhof verkehrsfrei und damit familienfreundlich bleibt. Wir hatten gedacht, dass hier zum Beispiel auch ein Wochenmarkt stattfinden könnte. Ursprünglich hatten wir auch geplant, im Erdgeschoss anzusiedeln, also mehrere Geschäfte, die auch das Umfeld in die Lenzsiedlung locken sollten.

Lenzsiedlung in Hamburg-Lokstedt ist eine „Monostruktur“

Geschäfte, Wochenmarkt, Durchmischung mit dem Stadtteil. All das ist nicht gekommen. Was war der Grund dafür?

Wir als Architekten können bei der Nutzung nur Vorschläge machen. Einige Dinge wurden zwar aufgenommen, aber dann nicht weitergedacht. Vermutlich auch, weil Kostengründe dagegensprachen.

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Würden Sie die Lenzsiedlung heute noch mal genauso bauen?

Nein, das würde ich nicht. Wir haben damals unterschätzt, dass sich die dichte Besiedelung der Gründerzeitbauten in der Nachbarschaft nicht einfach fortschreiben lässt. Dass also das, was auf der einen Seite gut funktioniert, auf der anderen Seite zu viel sein kann. Bei der Lenzsiedlung handelt es sich um eine Monostruktur. Und dafür waren es wohl einfach zu viele Wohnungen und damit zu viele Menschen. Das bedarf kleinerer Einheiten und vielleicht mehr Moderation. Insbesondere in den ersten Jahren gab es viele Probleme – die erhoffte Durchmischung fand nicht statt und vielleicht tut sie es auch bis heute nicht. Würde ich heute noch mal planen müssen, würden es weniger Stockwerke werden. Schon allein aus praktischen Gründen. Wenn Eltern ihren im Innenhof spielenden Kindern etwas zurufen wollen, dann ist das vom neunten Stock aus schlicht und einfach schwierig.