Hamburg. Am Schulterblatt steht das wohl ungewöhnlichste Gründerzeithaus der Stadt. Hier sollte man einmal genau hinter die Fassade gucken.

Ach, Altbau. Hohe Decken, knarzende Dielen, Stuck, Kassettentüren, historisch gemusterte Fliesen – da schlägt das Herz des Wohnästheten höher. Wer etwas auf sich hält (und es sich leisten kann), der wohnt in einem der herrlichen Hamburger Gründerzeitviertel. Diese mehr als 120 Jahre alte Architektur kommt einfach nicht aus der Mode. Im Gegenteil, in Sachen Charme ist sie vielen nüchternen Bauten der vergangenen Jahrzehnte weit voraus. Sie ist zeitlos schön.

Wer schon mal in einer Altbauwohnung gelebt habt, weiß allerdings auch um die Nachteile: Im Winter kann es ganz schön zugig werden. Wer neue Fenster einbaut, darf sich auf Schimmel freuen. Ob das Regal an der Wand hält, ist reine Glückssache. Und durch die Holzdecken bekommt man das Leben der Nachbarn hautnah mit.

Immobilien Hamburg: Haus in der Schanze hat alle Stilmerkmale eines Altbaus

Wäre es also nicht wunderbar, wann man die Vorzüge eines Neubaus mit der Schönheit eines Altbaus kombinieren könnte? Diese Frage haben eine Bauherrin und ein Architektenteam aus Hamburg mit einem klaren Ja beantwortet. Wie das aussieht, kann man in der Schanze bewundern. Am Schulterblatt 37–39 haben sie einen Neubau verwirklicht, der wie ein Gründerzeitbau gestaltet ist.

Jule Bleyer, Teamleitung Hamburg, schreibt über den Immobilienmarkt – und dass nicht jedes Haus das ist, was es zu sein scheint.
Jule Bleyer, Teamleitung Hamburg, schreibt über den Immobilienmarkt – und dass nicht jedes Haus das ist, was es zu sein scheint. © Roland Magunia/Hamburger Abendblatt | Roland Magunia/Hamburger Abendblatt

Wenn ein historisches Haus abgerissen wird, empfinde sie das immer als „schmerzlich“, so Maren Landschulze von der gleichnamigen Grundstücksverwaltung. Darum habe sie den Wunsch gehabt, dem Verschwinden von Bauten der Gründerzeit etwas entgegenzusetzen. Und so zeigt das Haus am Schulterblatt die typischen Stilelemente des Altbaus: Stuckverzierungen, Balkone mit historisch anmutenden Geländern, Ornamente unter dem Dachvorsprung, schmiedeeiserner Dachschmuck.

Haus in der Schanze: Kann ein Bad aus der Gründerzeit unmodern werden?

Vorbild für den Bau war ein Entwurf des Hamburger Architekten Heinrich Schmidt von 1895. Doch die Begeisterung für die Architektur der Gründerzeit hört nicht an der Fassade auf. In den Wohnungen gibt es Stuck und getischlerte Fensterbekleidungen, Bäder und Küchen wurden nach historischem Vorbild gefliest.

Aber passt so etwas wirklich noch in die heutige Zeit? Die Bauherrin ist davon überzeugt: „Ein von vornherein am Stil des Hauses ausgerichtetes Badezimmer folgt zwar nicht der Mode, kann aber auch nicht unmodern werden.“ Und auch Architekt Ralph Matthiesen ist sich sicher, dass es eine Mieterschaft gibt, der die Altbauanmutung wichtiger ist „als Fußbodenheizung und KNX-Installation“.

Leben wie in einem Altbau in der Hamburger Schanze – aber ohne Holzbalkendecke

Auf dem neuesten Stand ist das Haus trotzdem. Zum Beispiel beim Wärmeschutz. Oder was die Leitungen angeht. Einen Aufzug gibt es auch. Ebenso wie Außenwanddurchlässe als Lüftung. Zudem wird man nicht mehr mit wach, wenn der Nachbar von oben nachts aufs Klo geht. Da historisch konstruierte Holzbalkendecken heute weder den Anforderungen an Brand- noch an Schallschutz genügen, trennt die Wohnungen Beton.

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Das begeistert nicht nur die Bewohner, sondern auch den Verein „Stadtbild Deutschland“ mit Sitz in Berlin, der sich für Denkmalschutz, Rekonstruktion städtebaulich wichtiger Bauwerke sowie klassisch-traditionelles Bauen und die Pflege regionaltypischer Stadtbilder einsetzt. Die Mitglieder haben den Neubau vom Schulterblatt nun zum „Gebäude des Jahres“ gekürt. 

Immobilien Hamburg: Wie man sich Stil beim Wohnungsbau heute noch leisten kann

Mit der Auszeichnung werden auch der „Mut“ der Bauherrenschaft und der Architekten gewürdigt, „den konsequent richtigen Schritt zu tun und sich dieser bewährten und immer noch beliebten Formensprache“ des historischen Architekturstils zu bedienen. Da Gründerzeitquartiere zu den beliebtesten Adressen zählten, sei es „nur logisch und folgerichtig, sich endlich zu diesem Stil und seiner Ausstrahlungskraft zu bekennen“.

Aber kann man sich so viel Stil beim Bauen eigentlich leisten? „Schön zu bauen ist nicht unbedingt teuer, und es wird auch viel Hässliches teuer gebaut“, sagt dazu Maren Landschulze, deren Grundstücksverwaltung zuvor bereits denkmalgeschützte Altbauten in Hamburg saniert und teilweise rekonstruiert hat. Es gehe darum, das Geld an der richtigen Stelle zu investieren, zum Beispiel in hochwertige Materialien, solide Konstruktionen sowie in „zeitlose“ Gestaltung. Dann „sind die höheren Kosten gut investiert, und man baut nachhaltig“. Das klingt zeitlos schön.