Hamburg. Hamburgs Jugendliche sind zunehmend belastet. Wie ein Resilienz-Workshop an einem Eimsbütteler Gymnasium 13-Jährigen helfen soll.
„Wie kann ich Glück im Leben haben? Wie kann ich das erreichen, ohne dass es ein Zufall bleibt?“ Es sind ungewöhnlich erscheinende Fragen an einem Mittwochmorgen in der Klasse 8e am Emilie-Wüstenfeld-Gymnasium (EWG) in Hamburg-Eimsbüttel.
Doch darum geht es an diesem Unterrichtstag – und darum, wie man Grenzen setzt, sich weniger stressen lässt, kurz: Es geht um das große Thema Resilienz. Und warum das bereits für 13-Jährige wichtig ist.
Schule Hamburg – Lehrerin: „Schüler sind zunehmend belastet“
Workshops zum Thema Resilienz, zur Stressbewältigung und zum Thema Grenzen setzen, das kennen viele Arbeitnehmer aus ihren Unternehmen. Aber auch an Hamburgs Schulen ist das ein Thema – nach den Corona-Lockdowns umso mehr.
„Ich habe beobachtet, dass Schüler und Schülerinnen zunehmend belastet sind. Das spiegelt sich im Unterricht wider“, sagt Dorothea Grusnick. Sie ist Klassenlehrerin in der 8e. „Das Belastungsempfinden ist sehr viel stärker geworden. Gerade in Klasse 9 und 10 und in der Oberstufe beobachten wir, dass bei großen schulischen Belastungen diesem Peak nicht mehr standgehalten werden kann und Schüler entweder erkranken, aussteigen oder es zu einem Leistungseinbruch kommt.“
Schule Hamburg – Lehrerin: „Viele Schüler sind verzweifelt und erschöpft“
Die Jahrgänge, die jetzt in der oberen Mittel- und in der Oberstufe sind, waren während des Lockdowns auch lange im Homeschooling. „Die haben zum Teil Lücken – und auch Lücken in der psychosozialen Entwicklung, weil sie nicht gemeinsam mit Gleichaltrigen groß geworden sind. Viele leiden unter Versagensängsten, sind verzweifelt und erschöpft“, sagt Grusnick. „Die Schüler und Schülerinnen leiden zudem auch unter der gesamtgesellschaftlichen Situation, sind vulnerabel.“
Das möchte die Lehrerin den 28 Jungen und Mädchen ihrer Klasse möglichst ersparen und setzt deshalb früh an. Sie bietet ihnen die Möglichkeit zu lernen, ihre eigenen Bedürfnisse besser zu erkennen, um sich bestmöglich entfalten zu können. „Mir war es wichtig, die Schüler und Schülerinnen früh zu stärken, um mit Widrigkeiten souverän umgehen zu können.“
Stress in der Schule: Eimsbütteler Klasse lernt, eigene Gefühle besser zu erkennen
Dabei helfen den Mädchen und Jungen Anja Walter und Nadine Rehbein aus Hamburg-Hoheluft – die eine ist Kunsttherapeutin und Coach, die andere Resilienz- und Selbstbehauptungstrainerin. An diesem Vormittag dürfen sich die Schüler ganz viel Zeit für sich selbst nehmen – etwas, das im Schulalltag viel zu kurz kommt und ein echter Luxus ist. Sie lernen heute, ihre eigenen Werte, Bedürfnisse und Gefühle besser zu erkennen.
„Die Kinder und Jugendlichen üben, sich auch mal von den Meinungen und Anforderungen anderer, insbesondere Familie und Freunde, abzugrenzen“, sagt Anja Walter. Denn so können sie ihre individuellen Positionen finden und ein sichereres „Selbst-Bewusstsein“ aufbauen.
Klingt abstrakt, ist es aber gar nicht. Ganz anschaulich geht es hier zu – spielerisch beleuchten die 13-Jährigen ihre eigenen Gedanken und Werte. Um sich selbst besser kennenzulernen, gehört es auch dazu, den eigenen Körper zu begreifen. Und gerade in der Pubertät gibt es gewaltige Veränderungsprozesse.
„Sagt euren Eltern, sie sollen euch am Wochenende ausschlafen lassen!“
Dabei spielt auch das Gehirn eine große Rolle: Da ist der Präfrontalkortex (das Logikzentrum), das eine einzige Baustelle in dieser Lebensphase ist – Konsequenzen werden kaum bedacht. Und dann sind da noch die Amygdala und das limbische System, die extrem aktiv sind.
„Das sind die Bereiche des Gehirns, die für Gefühle zuständig sind“, erklärt Anja Walter den Schülern. „Dann ist da die Zirbeldrüse, die in eurem Alter sehr langsam ist und dafür sorgt, dass Jugendliche meist spät ins Bett gehen und eigentlich immer unausgeschlafen sind.“ Die gute Nachricht für die Schüler: „Sagt euren Eltern, sie sollen euch am Wochenende ausschlafen lassen – das ist medizinisch notwendig.“
Resilienz-Workshop in der Schule: Kothaufen steht für negative Gedanken
Die Schüler und Schülerinnen lernen Gedankenkreisläufe kennen, erfahren, dass jeder Mensch täglich etwa 60.000 Gedanken hat. Das sind nicht immer nur gute Gedanken: Ein künstlicher Kothaufen steht für negative, ein Geschenk für positive Gedanken. „Wenn du ein negatives Gefühl hast und komplett darin aufgehst, nimm dir mal die Zeit und denke nach, ob das wirklich alles so schlimm ist“, sagt Anja Walter.
Denn die Antwort auf die Frage, wie man im Leben Glück haben kann, scheint ganz einfach zu sein: „Je länger du einen schlechten Gedanken verfolgst und verfestigst, desto mehr gerätst du in den Strudel schlechter Gedanken, der alles einsaugt“, so die Resilienz-Expertin. Umgekehrt gilt: „Je mehr du dich auf die guten Dinge im Leben fokussierst, desto mehr kannst du dich vom Zufall befreien: Du wirst generell offener, sodass glückliche Zufälle dir auffallen und du dann zugreifen kannst.“
Resilienz soll den Jungen und Mädchen helfen, gelassener zu werden
Die Klasse macht sich Gedanken über Werte, die jedem Einzelnen wichtig sind. Für Lotti sind das Liebe, Freiheit und Respekt, für Helen Freundschaft und Liebe. Wozu das Ganze? „Neben deinen Gefühlen und Gedanken ist für dein Selbstbewusstsein auch wichtig, deine Grundwerte zu kennen“, sagt Anja Walter.
Denn nur wer weiß, was ihm oder ihr wichtig ist, könne leichter Grenzen setzen, werde gelassener. Wer seine Bedürfnisse erkennt und erfüllt, ist gestärkt. „Das ist Resilienz – und hilft, in schwierigen Situationen das Richtige zu tun.“
Einen halben Tag Resilienz-Training. Schüler Justus zieht ein Fazit: „Mir hat gefallen, dass wir gelernt haben, wie viele verschiedene Arten von Grenzen es gibt und was es braucht, um Grenzen zu setzen.“ Und auch Lotti hat profitiert: „Ich fand den Workshop gut, weil er mir geholfen hat, mir klarer über das Thema Grenzen zu werden.“
Schule Hamburg: Resilienz und psychische Gesundheit hamburgweites Thema
Resilienz und psychische Gesundheit, das ist hamburgweit an den Schulen ein Thema. „Sich mit Selbstwahrnehmung zu beschäftigen, gehört zum erfolgreichen Lernen dazu“, sagt Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde. „Je nach Schulform wird diese Thematik in unterschiedlichen Zusammenhängen über die ganze Schulzeit hinweg immer wieder aufgegriffen.“
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In der Nachbarschule des EWG, am Kaiser-Friedrich-Gymnasium (Kaifu), geht man auch einen besonderen Weg: Dort wurden mit Unterstützung der Bildungsbehörde Schülerinnen und Schüler zu Mental Health Coaches ausgebildet.
Zwölf Schülerinnen und Schüler im Alter zwischen 14 und 17 Jahren besuchen dafür regelmäßig Workshops und helfen ihren gleichaltrigen Mitschülern niedrigschwellig. Schulleiter Arne Wolter sagt: „Nach Corona haben wir gemerkt, dass viele Schüler und Schülerinnen eine deutlich niedrigere Resilienz hatten. Sie waren verunsichert, viele litten unter Bauchschmerzen. Die psychosoziale Belastung hat zugenommen.“