In Hamburg klagen Anwohner erfolgreich gegen eine Unterkunft für Flüchtlinge an der Sophienterrasse. Der Streit betrifft die ganze Stadt - und ein genauer Blick auf die Hintergründe tut not.

Harvestehude. Wer den Mittelweg von der Innenstadt hinauffährt, dem wird das Gebäude des früheren Kreiswehrersatzamts auf den ersten Blick gar nicht auffallen. Der im 50er-Jahre-Stil gehaltene Gelbklinkerbau steht ein paar Meter von der Straße zurückgesetzt. Einige Bäume, eine Wiese, eine Bushaltestelle. Auf der gegenüberliegende Seite hat der Norddeutsche Rundfunk (NDR) sich mit funktionalen Glasbauten breitgemacht.

Im Stadtteil Harvestehude ist seit seiner Entstehung der Wohlstand zu Hause. Er wurde ihm sozusagen in die Wiege gelegt, als ein Konsortium im Jahr 1866 das Gelände vom Kloster St. Johannis kaufte und die 1882 von der Stadt erlassenen „Klosterlandbedingungen“ dafür sorgten, dass hier keine kleinen Wohnungen entstehen oder sich Gewerbebetriebe ansiedeln konnten. Als Folge wurden bevorzugt Villenreihenhäuser mit Innengärten errichtet.

Doch die Zeiten haben sich geändert und in Teilen von Harvestehude gehören Büros von Rechtsanwälten und Unternehmensberatern, Arztpraxen und eben der NDR längst zum Stadtbild. Auch an dem Kreiswehrersatzamt oder der ein paar Hundert Meter in Richtung Alster gelegenen ehemaligen Standortkommandantur der Bundeswehr hatten Anwohner keinen Anstoß genommen. Doch seit das Bezirksamt Eimsbüttel entschieden hat, in dem Klinkergebäude Flüchtlinge und Obdachlose unterzubringen, herrscht Aufruhr.

Vor allem seit am Freitag vor zehn Tagen das Verwaltungsgericht Hamburg einem Eilantrag von Anwohnern stattgab und damit vorerst den Umbau zu einer Flüchtlingsunterkunft stoppte, ist die Empörung in der Stadt groß. Die Tinte unter der Gerichtsentscheidung war noch gar nicht getrocknet, als viele Kritiker kein Blatt mehr vor den Mund nahmen und die Richter heftig attackierten. Eine Kommentatorin des NDR sprach gar von einem „Urteil der Schande“.

Was das Gericht entschied

Die Richter hatten entschieden, Anwohner, deren Grundstücke in dem gleichen Baublock wie die geplante Einrichtung lägen, könnten sich auf einen sogenannten Gebietserhaltungsanspruch berufen. So weise der geltende Bebauungsplan das Gebiet als besonders geschütztes Wohngebiet aus und die Unterbringung von bis zu 220 Wohnungslosen und Flüchtlingen in der vom Bezirksamt vorgesehenen Art und Weise sei in dem geplanten Umfang in einem besonders geschützten Wohngebiet nicht zulässig.

Was viele Kritiker der ersten Stunden übersahen: die Richter hatten keineswegs die Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft untersagt, sondern lediglich die aus ihrer Sicht zu hohe Zahl an unterzubringenden Flüchtlingen bemängelt. Doch vor allem die wahlkämpfenden Parteien achteten nicht auf diese Feinheiten. Sie warfen den Klägern, die sich aus ihrer Sicht vor Gericht lediglich gegen eine Verwaltungsentscheidung wehrten, mangelnde Solidarität, Egoismus und Kleinkariertheit vor.

Eine Woche nach dem Richterspruch haben sich die Gemüter wieder etwas abgekühlt. Hendrikje Blandow-Schlegel, Erste Vorsitzende des Vereins Flüchtlingshilfe Harvestehude, hält das Urteil zwar nach wie vor für eine moralische Fehlentscheidung, die an der Lebenswirklichkeit vorbeigehe. „Aber es ist sinnvoll, die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts über die vom Bezirksamt eingereichte Beschwerde abzuwarten“, sagte die Rechtsanwältin.

Nach ihren Worten ist die jetzt aufgeworfene Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Es müsse geklärt werden, ob einzelne Anwohner Veränderungen in ihrem Wohnumfeld verhindern könnten, indem sie sich auf einen Bebauungsplan aus den 50er-Jahren beriefen. Schließlich sei Harvestehude nicht der einzige Stadtteil, in dem Bürger gegen die Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft mobil machten.

Hätten Klagen verhindert werden können?

Immerhin 1500 Hektar der Hamburger Stadtfläche gelten nach Auskunft der Stadtentwicklungsbehörde (BSU) als „besonders geschützte Wohngebiete“. Oftmals wurden diese Flächen 1938 als solche ausgewiesen, und der Schutz 1955 erneuert. In den 50er- und 60er Jahren herrschte bei Stadtplanern die Meinung vor, Arbeiten und Wohnen müssten getrennt werden. Allerdings treibt Stadtplaner oft auch die Sorge um, Hamburg könne sein historisches Gesicht verlieren, würden Viertel verändert.

Auf 629 Einzelflächen, deren Größe von sechs Quadratmetern bis 63 Hektar reicht, kommt die BSU nach eigener Darstellung. Die Flächen liegen oft in gutbürgerlichen Stadtteilen wie Harvestehude, Groß Flottbek, Sasel, Wellingsbüttel, Eppendorf und Othmarschen. Eine Änderung des Status ist ohne Weiteres möglich. Das zuständige Bezirksamt muss einen neuen Bebauungsplan aufstellen. Das dauert etwa zwei Jahre.

Inzwischen rückt das Verhalten der staatlichen Verwaltung in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Der Eimsbütteler CDU-Bezirksabgeordnete Michael Westenberger glaubt, es wäre nicht zu den Klagen gekommen, wenn Verwaltung und Kommunalpolitik früher auf die Gegner zugegangen wären. Die Grünen wiederum haben inzwischen vorgeschlagen, in dem ehemaligen Kreiswehrersatzamt Wohnungen für Wohnungslose und Flüchtlinge zu errichten.