Lohbrügge. Menschen in Lohbrügge-Nord wollen die immens gestiegenen Rechnungen nicht akzeptieren. Demnächst kommt es zum Treffen mit E.on.

Es ist Montag, 10. Oktober. Kollegin Anne kämpft mit einer Telefon-Umfrage zu einer möglichen Twindemie in der kalten Jahreszeit, ich komme gerade von der Begleitung einer oberösterreichischen Delegation zurück, die sich die nachhaltige, aber auch nicht ganz so leicht erklärbare Energiegewinnung im CC4E-Campus hat demonstrieren lassen. Da betritt ein hünenhafter Lohbrügger die Redaktion, möchte mit uns sprechen, ist aufgeregt wegen einer „echten Sauerei“.

Redakteur Jan Schubert
Redakteur Jan Schubert © Ulf-Peter Busse | Ulf-Peter Busse

Eigentlich stecken wir bis zum Hals in Arbeit, doch ich will mindestens mal ein paar Minuten anhören, was der aufgewühlte Besucher zu erzählen hat. Wer weiß, wofür es gut sein kann? Ein paar Minuten später ist mir klar: Die Energiekrise, dieses seit Monaten drohende Szenario für den Winter, schlägt mit voller Wucht im Lohbrügger Norden zu. Der Gast heißt Stefan Pütz. Damals Unterschriftensammler, heute Initiator der Interessengemeinschaft „Wir“.

Heizkosten-Schock: Fernwärme-Kunden in Lohbrügge protestieren

Wer in der Wohnsiedlung bis in die erste Oktober-Woche hinein dachte, die Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine blieben hier auf Zapfsäule, Supermarkt und Urlaubskasse beschränkt, wird beim Öffnen der Post eines Schlechteren belehrt: Energielieferant E.on fordert von Kunden des Holzheizkraftwerks für 2021 bis zu 2000 Euro Nachzahlung und 400 bis 800 Euro an monatlichen Abschlägen.

Das sind im Extremfall bis zu viermal so hohe Kosten wie zuvor für eine Bevölkerung, die zu mehr als drei Viertel aus älteren Menschen mit schmaler Rente besteht. Da bleibt häufig nicht nur die Heizung kalt, die Dusche trocken, die Herdplatte aus. Kinder ziehen vorübergehend zu ihren Eltern zurück, damit die Kosten zusammen gestemmt werden können. Autos werden verkauft, um über kalte Monate hinwegzukommen. Öfen und Kamine sind plötzlich gefragter denn je.

Begründung der Preisexplosion stößt auf Unverständnis

In bisher keinem anderen Hamburger Stadtteil sind die Bürger über ihre Energierechnungen derart empört und auf die Barrikaden gestiegen wie in Lohbrügge-Nord. Das wird dem Beobachter spätestens dann bewusst, als ungefähr 200 Lohbrügger zwei Tage nach Pütz’ Redaktionsbesuch wie angekündigt in der Kehre der Häußlerstraße zur Schärstraße erscheinen und ihre Rechnungen mitbringen.

Der Unmutstenor lautet, dass sie nicht verstehen, warum die Kostenexplosion bei der gelieferten Fernwärme, die doch zum Großteil aus Altholz hergestellt wird, auf dem doch relativ geringen Gasanteil (22 Prozent) basiert. Pütz sagt an diesem Tag: „Wir müssen zeigen, dass man so nicht mit uns umspringen kann.“

„Wir“ gegen E.on: Bald soll es zu einem Treffen kommen

Es folgen noch mehr Menschen bei einer Kundgebung vor dem Holzheizkraftwerk am Havighorster Weg am 28. Oktober, die Gründung von „Wir“ und ein eher enttäuschender Besuch von Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) im Gemeindehaus am Kurt-Adams-Platz, der nicht die Gefühlslage der Menschen trifft. Die wollen nämlich nicht wissen, welche Hilfen sie wo ab dem 1. Januar beantragen können. Viel mehr geht es ihnen um das Wieso und das Hinterfragen der empfundenen Ungerechtigkeit.

Spannend dürfte in diesem Zusammenhang ein Donnerstagabend im Januar werden. Dann hat „Wir“ namhafte Vertreter von E.on und dem Holzheizkraftwerk zur Podiumsdiskussion eingeladen. Das dürfte nicht nur ob der ungeheizten Halle ungemütlich werden. Noch wird auf eine Terminbestätigung seitens der E.on gewartet.

Für Außenstehende wirkt der Lohbrügger Energieprotest sehr spontan, anfänglich etwas unorganisiert, mindestens mal improvisiert. Doch er scheint zu funktionieren. Zumindest was Solidargemeinschaft, Solidarität und, das ist auch ein wesentlichere Punkt, die öffentliche Aufmerksamkeit anbelangt. Sie könnte noch größer werden, wenn die Prognosen für das kommende Jahr zutreffen bezüglich der Energieabrechnungen 2022. Experten gehen davon aus, dass die Preise für Gas, aber auch Strom und Heizöl weiter anziehen werden. Ob dann noch mehr Bergedorfer in unsere Redaktionsräume an der Chrysanderstraße kommen?