Bergedorf. Andreas Dressel (SPD) brachte Preisbremsen mit – das Plenum möchte aber, dass die Rechtmäßigkeit der E.on-Forderungen geprüft wird.
Da hast Du einen sehr langen Debattentag hinter dir. Mühst dich mit den nicht immer einfachen Koalitionspartnern und der noch komplizierteren Opposition ab. Verschiebst den Start ins Wochenende, weil du unbedingt noch diesen Diskussionsabend im Gemeindesaal der Lohbrügger Auferstehungskirche mitnehmen möchtest. Hörst das Murren im Plenum. Einige stehen sogar frühzeitig auf, weil das offenbar nicht ihre Themen sind. Und kalt ist es irgendwie auch – und dann kommt auch noch der Brannath.
Christian Brannath, einer der Vordenker aus der Interessengemeinschaft (IG) „Wir“, die sich bekanntlich gegen die hohen Energiekosten verlangt von E.on im Lohbrügger Norden auflehnen (wir berichteten mehrfach). „Wir haben die Heizungen runtergedreht, damit Sie, Herr Senator, ein Gefühl dafür bekommen, wie es den Lohbrügger geht“, schmetterte Brannath Hamburgs Finanzsenator Dr. Andreas Dressel (SPD) entgegen.
Bis zu 2000 Euro obendrauf fürs Jahr und 850 Euro monatlich
Eines wurde bei diesem Informationsabend relativ klar: Dressel, der so sehnlichst herbeigewünschte Retter aus dem Rathaus, hatte leider nicht das mitgebracht, was viele Lohbrügger von ihm erwartet hatten. Denn Entrüstung, emotionale Aufgeladenheit und spürbare Existenzängste der Fernwärme-Kunden des Holzheizkraftwerks am Havighorster Weg bleiben groß. Weil sie plötzlich, wie ihnen im Oktober per Post mitgeteilt wurde, das Vierfache an Nachzahlungen und monatlichen Abschlägen zahlen sollen – bis zu 2000 Euro obendrauf fürs Jahr und 850 Euro monatlich.
Viele der vor allem älteren Bürger wissen nicht, was sie tun sollen. Das führt zu Verzweiflungstaten: So hat eine Rentnerin nach Angaben von Christian Brannath unlängst ihr Auto verkaufen müssen, um die Nachzahlungen für ihr 100-Quadratmeter-Bungalow leisten zu können.
Finanzsenator trifft nicht die Sorgen der frierenden Lohbrügger
Dressel (47) dachte wohl auch, dass er tolle Neuigkeiten und Tipps für den Termin zum Kurt-Adams-Platz mitgebracht hätte. Denn im Bundesrat wurden Gas- und Strompreisbremse für den 1. Januar 2023 beschlossen, was für jeweils 80 Prozent des jeweiligen Verbrauchs gilt. Dazu erwähnte Dressel, dass das Bergedorfer Bezirksamt ebenfalls im neuen Jahr mit zusätzlichen Kräften ausgestattet wird, die sich explizit um die zu erwartende Antragsflut bei Härtefallanträgen und dem Wohngeld inklusive Heizkostenpauschale kümmere. Dressels Rat: „Prüfen Sie das für sich und haben Sie Geduld. Sie werden vieles ab dem 1. Januar merken, das ist keine Fata Morgana.“
Doch es ist nicht das, was die anfangs rund 110 frierenden Lohbrügger hören möchten. Es geht ihnen um die Wurzel des Übels, um viele Fragen. Wie kommt ein Energiekonzern darauf, plötzlich so massiv erhöhte Forderungen zu stellen? Wo liegt hier die Rechtmäßigkeit? Welche Wahlmöglichkeit bleibt den Fernwärme-Kunden eigentlich? Und wie soll das alles für die Abrechnungen 2022 nur weitergehen?
Schwierigkeiten bei der Überprüfung von Nachzahlungen und monatlichen Abschlägen
„Man kann diese Rechnungen nicht nachrechnen und somit nicht nachvollziehen“, beschrieb Stephan Pütz das Dilemma. Dieses ist darin begründet, dass sich bei den Rechnungen der Fernwärme-Bezieher der Anteil von Gas auf lediglich 22 Prozent, der von Holzabfällen hingegen bei 72 Prozent beläuft. Pütz, der die IG einst mit einer Unterschriftensammlung initiierte, hat, was das Nachrechnen angeht, auch einen Mathematik-Professor mit ins Boot geholt.
Es benötigte ein paar Wortmeldungen, damit die politische Prominenz durchschaute, was das Volk bewegt: „Wir werden hier abgekocht“, polterte etwa Karl Dittmann. Und der erzürnte 87-Jährige brachte die allgemeine Enttäuschung über den Dressel-Vortrag auf den Punkt: „Das liegt alles in der Zukunft, was Sie da erzählen. Wir brauchen Hilfe für die Vergangenheit!“
Dressel will neue Gespräche mit E.on angehen
Drei Plätze neben Dittmann meldete sich auch Cigdam Becker zu Wort: „Jetzt wäre es doch an der Zeit, dass Politik und Bürger gemeinsam auf die Barrikaden gegen solche Rechnungen gehen. Ihre Aufgabe wäre jetzt, die Rechtmäßigkeit der Rechnungen zu überprüfen, auch auf der Grundlage, dass wir hier keine freie Wahl beim Energieanbieter haben“, gab die 50-Jährige dem Finanzsenator einen Handlungshinweis. Dem er auch zögerlich nachkam.
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Dressel hatte, als es um den Anschluss zum Härtefallfonds der Stadt bei den Energiekosten ging, auch mit Verantwortlichen der E.on gesprochen und sich eine Abfuhr eingehandelt. „Glauben Sie mir, das war kein nettes Gespräch“, versicherte der politische Gast aus Volksdorf, der aber einen neuen Ablauf wagen will. In den kommenden Gesprächen sollen dann die Themen Transparenz und Rechtmäßigkeit der Lohbrügger Wärmerechnungen angesprochen werden. Auch weil Stephan Pütz insistierte: „Wir wissen, dass Sie als Hamburger Senator das globaler betrachten. Aber Holzheizkraftwerk und E.on ziehen sich zurück und informieren nicht. Lohbrügge ist ein Sonderfall, das muss man lokaler betrachten. Wir werden allein gelassen, das muss die Politik einfach mal verstehen.“
Pütz hat mittlerweile auch Kontakt zu anderen Interessengemeinschaften im Bundesgebiet aufgenommen, die ähnlichen Unmut verspüren. Nach Unterschriften, einer Kundgebung vor dem Kraftwerk und einem Besuch bei den Bergedorfer SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Ali Simsek und Alexander Mohrenberg war die Dressel-Einladung der nächste Schritt. In Vorbereitung ist außerdem eine Podiumsdiskussion im Januar 2023 mit Abgesandten der E.on sowie des HHK.
Verbraucherzentrale: Musterfeststellungsklage könnte Option sein
Und auch die Hamburger Verbraucherzentrale macht mit: Jan Bornemann, Energieexperte aus diesem Hause, ist schon mit Konflikt-Erfahrung gegenüber E.on ausgestattet und hebt die Sondersituation im Lohbrügger Norden und die Monopolstellung bei der Energieversorgung hervor: „Hier hätte E.on eine große Verantwortung, auf Kunden zu achten. Das tun sie nicht.“ Bornemann appellierte, den Protest fortzusetzen und als eine Möglichkeit eine Musterfeststellungsklage, in welcher die Verbraucherzentrale im Namen der Bürger auftritt, ins Auge zu fassen.