Bergedorf. Spitzenpolitiker besuchen Energiecampus in Bergedorf. Sie wollen Klimaneutralität bis 2040. Kann das klappen?

Was kann das Bundesland Oberösterreich von Technologie, die am Bergedorfer Energiecampus erforscht wird, lernen? „Schauen’s“, sagt Günther Steinkellner und zückt sein Smartphone. Darauf gespeichert hat er eine Studie aus seiner Heimatstadt, genauer gesagt von der Johannes Kepler Universität Linz. Die zeigt den Strombedarf verschiedener Verbraucher wie Mobilitätsanbieter, Landwirtschaft und produzierendes Gewerbe von 2019 bis zur angestrebten Klimaneutralität 2040. Steinkellners ernüchternde Erkenntnis daraus: „17 bis 43 Terawattstunden (TWh) an Energie müssen wir woanders als aus Oberösterreich her bekommen“, sagt der Infrastrukturminister des flächenmäßig viertgrößten Bundeslands Österreichs.

Der Bergedorfer Energiecampus der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) teilt seine Erkenntnisse mit den Nachbarn: Dass das ein prominent besetzter Besuch am Schleusengraben war, dokumentiert sich daraus, dass die oberösterreichische Landesregierung mit Steinkellner, Landesrat Markus Achleitner und Landeshauptmann Thomas Stelzer die wichtigsten Kräfte entsandt hat. Sie führen eine 16-köpfige Delegation aus Österreich an, darunter auch mehrere Medienvertreter, etwa vom ORF, der Kronen-Zeitung sowie der überregionalen Tageszeitung Oberösterreichische Nachrichten. All diese Gäste dürfen hinter die Kulissen der renommierten Fachhochschule mit 60 Mitarbeitern und 15 Professoren schauen und sich fragen: Funktioniert die Energiewende im hohen Norden?

Energiecampus: Theorie und Praxis klaffen auseinander

Doch bevor Fragen kommen, muss erst mal eine Wissensgrundlage über die Arbeit des Competence Center für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz (CC4E) geschaffen werden: Dazu stellen Mike Blicker und Petrit Vuthi zwei Forschungsschwerpunkte des CC4E vor: „Sektorkopplung und Wasserstoff“ und „Digitalisierung im Energiesektor“.

Die Delegation auf dem Dach des Emergiecampus’.
Die Delegation auf dem Dach des Emergiecampus’.

Und Diplomingenieur Blicker aus dem Leitungsteam des gastgebenden Hauses beginnt so: „Norddeutschland könnte sich bilanziell seit 2018 mit 100 Prozent erneuerbarem Strom versorgen.“ Das klinge sehr gut – allerdings zeigt die Realität, dass die Energiebilanz von vor vier Jahren anders aussieht. Der Erneuerbare Energieeinsatz im Norden beträgt damals nur 19 Prozent über alle Abnehmer (Industrie, Mobilität, Haushalt/Gewerbe) betrachtet, was den Verbrauch von Strom, Wärme und Kraftstoffen in den Bundesländern Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern angeht. Wie gering dieser Wert wirklich ist, lässt sich beurteilen, wenn vom Gesamtverbrauch (163,1 TWh) nur 31,2 TWh tatsächlich Strom waren. Das relativiert auch die Aussage Mike Blickers und macht seine Schlussfolgerung nachvollziehbarer: „Das zeigt uns, dass wir massiv die Erneuerbaren Energien ausbauen, an der Sektorkopplung (Ersatz fossiler Energieträger durch „sauberen“ Strom, Anm. d Red.) arbeiten und die Energieeffizienz steigern müssen.“

Alle wollen Windräder, sind aber in ihrer Nachbarschaft dagegen

Und Blicker hat weitere ernüchternde Fakten: „Wir brauchen eine ganz andere Zubauart, um Klimaneutralität in den nächsten 25 Jahren zu erreichen.“ Gerade der Ausbau von Windräder sei mancherorts ein viel diskutiertes Thema wie etwa beim Windpark Curslack: Alle wollen es, bloß nicht bei sich vor der Haustür. Ob die aus der aktuellen Kriegssituation herrührende Energiekrise letztlich der entscheidende Anstoß eines Strukturwandels sein wird, dass sich der deutsche Abnehmermarkt von wenigen großen Energieerzeugern unabhängiger machz, bleibt abzuwarten.

Auch den Ansatz des Power-to-Gas, also die Wasserstoffelektrolyse und biologische Methanisierung, nennt Blicker als Alternative, wenn es zur Stromerzeugung an Windkraft und Photovoltaik fehlt. Fehlender Wind mag im Norden Deutschlands zwar etwas seltener der Fall sein – in Oberösterreich taugt Wind bei durchschnittlich 2000 bis 2500 Windstunden im Jahr nur zur Randnotiz.

Öko-Stromerzeugung verdrei- bis vervierfachen

Minister Steinkellner möchte nun eines wissen: „Wie viel Prozent werden Sie im Jahr 2045 aus Erneuerbarer Energie produzieren?“ Projektleiter Blicker geht davon aus, dass mit den im CC4E erforschten Produktionsmethoden sich der bisherige Anteil der Stromerzeugung bis zum Jahr 2045 im Norden „verdrei- bis vervierfachen“ könnte.

Zu einem Besuch im Energiecampus gehört auch die Ansicht der Anlagen – und so führen die Gastgeber den politischen Besuch mit Medien-Anschluss noch zum Rundgang durch das hauseigene Blockheizkraftwerk bis zur Photovoltaikanlage auf dem Dach des Hauses mit der Zusatzfunktion, dass aus eingefangener Luft Strom produziert wird.

Was also nehmen die Gäste von ihrem Bergedorf-Aufenthalt mit? „Gemeinsame Probleme müssen global gedacht und gelöst werden“, lautet die Erkenntnis des Infrastrukturlandesrats Steinkellner. Er denkt dabei an die Bedeutung Oberösterreichs. In und um die Landeshauptstadt Linz schlägt das industrielle Herz Österreichs. Dafür brauche es schnell nachhaltige energetische Lösungen.