Bergedorf. Chef-Psychiater Claas Happach verlässt nach 30 Jahren das Bethesda-Krankenhaus. Was er in Bagdad, Bethlehem und Shanghai vorhat.
Kurz vor seinem 64. Geburtstag will er einpacken: das dicke Buch über Narzissmus, all die Fachliteratur über Psychosen und Schizophrenie. Nach 30 Jahren am Bergedorfer Bethesda-Krankenhaus will sich Dr. Claas Happach verabschieden – aber keineswegs die Hände in den Schoß legen: Menschen in China, Palästina und im Irak brauchen noch seine Expertise – und jene, die seine Privatpraxis in Ohlsdorf besuchen.
„Ich will nicht bis zum Rentenalter warten, sondern noch mit viel Schwung etwas Neues starten“, sagt der Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Eine Nachfolgerin ist bereits gefunden: Dr. Alexandra Bussopulos-Orpin, die die Integrierte Versorgung am UKE leitete und aktuell als Oberärztin in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Albertinen-Krankenhauses arbeitet. Sie wird am 1. Oktober zum Agaplesion-Bethesda-Krankenhaus wechseln.
Psychiatrie: Claas Happach verlässt das Agaplesion-Bethesda-Krankenhaus
Und sie wird viel zu tun haben, denkt Claas Happach – vor allem mit Blick auf die vielen Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und auch aus der Ukraine. Sie alle haben Gewalt erlebt und müssen ein Trauma verarbeiten. Das kennt er schon von den vielen Deutsch-Russen, die in Neuallermöhe leben: „Da sind die Großeltern von der Wolga vertrieben worden und geben ihre Gewalt- und Fluchterfahrung an die nächsten Generationen weiter. In solchen Familienstrukturen wird eher gehandelt als geredet. Da wird viel gearbeitet, sind auch Alkohol-Ausbrüche nicht selten“, erfuhr der Mediziner.
Das gilt ebenso für die Menschen, die den hiesigen Krieg erlebt haben. So die 83-Jährige aus den Vierlanden, die über Herz-Rhythmus-Störungen klagt und „Angst vor irgendwas“ hat. Happach ahnte es: „Ihre Katastrophe ist schon passiert.“ Und tatsächlich erlebte sie als Dreijährige den Hamburger Feuersturm 1943, flüchtete mit ihrer schwangeren Mutter von Hamm nach Kirchwerder. Solche Erfahrungen können lange nachwirken. Auch, wer früh Verantwortung übernehmen musste, wer vielleicht die Trennung der Eltern oder den suchtkranken Vater ertragen musste.
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie ist zu 90 Prozent ausgelastet
„Zum Glück können wir in unserer Institutsambulanz am Glindersweg auch ambulante Patienten behandeln. Denn in Bergedorf gibt es ansonsten nur eine einzige Praxis für Neurologie und Psychiatrie“, zeigt Dr. Happach den medizinischen Engpass auf. Seine Patienten indes kommen auf den vier Stationen mit jeweils 19 Plätzen unter: Zwei dienen der Allgemeinpsychologie, eine konzentriert sich auf Abhängigkeitserkrankungen („viel Kokain und Alkohol“), die vierte ist Menschen vorbehalten, die unter Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen leiden. Dazu kommen noch 35 Plätze in der Tagesklinik. „Wir sind zu 90 Prozent ausgelastet, können also immer noch Akutpatienten aufnehmen“, sagt Happach.
Das war weit anders, als der gebürtige Ostfriese sein Studium der Humanmedizin abgeschlossen hatte, den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie aufsattelte. Auf einer Tagung in München erfuhr er vor 30 Jahren, dass Dr. Theo Piegler in Bergedorf eine Abteilung für Psychiatrie gründete – mit der Psychiatriereform war eine wohnortnahe Versorgung erwünscht. Schon nach drei Jahren wurde Happach die Oberarztstelle angeboten, nebenher blieb Luft für zahlreiche Fortbildungen, etwa im Anna Freud Center in London, wo schwer psychisch kranke Menschen therapiert werden.
Claas Happach: „Manchmal muss man Menschen einsperren“
„Früher wollte man Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen einfach bloß wegsperren anstatt ihnen Angebote zu machen“, erinnert Claas Happach, der die gewaltfreie Psychiatrie dennoch für einen Mythos hält: „Manchmal muss man Menschen einsperren, einschränken und gegen ihren Willen behandeln. Wer in manischer Entgrenzung nackt durch Bergedorfs Straßen läuft, wird im Nachhinein zu Recht sagen, man hätte ihn vor sich selbst beschützen müssen.“
Zweimal sechs Plätze gibt es am Glindersweg „hinter geschlossenen Türen“. Für Menschen, die Angst haben, sich verfolgt fühlen oder auch mal das Pflegepersonal angreifen – weil sie selbst misshandelt wurden und Gewalt erlebt haben. Manche werden im Überwachungszimmer ans Bett gefesselt. „Einmal wurde die Scheibe eingeschlagen und das ganze Zimmer verwüstet“, erinnert sich der Chefarzt, der eine geschlossene Unterbringung zuvor stets beim Ordnungsamt beantragen muss, bis ein Richter innerhalb von 24 Stunden den Patienten besucht und eine Entscheidung trifft.
Weiterbildung von Ärzten der Kinder- und Jugendpsychiatrie
Mit seinem Fachbereich sei er immer ein „Diener zweier Herren“, ist sich Dr. Happach bewusst: „Zum einen geht es um das Wohl des Patienten. Zum anderen um das gesellschaftliche Interesse an Ordnung und Sicherheit“, so der Mitbegründer und Vorstandsmitglied der Norddeutschen Arbeitsgemeinschaft für Psychodynamische Psychiatrie.
Nach Ordnung und Sicherheit sehnen sich ganz besonders auch die Menschen im Irak und in Palästina. Jahrzehntelange Unruhen prägen die Psyche der Bevölkerung. Hier wirkt Dr. Happach mit bei der Weiterbildung von Ärzten der Kinder- und Jugendpsychiatrie, von Psychologen und Sozialpädagogen: „Ich engagiere mich für den Frankfurter Verein ,Children of Baghdad’, der Fortbildungen organisiert. Dafür treffen wir uns regelmäßig im türkischen Antalya“, sagt der 63-Jährige.
Auch in China ist Claas Happach ein gefragter Experte
Im Dezember geht es wieder nach Bagdad. Aber auch in Bethlehem wird die „sprechende Medizin“ dringend gebraucht, „in der einzigen psychiatrischen Klinik für Palästina“, so Happach, der ebenso in China ein gefragter Mann ist: Am Shanghai Mental Health Center zählt er zu den Ausbildern für psychoanalytische Therapie. Noch im Oktober werde er eine Woche vor Ort sein.
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„Und sonst so?“, muss man diesen Arzt also nicht fragen – da bleibt wenig Zeit für Privates. „Ich reise viel mit meiner Frau. Und ich halte mich mit Laufen ein bisschen fit“, sagt Happach, der daheim in Alsterdorf gern entlang der Alster joggt. Seine Privatpraxis in Ohlsdorf ist dann also nicht so weit, wo er Gruppentherapien, Supervisionen und ärztliche Ausbildungen anbietet. Aber tatsächlich: „Bergedorf wird mir fehlen“, sagt er im Rückblick auf 30 Jahre – und erinnert sich noch gut an seinen ersten Arbeitstag, „das war noch im alten AKB am Gojenbergsweg“.