Bergedorf. Die Not in Bergedorf ist groß: Es fehlen Angebote für stationäre Pflege – mit gravierenden Folgen. Wo es bald 134 weitere Plätze gibt.
Einfach mal schief aufgestanden und sich das Bein verdreht – und schon kann es ein Oberschenkelhalsbruch sein. Der kann zwar gut operiert werden, aber wie geht es danach weiter? Eine Anschlussversorgung muss her – meist hilft ein ambulanter Pflegedienst. Was aber, wenn ein älterer Mensch schlimmer erkrankt und rund um die Uhr Hilfe braucht? Dann muss es ein stationärer Pflegeplatz in einem Pflegeheim sein, aber: Gibt es davon genügend im Bezirk?
Um die Situation der pflegebedürftigen Senioren in Bergedorf sorgt sich Mathias Zaum: „Können die wirklich ausreichend versorgt werden?“, wollte der CDU-Bezirkspolitiker in einer Anfrage wissen – und erntete geschätzte Zahlen. Laut Pflegestatistik der Sozialbehörde gebe es aktuell in Hamburg 90.288 pflegebedürftige Menschen, allein: Sie werden nicht für einzelne Bezirke ausgewiesen. Nach Schätzungen seien es aber rund 6400 in Bergedorf. „Das ist mir ein bisschen zu dünn, da es nur prozentual hochgerechnet wurde. So lässt sich doch kaum planen“, meint Zaum verwundert.
Bergedorf: Viel zu wenig Plätze für Senioren in Pflegeheimen
„Das Thema ist eine einzige Vollkatastrophe. Es gibt einfach viel zu wenig Heimplätze“, sagt Matthias Gerwien. Der Sprecher des Agaplesion Bethesda Krankenhauses weiß, dass sich der Sozialdienst die Finger wundtelefoniert, um Patienten unterbringen zu können. Da werden regelmäßig bis zu 40 Heime im Umkreis von 30 bis 40 Kilometern angerufen: „Das ist eines der größten Probleme der Kliniken, denn ohne Anschlussversorgung entlassen wir nicht. Das aber blockiert den Patz für einen nächsten Patienten.“ Im schlimmsten Fall verbleibe jemand bis zu drei Monate lang in der Klinik, womit das Bett dann „für Dutzende Patienten belegt“ sei, so Gerwien.
Der Bedarf an stationärer Pflege ist tatsächlich riesig. „Das Thema brennt. Da kann man alle Pflegeheime im großen Umkreis fragen, die sind übervoll“, meint Vera Lütke Wissing. Die Einrichtungsleiterin der Georg-Behrmann-Stiftung (Justus-Brinckmann-Straße) kann immerhin 106 stationäre Pflegeplätze bieten. Die aber sind stets belegt: „Wir haben mindestens drei bis vier Anfragen auf einen Platz, ich muss täglich Anfragen ablehnen.“
„Pro Seniore AG“ eröffnet Pflegeheim im Bergedorfer Tor
Zum Glück eröffnet im Bergedorfer Tor bald die Saarbrücker Unternehmensgruppe „Pro Seniore AG“ ihre zweite Hamburger Einrichtung. In dem Neubau an der Bergedorfer Straße vis-à-vis vom Bahnhof entstehen in Einzel- und Doppelzimmern jeweils mit Bad insgesamt 134 Pflegeplätze. Dann können insgesamt 997 Heimplätze im Bezirk Bergedorf angeboten werden. Dazu, so die Antwort der Sozialbehörde, werden rund 1800 Menschen von 28 ambulanten Pflegediensten betreut. Wer jetzt mitgerechnet hat, ahnt, dass folglich 3600 Bergedorfer von pflegenden Angehörigen und Ehrenamtlichen unterstützt werden.
„Das spricht nicht unbedingt für eine ausreichende Versorgung, zumal die Angehörigen auch sehr stark belastet werden“, meint Matthias Zaum und möchte das Thema gern am 4. April auf der Sitzung des Gesundheitsausschusses diskutieren. Denn zweifelsohne wisse er, dass die Personalnot den ambulanten Pflegediensten ein großes Problem bereite.
Pflegestützpunkt des Bezirksamts hilft Angehörigen
Wenigstens aber die drei Mitarbeiter beim bezirklichen Pflegestützpunkt fühlen sich gut aufgestellt: „Die Personalsituation wird noch als ausreichend eingeschätzt“, heißt es aus dem Bergedorfer Rathaus, das im vergangenen Jahr immerhin 1411 Erstkontakte zählte, also Menschen, die sich am Weidenbaumsweg 21 (Eingang D) beraten ließen. Immer montags von 8 bis 12 Uhr und donnerstags von 14 bis 18 Uhr werden hier Fragen zur Finanzierung der Pflege beantwortet, gibt es Hilfe beim Ausfüllen von Anträgen oder bei der mühsamen Suche nach einem geeigneten Heimplatz. Bei Bedarf werden auch Hausbesuche vereinbart.
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Wohl mag manche Familie mit dem Thema überfordert sein, „aber die Angehörigen sind zur Mitarbeit verpflichtet und müssen sich mitkümmern“, betont Bethesda-Sprecher Matthias Gerwien. Wer völlig allein ist oder zum Beispiel wegen einer Demenz nicht mehr in der Lage ist, einen Heimvertrag zu unterschreiben, braucht indes einen gesetzlichen Betreuer. Auch hier jedoch ergeben sich Engpässe: „Die Amtsgerichtsverfahren sind viel zu langsam, das dauert ewig“, kritisiert Gerwien – und zeigt erneut die Folgen auf: „In der Zeit blockiert der Patient die Klinik, sodass wir teils sogar auch Notaufnahmen ablehnen müssen.“