Hamburg. Kaufüberblick zu Weihnachten: Kritiken zu sechs neuen Krimis lesen Sie in der „Volkers Welt“. Einer ist leider nicht zu empfehlen.
„Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“, heißt ein populärer Schlager von Bill Ramsey aus dem Jahr 1962. Das gilt bis heute. 65 Prozent der Deutschen lesen gerne Kriminalgeschichten, und darunter sind besonders viele Frauen. Die hätten eine ganz besondere Leidenschaft für Psychothriller, stellte die „Augsburger Allgemeine“ schon 2018 in ihrer Berichterstattung zur Frankfurter Buchmesse fest. „Je härter, desto Frau“, war der Leitsatz, den Bestseller-Auto Sebastian Fitzek („Das Kalendermädchen“) von seinem Lektorat mit auf den Weg bekam.
Die Psychologin Corinna Perchtold-Stefan von der Uni Graz untersuchte 2023 die Faszination von Frauen für True-Crime-Formate und kam zu dem Schluss, dass die geistige Auseinandersetzung mit dem Verbrechen die Frauen selbstbewusster für das tägliche Leben mache. Wer in der Buchhandlung oder im Internet nach Krimi-Geschenkideen für das Weihnachtsfest sucht, hat die Qual der Wahl: Bis zu 20.000 Krimi-Titel sind lieferbar. Doch was soll man kaufen und was besser im Regal lassen?
Krimi: Welche Neuheiten sich lohnen und welche nicht
In unserem Bergedorfer Blog „Volkers Welt“ geht es heute um einen Überblick über einige in diesem Jahr erschienenen Kriminalromane. Dabei sollen die klassischen Heimatkrimis, die in Hamburg oder an der Küste spielen, wegen der schieren Masse an Werken außen vor bleiben. Die beiden herausragenden Werke, die aktuell zu haben sind, wurden bereits in der vergangenen Woche vorgestellt. Tana French ist die wohl beste Autorin in diesem Genre. Die Art, wie sie in dem Roman „Feuerjagd“, der an der irischen Westküste spielt, ihre Figuren charakterisiert, sucht ihresgleichen. James Kestrell hat mit „Bis in alle Endlichkeit“ einen klassischen Detektivroman im Film-Noir-Stil der 1930er- und 1940er-Jahre vorgelegt, der wie eine Zeitreise wirkt.
Absolut auf Augenhöhe mit Tana French und James Kestrell bewegt sich die Sprachkunst der Charlotte Link. Die Wiesbadenerin ist seit Jahrzehnten eine der erfolgreichsten deutschen Krimi-Autorinnen. „Dunkles Wasser“ ist das fünfte Buch mit Kate Linville als Ermittlerin. Die Hauptfigur ist ebenfalls weiblich. Selten ist jedoch eine Figur so vielschichtig und verletzlich gezeichnet worden wie Iris Shaw, um deren Geschichte sich „Dunkles Wasser“ dreht. Zu Beginn des Buches erwischt sie einen Bus, den sie vielleicht besser verpasst hätte, und so nehmen die Dinge ihren Lauf.
Beeindruckend und beklemmend: „Dunkles Wasser“ von Charlotte Link
Ein dunkles Geheimnis liegt über dem Leben dieser Frau, die 15 Jahre zuvor beim Zelten an der schottischen Westküste als einzige einen brutalen Angriff auf ihre Familie überlebt hatte. Nun wird sie plötzlich von einem unheimlichen Stalker verfolgt. Natürlich ahnt der Leser, dass beides miteinander zusammenhängt. Doch durchschaut haben Sie dieses Buch mit seinen verblüffenden Wendungen damit noch lange nicht.
Wenn Sie dieses Buch abends im Bett lesen, werden Sie unter die Decke kriechen, nicht mehr hinschauen wollen und trotzdem nicht aufhören können, weiter zu lesen. Solche Textstellen sind der Grund: „Ein lautes Geräusch ließ sie hochschrecken. Sie brauchte einen Moment, um sich in ihrem traumumnebelten Gehirn klarzumachen, was sie geweckt hatte. Dann begriff sie, dass es klirrendes Glas gewesen war. Sie hatte die Laute noch in ihren Traum eingebaut, war gegen eine Glaswand gelaufen, die sofort in tausend Stücke zerbarst. In Wirklichkeit jedoch lag sie in ihrem Bett, und irgendwo war tatsächlich Glas zerbrochen. Im Haus. Unten wahrscheinlich. Sie saß senkrecht zwischen ihren Kissen und lauschte in die Dunkelheit. Alles, was sie hörte, war das Pochen ihres Herzens und das Rauschen ihres Blutes. War es doch nur ein Traum gewesen?“ Tja, das müssen Sie dann wohl selbst herausfinden.
Langatmig und überladen: „Der König“ von Jo Nesbo
„Der König“ heißt der neueste Roman des norwegischen Erfolgsautors Jo Nesbo. Es hat den Autor dieser Zeilen etwas ratlos zurückgelassen. Denn bei der Geschichte um zwei Brüder in einem abgelegenen norwegischen Gebirgsort nimmt sich Nesbo viel Zeit, um seinen Handlungsfaden zu entwickeln. Die Dinge kommen erst in Gang, als fast schon das halbe Buch vorbei ist. Trotzdem bleiben die beiden kaltblütig mordenden Brüder in ihrer Motivation seltsam unscharf. Es ist ein Spiel um Macht, das hier entwickelt wird, das sicherlich seinen Reiz hat, aber beim Lesen viel Geduld erfordert, denn das Werk wirkt etwas überladen mit Figuren und Komplexität.
Das ist schade, denn Nesbo kann es besser. Frühere Werke von ihm wie „Leopard“ oder „Headhunter“ hat der Autor dieser Zeilen gern gelesen. Sie waren durch denselben lakonischen Stil geprägt, der nun einmal Nesbos Markenzeichen ist, wirkten aber in sich stimmiger. In „Der König“ hingegen nervt die Art des Norwegers dann doch zu oft, dem Leser Informationen immer nur stückchenweise nach und nach hinzuwerfen. Das macht das Buch unnötig anstrengend zu lesen. Der folgende Abschnitt ist ein Beispiel dafür.
Sprachlich ist bei dem norwegischen Erfolgsautor viel Luft nach oben
Am Abend vor meinem Besuch bei Halden und dem Angebot, ihm zwölf Millionen Kronen für einen falschen Bericht zu zahlen, war ich in Polen gewesen. Genauer gesagt in Zator, einer Stadt mit rund viertausend Einwohnern im Süden des Landes. Noch genauer gesagt in Energylandia, Polens größtem Vergnügungspark. Und um es genau auf den Punkt zu bringen, hatte ich in einem Wagen der Zadra gesessen, der weltgrößten hölzernen Achterbahn.“
Weder die Vorvergangenheit ist hier besonders elegant, noch der stakkatoartige Erzählstil. Keine gute Leistung auch vom Übersetzer Günter Frauenlob aus Waldkirch, der schon Dutzende Bücher aus dem Norwegischen übersetzt hat, darunter auch 15 Nesbo-Romane.
Eine Frau auf der Flucht: „Die Dahlienmorde“ von Ashley Kalagian Blunt
Das Thema des Buches „Die Dahlienmorde“ von Ashley Kalagian Blunt erinnert ein wenig an „Dunkles Wasser“. Auch hier steht eine Frau im Mittelpunkt, die versucht, ein dunkles Erlebnis in ihrer Vergangenheit hinter sich zu lassen. Doch das erweist sich vergeblich. Als Reagan über eine Leiche stolpert, die ihr zum Verwechseln ähnlich sieht, dämmert ihr, dass das kein Zufall sein könnte.
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Die Handlung des Romans spielt in Sydney, aber Australien-Romantik sollten Sie nicht erwarten. Lesenswert ist das Buch aber allemal, das sich mit Bedrohung im Internet und Frauenfeindlichkeit auseinandersetzt. Das wird bei der deutschen Ausgabe auf dem Cover nicht so deutlich, anders als beim englischen Original „Dark Mode“, das den Untertitel „Once you’re online, there’s nowhere to hide“ (Wenn Du einmal im Internet bist, gibt es keinen Ort mehr, an dem du dich verstecken könntest) trägt. Ashley Kalagian Blunt ist eine Kanadierin, die mit ihrem Mann nach Australien übergesiedelt ist, darüber ein viel beachtetes Buch schrieb („How to be Australian“) und sich danach auf Krimis verlegte. Ihr Schreibstil ist sehr angenehm zu lesen, trotz des bedrückenden Themas.
Krimi aus Perspektive eines Auftragskillers: „Eighteen“ von John Brownlow
„Ein Film muss mit einem Erdbeben beginnen und sich dann langsam steigern.“ So lautet ein berühmtes Zitat des früheren Hollywood-Produzenten Samuel Goldwyn (1879-1974). Ein ehernes Gesetz für alle, die in der Fabrik der Träume erfolgreich Geschichten erzählen wollen. John Brownlow, der Autor des Krimis „Eighteen“ ist Drehbuchautor in Hollywood, und er hat seinen Goldwyn gut studiert. Der Roman, der von einem Auftragskiller handelt, beginnt mit einem Erdbeben. Kapitel 4 besteht dann nur aus vier Worten: „Ich bin tot. Ende.“
Natürlich ist das noch lange nicht das Ende, sondern gerade erst der Anfang. „Wir sind im Kopf eines Killers gefangen – und genießen jeden Augenblick“, schrieb der „Spiegel“. Genau da liegt mein Problem: Ich weiß nicht, ob ich beim Lesen wirklich im Kopf eines Killers gefangen sein will. Wer damit kein Problem hat, der darf getrost zugreifen.