Hamburg. Nirgendwo im Hamburger Osten wird Fußball so intensiv gelebt wie an Bergedorfs Sander Tannen. Der Kreisliga-Verein hat Großes vor.
Der Jubel ist grenzenlos. Die Zuschauer an den Sander Tannen in Bergedorf ballen triumphierend die Fäuste. Dabei hat Mika Knop, Rechtsverteidiger des ASV Bergedorf 85, im Spitzenspiel der Fußball-Kreisliga gegen den Escheburger SV nur mit einer beherzten Grätsche zum Einwurf geklärt. Mehr nicht. Doch das reicht schon aus, um die etwa 150 Zuschauer zum Ausrasten zu bringen.
Als Schiedsrichter Evran Celik es kurz darauf wagt, einen Freistoß für die nun immer stärker werdenden Gäste zu pfeifen, darf er sich einiges anhören. „Bist du blind? Was haben sie dir gezahlt?“, hallt es von der Tribüne. ASV-Coach Mario Friedrich schaut an der Seitenlinie auf die Uhr. „Eine Situation noch, Bergedorf!“, ruft er seinen Spielern zu. „Ist gleich zu Ende!“ Der Freistoß verpufft, kurz darauf Schluss. Bergedorf und Escheburg trennen sich unter dem Applaus des Publikums 0:0.
ASV Bergedorf 85: „Elstern“ erleben glanzvolles Comeback
Damit hat es der ASV verpasst, an den Gäste vorbeizuziehen und die Tabellenspitze zu erobern. Escheburg bleibt mit einem Zähler Vorsprung vor den „Elstern“ vorn. Doch alle gehen zufrieden nach Hause, es war ein rassiges Spitzenspiel. Auf der Tribüne pustet ASV-Sportchef Mario Meier kräftig durch. Die Anspannung muss aus dem Körper. „Für einen Aufstieg in die Bezirksliga wäre der Verein gut aufgestellt“, ist er überzeugt.
Nach dem Abstieg aus der Bezirksliga im Sommer hat Meier einen Schritt zurück gemacht, um nach vorn zu kommen. Das Kommando an der Seitenlinie hat er an das gleichberechtigte Trainerpaar Mario Friedrich/Thomas Herrmann abgegeben. Statt wie bisher als Trainer und Sportchef in Personalunion arbeitet Meier nun nur noch als Sportchef. Wobei „nur“ die charmanteste Untertreibung im Amateurfußball ist.
Der ASV hat Großes vor: Neues Flutlicht soll im März kommen
Denn der ASV Bergedorf 85 hat viel vor und Meier entsprechend viel um die Ohren. Die „Elstern“ sind nämlich nicht nur sportlich, sondern auch vom ganzen Umfeld her auf dem Weg zu neuem Glanz: Im kommenden März soll an den Sander Tannen eine LED-Flutlichtanlage installiert werden. Die Kosten dafür – ein hoher fünfstelliger Betrag – muss der Verein selbst tragen.
„Licht ist keine Bezirkssache“, bedauert er. „Wir können natürlich Förderung beantragen. Der Hamburger Fußball-Verband berät uns zwar, aber wie das alles geht, mussten wir uns selbst erarbeiten. Zudem haben sich einige Sponsoren gefunden“, hat er arbeitsreiche Wochen hinter sich.
Coach Mario Friedrich: „Wollen Werbung für den Kreisliga-Fußball machen“
Für den sportlichen Glanz sollen Friedrich und Herrmann sorgen. Das klappt bislang besser als erwartet. „Wir wollten uns eigentlich erst einmal reinfinden“, betont Friedrich. „Wir wollen Werbung für den Kreisliga-Fußball machen, wollen sagen: ,Leute, kommt vom Sofa hoch, geht mal wieder zum Spiel.‘“
Und sie kommen. Rund 150 Fans verfolgen jedes Spiel, egal ob zu Hause oder auswärts. Auch im Team stimmt es. „Gerade haben die Jungs die Weihnachtsfeier beim Griechen organisiert“, verrät Friedrich. „Da wird es dann die eine oder andere Überraschung geben für die Jungs. Wir feiern mit den Spielerfrauen. Das ist ganz wichtig, denn sie sind es, die die Jungs dreimal in der Woche losziehen lassen.“
Die Fans kennen die Namen der Spieler und feuern sie an
Das Verhältnis zwischen Mannschaft und Umfeld ist sehr eng. So mischen sich einige Spielerfrauen ganz selbstverständlich in den Mannschaftskreis zur Abschlussbesprechung nach dem Escheburg-Spiel. „Jungs, lasst mal locker, geht gemütlich ein Bier trinken“, fordert Thomas Herrmann die Spieler auf.
Mario Meier hört das mit Genugtuung. „Die ,Elstern‘, das ist eine Kultur, die wir hier leben“, schwärmt der Sportchef. „Das Vereinsheim, das Miteinander. Wir haben mit Rewe einen Sponsor für die Klamotten, dazu einige kleinere Sponsoren und den Freundeskreis, aber wir zahlen kein Geld an die Spieler.“ „Die Fans rufen deinen Namen, das ist wichtig für die Spieler“, ergänzt Friedrich. „Das ist wichtig für sie, deshalb kommen sie zu uns auch ohne Geld.“
Legendäre Spiele gegen Uwe Seelers HSV und den FC Bayern München
Der Mythos der „Elstern“ ist entstanden, als der ASV Bergedorf 85 in den 1950er-Jahren in der höchsten Liga gegen Uwe Seelers HSV und andere Top-Clubs Norddeutschlands spielte. Dann über Jahrzehnte hinweg zu den besten Amateurvereinen des Nordens gehörte und 1982 in dem berühmten DFB-Pokalspiel um ein Haar den FC Bayern München geschlagen hätte.
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Die große Zeit, sie wird bis heute im Verein in Chroniken gewürdigt. Doch man darf eben auch nicht vergessen, dass sie 2009 mit dem finanziellen Kollaps der Fußballabteilung endete. „Fragt man daher die alteingesessenen Fans von Bergedorf 85, dann sagen die alle, dass es heute schöner ist als früher“, betont Meier. „Es ist viel mehr Bindung zur Mannschaft da. Ab und zu lässt mal einer einen Fuffi springen für eine Kiste Bier für die Spieler. Dieser Zusammenhalt, das ist es, worum es hier eigentlich geht.“
Neuer Glanz der „Elstern“ bemisst sich nicht an der Liga, in der sie spielen
Die „Elstern“ sind unterwegs zu neuem Glanz. Und der bemisst sich nicht an der Frage, in welcher Liga sie spielen. Es ist nicht mehr der Glanz von damals, denn die Oberliga ist weit weg. Es ist der Glanz eines Vereins, der sich ganz neu gefunden hat.
Das nächste Heimspiel des ASV Bergedorf 85 steigt schon am kommenden Sonntag, den 3. November. Dann geht es gegen den Nachbarn Atlantik 97 II, und sie werden auf der Tribüne wieder bangen, mitfiebern und am Ende vielleicht befreit jubeln. Die „Elstern“, sie sind die große Show der diesjährigen Kreisliga-Saison.