Bergedorf. Experte Jens Heidorn kritisiert vorgeschlagene Flächen für Windkraft-Ausbau: „Anlagen rücken näher an dicht bebaute Deichstraßen ran.“
Die Vorstellung der Flächen, auf denen der von der Bundesregierung geforderte Ausbau von Windenergie in Hamburg möglich wäre, erhitzt in den Vier- und Marschlanden die Gemüter. Schließlich liegen mehr als 50 Prozent dieser Potenzialflächen im Bezirk Bergedorf, südlich der Autobahn 25 im Landgebiet. Das stimme zwar, entgegnet Jens Heidorn, doch schon jetzt sei klar, dass nicht alle diese Flächen, die neu ausgewiesen werden sollen, tatsächlich für den Ausbau der Windenergie genutzt werden können. Deshalb würde vermutlich nur rund ein Drittel der Anlagen, die in Hamburg neu geplant sind, in Bergedorf aufgestellt werden, betont der in Bergedorf lebende stellvertretende Vorsitzende des Hamburger Landesverbandes des Bundesverbandes WindEnergie e.V.
Heidorn geht davon aus, dass deutlich unter zehn neue Anlagen in den neu auszuweisenden Flächen in Bergedorf aufgestellt werden. „Mehr wird nicht möglich sein“, sagt der 61-Jährige. Denn einige der Flächen seien für moderne, große Windkraftanlagen ungeeignet. Doch nur diese deutlich mehr als 150 Meter hohen Anlagen ließen sich wirtschaftlich betreiben, betont der Fachmann, der auch Geschäftsführer der NET Windenergie GmbH in Bergedorf ist. Das Unternehmen betreibt seit 1991 Windkraftanlagen im Bezirk Bergedorf. „Auf einigen der Flächen hätten neue Anlagen zueinander zu wenig Abstand“, sagt Heidorn.
Jens Heidorn: Nur rund ein Drittel der neuen Windräder wird in Bergedorf stehen
Auch seien von den zuständigen Behörden – der Umweltbehörde und der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen – nun Flächen zur Diskussion gestellt worden, die sich viel zu nah an Wohnbebauung befänden, meint Heidorn, „etwa am Horster Damm oder in Spadenland“. Dort seien die Flächen exakt 300 Meter von Einzelhäusern entfernt. Heidorn: „Das ist viel zu dicht. Außerdem dürfen Anlagen, die so dicht bei den Häusern stehen, maximal 150 Meter hoch sein – und solche Anlagen sind am Markt gar nicht mehr verfügbar, da ein wirtschaftlicher Betrieb unter den derzeitigen Rahmenbedingungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes nicht mehr möglich ist.“
Zwar gelte laut Flächennutzungsplanänderung von 2014 nach wie vor ein Mindestabstand von 300 Metern zu Einzelhäusern und von 500 Metern zu Siedlungen, doch würden die Behörden neuerdings Siedlungen anders definieren, sagt Heidorn: „Bisher galten auch für im Zusammenhang bebaute Deichstraßen dieselben Regelungen wie für klassische Siedlungen“, sagt der Experte. „Nun werden sie von den Planern in den Behörden wie Einzelhäuser betrachtet, darf mit Windrädern an dicht bebaute Deichstraßen bis zu 300 Meter rangegangen werden. Das dürfte vielen Menschen im Landgebiet noch gar nicht bewusst sein.“ Sein Verband sei gegen diese Vorgehensweise.
Auf einer vom Verband vorgeschlagenen Fläche hätte man Hamburgs Bedarf decken können
Zufrieden ist der Windkraft-Experte mit den Vorschlägen der Behörden auch aus anderen Gründen nicht: „Wir sind als Verband leider nicht einbezogen worden, obwohl wir bereits vor zwei Jahren Vorschläge gemacht und an die Behörden gereicht haben.“ Lediglich eine von drei vorgeschlagenen Flächen des Verbandes tauche in der aktuellen Planung auf. Alle drei Flächen liegen in den Vier- und Marschlanden, sagt Heidorn und seien „besonders gut geeignet“.
Auf einer der Flächen, die nicht von den Behörden als Potenzialfläche gelistet wird, „hätte man einen Windpark bauen und die gesamten Vorgaben für Hamburg – zusammen mit den bereits vorhandenen Eignungsgebieten – umsetzen können“. Der Anteil der bereits ausgewiesenen Flächen beträgt laut Heidorn 0,24 Prozent der Hamburger Landesfläche. 0,26 Prozent sind also noch offen, um bis Ende 2027 das Ziel des Senats zu erreichen. „Das wäre mit nur dieser einen Fläche umsetzbar gewesen.“
Auf einigen neu vorgeschlagenen Flächen hat nur eine neue Anlage Platz
Die Ausweisungen der bereits ausgewiesenen Gebiete werden dahingehend geändert, dass es auch dort keine pauschale Höhenbeschränkung mehr gibt – da der Gesetzgeber auch keine pauschale Einschränkung bei der Höhe der Anlagen auf den neuen Potenzialflächen erlaubt.
Heidorn wundert sich, dass wichtige Aspekte bei den Vorschlägen der Behörden nicht berücksichtigt worden seien: Die Erschließbarkeit (Wege zu den Anlagen, Befahrbarkeit für Schwertransporte) und die Infrastruktur/Anschluss ans Stromnetz. „Die Frage ist ja, vor allem bei Einzelanlagen, ob das Verlegen langer Leitungen wirtschaftlich sinnvoll ist.“ Auf einigen der neu vorgeschlagenen Flächen habe nur eine Anlage Platz, weiß der Bergedorfer, „etwa in Curslack zwischen den Windparks Curslack und Altengamme, oder am Kirchwerder Landweg südlich der Fischteiche, oder in Moorfleet an der Autobahn 25 nördlich und südlich der Regattastrecke“.
Größte neu ins Blickfeld geratene Fläche in Bergedorf ist in Ochsenwerder
Heidorn: „Diverse bestehende Flächen sollen vergrößert werden. Aber zwischen den Bestandsanlagen ist kein Platz für neue, große Anlagen.“ Die größte neu ins Blickfeld geratene Fläche in Bergedorf findet sich nördlich des bestehenden Windparks am Ochsenwerder Landscheideweg. „Dort wäre Platz für zwei, drei große Anlagen.“ Nur dort gebe es laut Heidorn die Möglichkeit, mehrere neue, leistungsstarke Anlagen zu platzieren – „zumindest, wenn man die bisherigen Abstandsregeln berücksichtigt“.
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Deshalb würde die NET Windenergie auch nur dort gern mitwirken – allerdings nur bei der Planung und beim Bau neuer Anlagen und nicht mehr beim Betrieb. „Wir sind ja nicht mehr die Jüngsten“, sagt der 61-Jährige. „Doch neue Anlagen werden sich frühestens in fünf Jahren drehen. Heute ist allerdings nicht einschätzbar, ob dann ein wirtschaftlicher Betrieb überhaupt noch möglich ist.“ Die Gesetzgebung und „energiewirtschaftliche Rahmenbedingungen“ seien unberechenbar.
NET Windenergie hätte gern Anlagen auf vom Verband vorgeschlagenen Flächen aufgestellt
Bei dem vielen „Stückwerk“ (Heidorn) sei auch nicht geprüft worden, ob die Eigentümer die Grundstücke überhaupt verpachten wollen, betont der stellvertretende Verbandsvorsitzende. „Bei unseren drei Vorschlägen war alles geprüft und umsetzbar.“ Der Verband werde den Behörden seine Kritik bald in Form einer Stellungnahme zukommen lassen, betont Heidorn.
Seine Firma, die NET Windenergie, hätte auf den vom Verband favorisierten Flächen gern „mit Partnern neue Anlagen aufgestellt“. Als kleineres Unternehmen sei das im Alleingang nicht möglich: „Je nach Größe kostet ein neues Windrad zwischen 5 und 10 Millionen Euro.“ Bis zu sieben jeweils 230 Meter hohe Anlagen hätten auf der einen Flächen in den Vierlanden aufgestellt werden können.
In der Umweltbehörde konnte man sich nicht zur Freigabe zumindest einer großen Fläche durchringen
Bei mindestens einer Anlage hätte die NET Windenergie „die Bürger direkt als Gesellschafter, als Mitbetreiber beteiligt“, sagt Heidorn. Warum die Vorschläge „komplett irgnoriert worden sind“, obwohl die Flächen weder in Naturschutz- noch in Landschaftsschutzgebieten liegen? Heidorn: „Bis auf die, in denen bereits Anlagen stehen, wurden alle größeren Flächen in Bergedorf aus naturschutzfachlichen Gründen ausgeschlossen.“ Er bedaure es, dass sich die Verantwortlichen in der Umweltbehörde nicht zur Freigabe zumindest einer großen Fläche durchringen konnten.
Doch die vorläufigen Pläne hätten auch ihr gutes, meint Heidorn: „Es ist gut, dass nicht alle Flächen in Bergedorf und Harburg ausgeguckt wurden, sondern beispielsweise auch in Altona, Wandsbek und Mitte.“ Die größte neue Potenzialfläche ist übrigens nicht in Bergedorf zu finden, sondern in Sülldorf.