Hamburg. Hamburger Staatsräte informierten über den Planungsstand für die Vier- und Marschlande. Stellungnahmen dazu im Internet noch möglich.
Windenergie soll in den kommenden Jahren bundesweit ausgebaut werden, um sich aus der Abhängigkeit der fossilen Energieträger zu lösen und die Auswirkungen der Klimakrise auszubremsen. Auch Hamburg soll einen Beitrag dazu leisten: 0,5 Prozent der Landesfläche (378 Hektar) sollen ausgewiesen werden, auf denen der Bau von Windkraftanlagen möglich wäre. Und das nicht erst bis Ende 2032, wie im „Windenergieflächenbedarfsgesetz“ (WindBG) festgelegt, sondern der Hamburger Senat möchte das Ziel bereits bis Ende 2027 erreichen.
Doch wo könnten im Stadtstaat Hamburg überhaupt weitere Windkraftanlagen entstehen? Schließlich muss ein Abstand von 500 Metern zu Wohngebieten eingehalten werden, auch bei Einzelhäusern, Kleingärten, Autobahnen und Deichen gilt es Abstand zu halten. Zudem ist im Wald, in Parks oder auf Friedhöfen sowie in Naturschutzgebieten der Bau von Windrädern nicht erlaubt. Auch auf Lärmimmissionen, Artenschutz und Luftverkehrssicherheit muss geachtet werden. Einige Details wurden nun bei einem Informationsabend im Vierländer Landhaus bekannt.
Windkraftausbau Hamburg: Vier- und Marschländer haben vielfältige Sorgen
Nimmt man all das und zieht noch weitere Kriterien in Betracht, bleiben in Hamburg noch etwa 764 Hektar, auf denen nach derzeitigem Stand der Ausbau von Windenergie möglich wäre. Diese Potenzialflächen liegen in fünf verschiedenen Bezirken. Eingezeichnet auf einer Stadtkarte wird allerdings auf den ersten Blick deutlich, dass in einem Bezirk der größte Anteil liegt: im Bezirk Bergedorf südlich der Autobahn 25 in den Vier- und Marschlanden.
Weit entfernt davon war der Planungsstand in der vergangenen Woche von der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW) und der Umweltbehörde (Bukea) in der Hamburger City am Dammtorwall vorgestellt worden. Das reichte dem Bergedorfer Bezirksamt und der Bezirksversammlung nicht aus. Gemeinsam forderten sie die separate Informationsveranstaltung für den Bezirk Bergedorf im Vierländer Landhaus.
Mehr als 50 Prozent der Potenzialflächen liegen in den Vier- und Marschlanden
Und der Bedarf war riesig: Der Saal platzte buchstäblich aus allen Nähten. Sogar von der Terrasse wurden noch Stühle hineingetragen, um einen Sitzplatz bei der gut zweieinhalbstündigen Veranstaltung zu bekommen. Etwa 300 Zuhörerinnen und Zuhörer wollten dort von Monika Thomas, Staatsrätin der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW), und Anselm Sprandel, Staatsrat der Umweltbehörde (Bukea), aus erster Hand erfahren, wo die Behörden sich den Bau weiterer Windräder vorstellen könnten.
Insgesamt 764 Hektar wurden insgesamt in Hamburg bestimmt, auf denen der Ausbau nun intensiver geprüft werden soll. Davon liegen 426,6 Hektar, also mehr als 50 Prozent, im Landgebiet. Zehn verschiedene Flächen, sowohl in den Vier- als auch Marschlanden, wurden lokalisiert. Die größten liegen in Neuengamme (64,3 Hektar), Altengamme Nord (99 Hektar) und Ochsenwerder (168,5 Hektar). „Warum müssen die Vier- und Marschlande die Verantwortung für ganz Hamburg übernehmen“, kritisierte eine Zuhörerin, die gleichzeitig für den Ausbau von Photovoltaikanlagen warb.
Sorge um die Kulturlandschaft, um Bodenverdichtung oder um die Störche
Das werde in Hamburg ebenso verfolgt wie der Windkraftausbau, erklärte Anselm Sprandel. Man brauche so viel erneuerbare Energie wie möglich, um den aktuellen Lebensstandard auch künftig halten zu können, mahnt der Staatsrat. Nachdem Staatsrätin Monika Thomas etwa eine halbe Stunde durch den derzeitigen Planungsstand gesprintet war, hatten die Bürger das Wort: Die Finger schnellten in die Höhe. Die anvisierten eineinhalb Stunden reichten nicht aus, um alle Fragen zu beantworten und Anmerkungen aufzunehmen.
Die Kritik ist vielfältig: Die Vier- und Marschländer sorgen sich um die Kulturlandschaft, die Natur, sehen Insekten und Vögel wie vor allem den Storch, von dem am meisten Paare in Hamburg im Landgebiet brüten, akut bedroht, wenn weitere Windanlagen entstehen. Auch eine weitere Bodenverdichtung durch die Fundamente und die Erschließung der Anlagen fürchten die Vier- und Marschländer ebenso wie den Abrieb von Nanopartikeln, der in der Landschaft landet.
Staatsvertrag mit Schleswig-Holstein wurde vom Senat bewusst nicht verfolgt
Wie sehr der Schattenflug und auch Geräusche von Windkraftanlagen das Leben beeinträchtigen können, berichteten mehrere Beowhner der Vier- und Marschlande, die in der Nachbarschaft bestehender Anlagen wohnen. Um das zu vermeiden, gebe es vorgeschriebene Abstände, versicherte Anselm Sprandel. In Hamburg sind das bei Wohnbauflächen 500 Meter, bei Einzelhäusern auch mal 300 Meter. Als viel zu gering und „unzumutbar“ hält Julian Emrich diesen Abstand.
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Der Fraktionsvorsitzende der CDU in der Bergedorfer Bezirksversammlung wollte ebenso erfahren, warum Hamburg nicht die Option genutzt habe, mit Nachbarländern wie Schleswig-Holstein einen Vertrag zu schließen, damit das flächenmäßig größere Bundesland mehr Fläche als es eigentlich müsste bereitstellt und Hamburg dafür weniger. Man habe die Option im Senat diskutiert und sich bewusst dagegen entschieden, um selbst einen Beitrag zu leisten, so Monika Thomas. Wenn Hamburg es nicht schafft, bis spätestens 2032 die geforderte Fläche auszuweisen, wäre der Bau von Windkraftanlagen übrigens überall zulässig und würde dann jeweils in einem Bauantrag geprüft, erklärt die Staatsrätin.
Zahl der möglichen neuen Windräder könne noch nicht genannt werden
Bisher stehen 31 Windkraftanlagen im Bezirk Bergedorf. Wie viele noch hinzukommen könnten, wenn die Potenzialflächen tatsächlich in den Vier- und Marschlanden ausgewiesen werden, vermochte die Behörde nicht zu beziffern – auch wenn die Zuhörerinnen und Zuhörer das nicht so recht glauben mochten. Sollten sie aber gebaut werden, plädierte unter anderem Julius Bendschneider aus Kirchwerder dafür, dass die direkten Anwohner auch davon profitieren sollen. An einer Art „Bürgerenergiegesetz“, durch das Einwohner finanziell beteiligt werden und das es in anderen Bundesländern schon gibt, werde auch in Hamburg bereits gearbeitet, erkärte Staatsrat Anselm Sprandel.
Noch bis zum 6. Oktober gibt es im Internet die Möglichkeit, Stellungnahmen abzugeben und Fragen zu stellen: https://bauleitplanung.hamburg.de/. Die einzelnen Flächen sollen danach erneut bewertet werden. Etwa in einem Dreivierteljahr wolle man soweit sein, die Ergebnisse vorzustellen, kündigt Monika Thomas an.