Hamburg. Weil sie sich nicht nur im Vorbeifahren zuwinken wollten, tauschen sich Trucker aus den Vier- und Marschlanden im Brummi-Club aus.
Sie sind von Montag bis Freitag unterwegs, schlafen in ihrem Fahrzeug und sind nur am Wochenende bei ihrer Familie: Brummi-Fahrer im Fernverkehr. „Wir sind Einzelkämpfer, denn unsere Kollegen sehen wir meist nur im Vorbeifahren“, sagt Wolfgang Neustadt aus Kirchwerder. Der 55-Jährige steuert einen 40-Tonner der in Kirchwerder ansässigen Firma Heinrich Harden, rollt in der Woche über Norddeutschlands Straßen, um Torf und weitere Düngemittel zu transportieren.
Neustadt ist einer von 40 aktiven und ehemaligen Lkw-Fahrern, die dem Club Brummi-Freunde Vier- und Marschlande angehören. Gegründet wurde er vor elf Jahren, damit sich die Trucker nicht nur aus der Ferne sehen. Sie treffen sich drei- bis viermal im Jahr, um Erfahrungen auszutauschen und zu fachsimpeln. Das jüngste, 36. Treffen der Brummi-Freunde war auf dem Gelände der Firma Heinrich Harden am Norderquerweg in Kirchwerder.
Fernfahrer Hamburg: Club der Männer, die Millionen Kilometer auf dem Tacho haben
„Die meisten Brummi-Freunde kennen sich schon ewig. Schließlich war und ist die Zahl der Fuhrunternehmer in den Vier- und Marschlanden überschaubar“, sagt Walter Storbeck aus Ochsenwerder. Der 73-Jährige saß fast 50 Jahre lang als Berufskraftfahrer hinterm Steuer. In dieser Zeit hat er rund fünf Millionen Kilometer runtergerissen.
„Als Brummifahrer kommt man durchschnittlich auf etwa 100.000 Kilometer im Jahr“, sagt er. Walter Storbeck war für verschiedene Speditionen in Hamburg und Umgebung unterwegs. Unter anderem transportierte er Teppiche, Kaffee, Kakao und andere Lebensmittel in den und aus dem Hamburger Hafen – „alles, was in Containern bewegt worden ist“.
Einzelkämpfer, die ihre Kollegen nicht nur im Vorbeifahren sehen wollen
Der Marschländer machte seinen Lkw-Führerschein 1970 bei der Bundeswehr – wie auch die Führerscheine für andere Bundeswehrfahrzeuge (Krad, Pkw, verschiedene Panzer). Drei Monate lang habe er beim Bund „nur Führerscheine gemacht“. 1971, als Storbeck 21 war, wurde sein Lkw-Führerschein bei der Zulassungsstelle, die sich damals an der Vierlandenstraße befand, für acht Mark für den Zivilbereich umgeschrieben, erinnert er sich. Am Ende seiner Bundeswehrzeit war Storbeck bereits mehr als 30.000 Kilometer gefahren, allerdings vor allem mit Pkw: „Ich war der Fahrer eines in Rendsburg stationierten Brigadegenerals.“
Heinrich Harden (74), der in Kirchwerder lebt, war in jungen Jahren auch Brummifahrer. Er arbeitete damals in der Firma seines Vaters, die 1918 von seinem Großvater Heinrich Harden gegründet worden war und seitdem diesen Namen trägt und mit Dünger handelt: „Mein Großvater hat Mist noch mit einem Pferdewagen ausgefahren“, sagt der Seniorchef. Der Fuhrpark des Unternehmens umfasst zehn Lkw und ebenso viele Fahrer, die vor allem die Produkte der Handelsfirma transportieren.
In 33 Jahren als Trucker haben sich „ein paar Millionen auf dem Tacho“ angesammelt
Als einer der Fahrer ist Wolfgang Neustadt zwischen Flensburg und Kassel unterwegs. Er arbeitet seit 33 Jahren für Heinrich Harden. „Ich bin eigentlich gelernter Dachdecker, aber schon als Kind habe ich mich besonders für Lastwagen interessiert“, sagt er. Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte habe sich für die Trucker natürlich vieles verändert, betont Neustadt: Beispielsweise haben Handys und Freisprecheinrichtungen den CB-Funk ersetzt.
Der 55-Jährige ist mit einem MAN-Gliederzug, einem Lkw mit Anhänger, unterwegs, steuert Gärtnereien und Baumschulen an. Den Dünger lädt er in Moorgebieten auf, etwa im Emsland. Auch Neustadt hat bereits „ein paar Millionen auf dem Tacho“. Trotzdem liebe er noch immer seinen Job: „Kein Tag ist wie der andere, schon aufgrund des sich ständig ändernden Wetters.“
Man muss das Lkw-Virus in sich haben – und braucht den Rückhalt der Familie
Dabei müssen Fernfahrer Entbehrungen in Kauf nehmen. Neben wenig Bewegung und ungesunder Ernährung, die Berufskraftfahrer regelmäßig an Raststätten zu sich nehmen und deshalb ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle und Herzinfarkte aufweisen, dürfte die Trennung von der Familie das größte Problem darstellen: „Man sieht sich nur an den Wochenenden“, sagt Neustadt, der verheiratet ist und einen Sohn (22) hat.
Nach Feierabend greift er zum Handy und telefoniert mit seiner Familie. „Früher musste man sich auf dem Rastplatz eine Telefonzelle suchen.“ Ohne den Rückhalt der Familie könne man den Job nicht machen, betont der Trucker. „Man muss schon ein bisschen verrückt sein und das Lkw-Virus in sich haben.“
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Fahrerhaus ist Schlafzimmer, Küche und Büro
Denn auch die Bezahlung der Berufskraftfahrer ist nicht gerade üppig. Immerhin: Der Gesetzgeber schreibt eine Verpflegungspauschale in Höhe von 28 Euro für jeden Tag vor, an dem der Fahrer länger als 24 Stunden von Zuhause weg ist. „Manche Firmen erhöhen die Pauschale oder schlagen Prämien auf das Gehalt drauf“, weiß der Brummifahrer. Geschlafen wird im Lkw: „Das Fahrerhaus beherbergt Schlafzimmer, Küche und Büro“, sagt der Vierländer.
Denn hinter den Sitzen befindet sich nicht nur das Bett, unter dem in seinem Fall ein Kühlschrank befestigt ist, sondern auch ein Einbauschrank mit Kaffeemaschine, Wasserkocher und Mikrowelle. Ein kleiner Fernseher hängt an der Wand der nur wenige Quadratmeter großen „Koje“. In seinem „Büro“, also vom Fahrersitz aus, kann Neustadt sogar Lieferscheine auf einen Drucker in seinem Fahrzeug schicken: „Wir bekommen die Aufträge per E-Mail auf das Handy und drucken sie aus, weil wir ja stets eine Unterschrift benötigen.“
Inzwischen beginnt an der Autobahn die Parkplatzsuche bereits gegen 16 Uhr
Die Suche nach einem Parkplatz für die Nacht sei immer schwieriger geworden: „Die Parkplätze an der Autobahn sind überfüllt. Man muss sich bereits gegen 16, 16.30 Uhr einen Platz suchen.“ Dass liege daran, dass der Schwerlastverkehr deutlich zugenommen hat: „Es sind auch viel mehr ausländische Lkw unterwegs.“
Auf den Autohöfen nahe Autobahnzubringern zahlen die Trucker 10 bis 15 Euro Parkgebühren, berichtet der 55-Jährige. Er übernachte deshalb auch gern auf einem Werksgelände oder am Straßenrand in Gewerbegebieten. „Deshalb habe ich alles an Bord und den Kühlschrank stets voll. Ich hole mir nur morgens, wenn möglich, frische Brötchen.“ Rasthöfe steuere er nur an, „wenn es dort gute Küche gibt“. Er schätze auch sehr, dass es nachts ab von den Autobahnen wesentlich ruhiger ist. Andererseits verlieren die Trucker beim Parken direkt an der Autobahn weniger Zeit, und auf die kommt es sehr an.
Wolfgang Neustadt möchte trotz eines Vagabundenlebens „nicht wie ein Vagabund leben“
Und: Dort gibt es Duschen. Denn die haben die Brummifahrer nicht an Bord. „Wir führen zwar ein Vagabundenleben, aber ich möchte nicht wie ein Vagabund leben“, sagt der Vierländer. Dies würden aber nicht alle seine Kollegen so sehen: „Manche sehen drei Wochen lang kein Wasser.“
Das nächste Treffen der Brummi-Freunde, deren Altersspanne von knapp 40 bis über 90 Jahre reicht, ist für Anfang 2025 geplant. Dann wollen sie gemeinsam Grünkohl essen.