Hamburg. Die Bergedorferin Gisela Ewe bereitet eine große Ausstellung vor. Wie die Nazis die niederdeutsche Sprache missbrauchten.
Gisela Ewe bereitet eine Ausstellung vor, die die Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte im Hamburger Rathaus präsentieren wird: „Hamburger Kulturlandschaft im Nationalsozialismus“ ist der Arbeitstitel des Forschungsprojekts, das die Mitarbeiterin der KZ-Gedenkstätte Neuengamme maßgeblich vorantreibt. Sie recherchiert im Archiv und in der Bibliothek der Gedenkstätte am Jean-Dolidier-Weg 75 und im Staatsarchiv Hamburg. Unter anderem geht es bei dem Projekt um die niederdeutsche Sprache und Kultur, die noch heute in den Vier- und Marschlanden verbreitet ist und damals von den Nazis missbraucht wurde.
Die Ausstellung wird erst Anfang 2026 eröffnet. Bis dahin wird die 40-Jährige noch viele weitere Informationen zusammentragen, etliche Akten durchforsten. „Wir wollen die Ausstellung im Anschluss auch in den heute noch existierenden Institutionen zeigen“, sagt sie. Denn es geht um die Vergangenheit von Staatsoper, Schauspielhaus und Thalia Theater, um die Hamburger Museen und Theater, die Volkshochschule und die öffentlichen Bücherhallen, aber auch um Volksfeste, Varietés und Boxkämpfe – und um die Menschen hinter diesen Institutionen und Spektakeln für die Massen. „Große Theater und die Oper waren schon damals staatlich beaufsichtigt“, sagt die Kuratorin der Ausstellung.
Wie Kultur in Hamburg unter den Nationalsozialisten funktionierte
Der Kunst- und Kulturbereich gehörte zu den ersten Wirtschaftszweigen, die von den Nationalsozialisten reguliert und „judenfrei“ gemacht wurden. Doch es gab ebenso bereitwillige Profiteure, die die Gelegenheit nutzten, unter dem neuen Regime künstlerisch Karriere zu machen.
Im Mittelpunkt der Forschung steht die Rolle der Hamburger Kulturverwaltung, die unter der Leitung von Wilhelm von Allwörden und Hellmuth Becker für Gleichschaltungen, Arisierungen und Verstaatlichungen von Kulturbetrieben verantwortlich und damit an einer nationalsozialistischen Politik der Verfolgung beteiligt war. „Nach und nach wurden die Personen an den Schaltstellen der Kultureinrichtungen ersetzt und die Doktrin der Nationalsozialisten entwickelt“, sagt Gisela Ewe.
Die Nazis förderten die niederdeutsche Sprache und Kultur, kauften auch das Rieck-Haus
Neben der Ebene der Täter, Mitläufer und Profiteure widmet sich das Projekt auch den Schicksalen verfolgter, ausgestoßener und ermordeter Künstler. Gisela Ewe sichtet dafür auch Personalakten, Statistiken über Besucher, Fotografien von Ausstellungen und Nachlasse von verfolgten und ermordeten Künstlern.
Auch die Inhalte der Ausstellungen und Theaterstücke sind Thema – etwa moderne, abstrakte Kunst, die in der NS-Ideologie oftmals abgelehnt, verleumdet und zerstört wurde. „Es gab damals eine Rückbesinnung auf vermeintlich unpolitische Themen.“ Die Nazis förderten lieber die niederdeutsche Sprache und Kultur. „Volkstümliches knüpfte an Werte wie Heimat an“, sagt Gisela Ewe. 1940 kaufte die Stadt Hamburg das Rieck-Haus, das damals zu verfallen drohte. „Die Niederdeutsche Bewegung wurde von den Nationalsozialisten instrumentalisiert, es gab aber auch eine große Anschlussfähigkeit, eine Symbiose.“ Deshalb organisierten die Faschisten 1937 auch eine „Niederdeutsche Tagung“ in Bergedorf.
Das Projekt widmet sich auch den Jahren vor und nach der NS-Zeit
Die Historikerin hat auch die Zeit vor 1933 und nach 1945 im Blick: Denn es gab schon vor 1933, vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten, antisemitische Hetzkampagnen gegen jüdische Museumsleiter oder Intendanten, weiß Gisela Ewe. „Die Nationalsozialisten waren schon vor 1933 in Hamburg einflussreich.“ Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 waren fast alle jüdischen Mitarbeiter der Hamburger Kultureinrichtungen entlassen worden.
Aus der Zeit nach dem Krieg findet die Forscherin in alten Gerichtsakten viele Informationen: „Vom Amt für Wiedergutmachung, das für Entschädigungen Verfolgter zuständig war, gibt es interessante Berichte und Aussagen über die NS-Zeit.“ So fand Gisela Ewe Unterlagen des Amtes, die sich mit dem jüdischen Musiker Conrad Löwenherz (1896-1943) beschäftigen. Er hatte im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft, lebte mit seiner Frau und drei Kindern in Eppendorf und wurde in Auschwitz ermordet – fünf Monate nach seiner Verhaftung durch die Geheime Staatspolizei im Februar 1943. Seine Witwe Frieda hatte Entschädigung beantragt, 1947 deshalb erstmals das Amt für Wiedergutmachung angeschrieben. „Der letzte Brief von ihr an das Amt ist von 1957, wurde also zehn Jahre später verfasst“, weiß die Historikerin. „Es gab aber auch Fälle, die sich über Jahrzehnte gezogen haben.“
Witwe eines ermordeten jüdischen Musikers erhielt nach zehn Jahren eine kleine Entschädigung
Denn die Verfolgung der Opfer durch die Nationalsozialisten musste nachgewiesen werden, anhand von Dokumenten, was oftmals nicht möglich war. Conrad Löwenherz war im März 1933 aus der Reichsmusikkammer ausgeschlossen und mit einem Berufsverbot belegt worden. „Das konnte die Witwe später belegen“, sagt Gisela Ewe, der auch der Nachlass des ermordeten Künstlers vorliegt.
Der Anwalt der Witwe konnte zumindest durchsetzen, dass Frieda Löwenherz etwa eine Entschädigung für die fünfmonatige Haft ihres Mannes in Hamburg und in Auschwitz erhielt. „Er hatte als Musiker gut verdient. Vermutlich wurden der Witwe fünf Monatsgehälter als Entschädigung gezahlt.“
Viele Originalakten der Kulturbehörde sind nach einem Bombenabwurf verbrannt
Den Dokumenten, die sich mit den Verfolgten beschäftigen, stehen wiederum Entnazifizierungsakten gegenüber. Sie wurden von der britischen Militärverwaltung angelegt. „Die Briten haben viele hohe Funktionsträger aus ihren Ämtern genommen“, sagt Gisela Ewe. „Viele von denen durften in der jungen Bundesrepublik dann allerdings wieder hohe Posten bekleiden.“ Deshalb widmet sich das Projekt auch den ersten Jahren nach der NS-Zeit.
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Im Staatsarchiv seien nur noch wenige Originalakten der Kulturbehörde erhalten, weiß die Forscherin. „Viele sind nach einem Bombenabwurf 1943 verbrannt. Andere Akten wurden ‚gereinigt‘. Es fehlen auffällig viele Unterlagen, die kompromittierend sein könnten.“ Dadurch gestalte sich ihre Recherche komplexer, sagt die 40-Jährige.
Die Behörde für Kultur und Medien finanziert das Forschungsprojekt
Gisela Ewe wurde in Bergedorf geboren und lebt im Schanzenviertel. Sie hat in Hamburg und Moskau Geschichte und Philosophie studiert, spricht auch Russisch. Bereits vor zehn Jahren fing sie als freiberufliche Mitarbeiterin der Gedenkstätte in Neuengamme an. Die Historikerin arbeitete auch schon an einem Projekt für das Hamburger Staatsarchiv, recherchierte über kolonial belastete Straßennamen. Hamburg will sein koloniales Erbe aufarbeiten, die Bergedorferin schuf mit ihren Recherchen eine Grundlage. An der Universität Xiamen in China unterrichtete Gisela Ewe chinesische Germanistikstudenten in deutscher Sprache und Geschichte.
Finanziert wird das Projekt von der Behörde für Kultur und Medien. Weitere Informationen finden sich im Internet: kz-gedenkstaette-neuengamme.de/nachrichten/news/neues-projekt-die-hamburger-kulturlandschaft-im-nationalsozialismus.