Hamburg. Mit Beispiel-Film: Immer mehr Menschen unterschätzen die Gefahren im Wasser. Was das für Folgen hat und was die DLRG fordert.
Ein typischer Dienstagabend im Bille-Bad in Bergedorf. Auf Bahn 5 und 6 des großen Schwimmbeckens warten rund 20 Jungen und Mädchen mit ihren Schwimmbrillen vor dem Startblock, bereit ins Wasser zu springen. Dazwischen die Ausbilder in ihren leuchtend gelben T-Shirts mit dem roten Aufdruck „DLRG Ausbildung“. Jeden Dienstag hält die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) Bergedorf ihre Schwimmkurse ab. Erst für die Kleinen, die auf das Deutsche Schwimmabzeichen Silber und Gold hinarbeiten, danach für die Größeren. Für sie geht es bereits um das Erreichen der Abzeichen im Rettungsschwimmen.
In Deutschland können rund 3,5 Millionen Jugendliche und Erwachsene nicht schwimmen. Seit 2017 ist die Zahl der Nichtschwimmer in Deutschland deutlich gestiegen. Verschärft wurde die Lage durch die Corona-Pandemie, als der Schwimmunterricht über Monate ausfiel und die Schwimmbäder geschlossen waren. Die Zahl der Grundschüler, die nicht schwimmen können, liegt heute bei 20 Prozent, also jedes fünfte Kind. Das sind doppelt so viele betroffene Kinder wie noch vor fünf Jahren.
Jedes fünfte Kind ist Nichtschwimmer: Die DLRG schlägt Alarm
Die DLRG-Präsidentin Ute Vogt mahnt: „Wir müssen dahin kommen, dass jedes Kind am Ende der Grundschule sicher schwimmen kann.“ Schwimmunterricht müsse deshalb fester Bestandteil in Schulen werden, um alle Kinder unabhängig von ihrer Herkunft und familiären Situation zu erreichen. Das Schwimmenlernen dürfe laut Vogt keine Frage des Geldes sein.
Ist es aber: Denn während in einkommensschwächeren Haushalten etwa jedes zweite Kind Nichtschwimmer ist, können in Familien mit einem monatlichen Nettoeinkommen von über 4000 Euro nur zwölf Prozent der Kinder nicht schwimmen. Das hat eine von der DLRG beauftragte Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2022 ergeben. Solche Unterschiede durch Migrationshintergrund und Bildungsgrad ließen sich durch einen allgemeinen Schwimmunterricht an den Schulen verringern.
Viele drängen in die Schwimmkurse, aber nur werden Rettungsschwimmer
Auch für die DLRG Bergedorf gehört die Schwimmausbildung zu den wichtigsten Aufgaben. Dabei ist es nicht nur das Ziel, möglichst vielen Kindern das Schwimmen beizubringen, sondern auch künftige Lebensretter dazuzugewinnen. Doch das ist ein mühseliges Unterfangen. Wird die DLRG mit Anmeldungen zu Schwimmkursen geradezu überhäuft und führt jahrelange Wartelisten, ist die Zahl der Jugendlichen, die dann später einmal Rettungsschwimmer werden, eher überschaubar.
„Besonders im Alter von 14, 15, 16 Jahren entwickeln Jugendliche andere Interessen. Fußball, Social Media, sowas wird dann oft wichtiger. Das Angebot, gegen das wir uns durchsetzen müssen, ist häufig einfach zu groß“, beklagt Arne Schicke, der Vorsitzende der DLRG Bergedorf. Auch das Bädersterben und die knappen Hallenzeiten für die Schwimmausbildung verschärften die Situation. „Bergedorf gehört zu den flächenmäßig größten Bezirken in Hamburg. Wir haben knapp 130.000 Einwohner und nur ein Schwimmbad. Das passt irgendwie nicht zusammen“, kritisiert DLRG-Bezirksleiter Schicke.
Immer mehr Menschen müssen vor dem Ertrinken bewahrt werden
Der Bedarf an Lebensrettern an Stränden und Badestellen ist so groß wie noch nie. Allein in den ersten sieben Monaten des Jahres sind in Deutschland 253 Menschen ertrunken. Das sind 35 Personen mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. In Norddeutschland kam bis Ende Juli 2024 für 66 Schwimmerinnen und Schwimmer jede Hilfe zu spät, 17 mehr als im Vorjahr. Eine alarmierende Entwicklung. Gleichzeitig müssen die Rettungsschwimmerinnen und Rettungsschwimmer der DLRG immer häufiger eingreifen. Im Jahr 2023 haben sie 870 Personen vor dem Ertrinken bewahrt – so viele wie noch nie zuvor.
In Bergedorf war es ein eher ruhiger Sommer. Aber auch hier gab es einen tödlichen Badeunfall zu beklagen, als im August ein 23-jähriger Mann im Allermöher Badesee unterging und jede Hilfe zu spät kam. In Bergedorf sind rund 40 aktive ehrenamtliche Retter der DLRG im Einsatz und kümmern sich um die Sicherheit an den Gewässern. Seien es abgetriebene Wassersportler, die mit ihren SUPs oder Surfboards abgeschleppt werden, oder erschöpfte Schwimmer, die an Land gebracht werden müssen.
Wie holt man einen Fünf-Kilo-Ring aus 3,80 Metern Wassertiefe?
In der Badesaison von Anfang Mai bis Ende September versuchen die Retter der DLRG, die Station am östlichen Ufer des Hohendeicher Sees möglichst jedes Wochenende zu besetzen. Voraussetzung für den Wachdienst sind der Erste-Hilfe-Schein und das Rettungsschwimmabzeichen Silber. Auf dem Trainingsplan für dieses Abzeichen steht neben dem Ausdauerschwimmen auch das Hochholen eines fünf Kilogramm schweren Tauchrings aus einer Tiefe von 3,80 Meter. Das Abschleppen und Retten von Menschen wird in der Schwimmhalle sogar mit Kleidung geübt, um einen möglichst lebensnahen Einsatz zu repräsentieren.
Wer in der DLRG Bergedorf aktiv ist, bekommt dann im Alter von 17 Jahren die Möglichkeit, in die Einsatzgruppe überzugehen. „Eigentlich können wir uns nicht beschweren, von den Jugendlichen, die so lange dabei sind, wechseln relativ viele in den Einsatz“, findet Andrea Pumpe, Ausbildungsleiterin des Bezirks Bergedorf. Allerdings verändere sich das Zeitmanagement der jungen Erwachsenen. „Themen wie die Vorbereitung auf das Abitur und die berufliche Orientierung kommen dazu“, erzählt Pumpe. „Dadurch wird es dann oft schwierig mit dem Einsatzdienst.“
Für den Wachdienst an Badeseen oder am Strand opfern viele sogar ihren Urlaub
Der 18-jährige Rettungsschwimmer Jannik Seidel kam als Elfjähriger zur DLRG. Nun durchläuft er verschiedene Lehrgänge, die ihm Fertigkeiten für die Arbeit als Lebensretter vermitteln. Die Bandbreite reicht vom Umgang mit Rettungsgeräten und das Schwimmen in fließenden Gewässern über Sanitätslehrgänge bis zur Sprechfunkunterweisung. Mindestens einmal im Monat verbringt er sein Wochenende mit Wachdienst. Hinzu kommen meist ein bis zwei Wochen Urlaub im Jahr, die Seidel mit dem Wachdienst an der Küste verbringt.
„Ich mag die Gemeinschaft in der DLRG sehr“, betont er. „Außerdem mache ich das alles nicht nur für mich, sondern auch dafür, dass andere ihren Urlaub sicher verbringen können.“ Für ihn ist die Arbeit auf Wache eine andere als in seinem Alltag als angehender KfZ-Mechatroniker: „Es ist ein anderes Gefühl“, beschreibt Seidel. „Die Sonne, die schönen Orte, an denen man sich aufhält. Das ist nicht mit Arbeit gleichzusetzen.“ Der frühere Leistungsschwimmer bringt nun anderen das Schwimmen bei. Für ihn sei es nie infrage gekommen, die DLRG zu verlassen.
Viele Badegäste finden die Anwesenheit von Rettungsschwimmern selbstverständlich
Auch an den Stränden von Nord- und Ostsee wachen den ganzen Sommer über Rettungsschwimmer aus verschiedenen Ortsgruppen über den Badebetrieb – ehrenamtlich! „Viele Menschen wissen nicht, dass unser Job ein Ehrenamt ist“, beklagt Markus Klampe, der bei der DLRG in Bergedorf den Bereich Einsatz leitet. „Unser Dasein wird als selbstverständlich angesehen und nicht mehr wertgeschätzt.“
Klampe kritisiert vor allem das Verhalten von Eltern, die das Aufpassen ihrer Kinder vernachlässigen und lieber auf ihre Handys schauen. „Jedem sollte aber bewusst sein, dass er für sich selber verantwortlich ist und wir da sind, um im Notfall einzugreifen“, betont er. Stattdessen würden manche Badegäste den Rettungsschwimmern das Aufpassen auf Kinder und Kleidung auftragen, mit den Rettungsbrettern im Wasser spielen und die DLRG-Mitglieder für verschmutzte Toiletten verantwortlich machen.
Wer für die DLRG Wachdienst leisten will, muss auch in Erster Hilfe fit sein
Wer als Retter aktiv Dienst tun möchte, muss sich bei der DLRG einer jährlichen Eignungsprüfung unterziehen. Im sogenannten „Run-Swim-Run“ müssen sie 100 Meter laufen, 200 Meter schwimmen und nochmals 100 Meter an Land zurücklegen. Bei der kombinierten Übung müssen sie mit Flossen im offenen Gewässer eine menschengroße Puppe heraufholen und an Land bringen. Auch die stabile Seitenlage und eine Herz-Lungen-Wiederbelebung stehen auf dem Programm.
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Doch 90 Prozent der tödlichen Badeunfälle passieren in unbewachten Binnengewässern, meist Flüssen. Die Gefahr, die von fließenden Gewässern ausgeht, wird oft unterschätzt. So kann es jedem passieren, plötzlich einem in Not geratenen Menschen helfen zu müssen. Dann gilt es, zügig richtig zu handeln. „Erstmal sollte man Alarm schlagen und professionelle Hilfe organisieren, indem man die 112 wählt und Umstehende auf das Geschehen aufmerksam macht“, betont Einsatzleiter Klampe.
Was tun bei einem Notfall? Erst einmal Alarm schlagen und Hilfe organisieren
„Nur wenn man es sich zutraut, sollte man selber ins Wasser gehen“, führt er weiter aus, „am besten mit einem Rettungsmittel, an dem sich der Verunglückte festhalten kann.“ Denn es könne schnell vorkommen, dass Ertrinkende den Retter unter Panik umklammern und selbst mit unter Wasser ziehen. Der Selbstschutz stehe daher an erster Stelle. „Das Schlimmste, was passieren kann, ist, wenn Menschen den Helden spielen wollen, sich selbst überschätzen und ebenfalls in Not geraten“, schließt Klampe.
Vieles hängt also davon ab, dass man sich in jeder Situation auf seine individuellen Schwimmfähigkeiten verlassen kann. Und daran arbeiten sie in Bergedorf an jedem Dienstag aufs Neue.