Lohbrügge. „Wir tun alles, um die richtige Entscheidung zu treffen“, so Jarno Wienefeld. Als Assistent stand er zuletzt auf Schalke im Blickpunkt.
Es ist der Moment, auf den Jarno Wienefeld ein Leben lang hingearbeitet hat: Am Sonnabend, den 2. September, wird der 25-jährige Schiedsrichter vom VfL Lohbrügge die Teams vom SSV Ulm und VfB Lübeck in das 20.000 Zuschauer fassende Donaustadion führen. Zum ersten Mal wird Wienefeld dann ein Spiel im Profifußball als verantwortlicher Referee leiten.
Seit diesem Sommer gehört der Student des Wirtschaftsingenieurwesens zum Kader der Unparteiischen für die 3. Liga. Seinem großen Traum, die Schiedsrichtertätigkeit zum Beruf zu machen, ist er damit einen großen Schritt nähergekommen. „Ich mache gerade meinen Master im Schwerpunkt Energietechnik“, betont Wienefeld. „Doch Spiele auf diesem Niveau zu leiten, ist sehr zeitaufwendig: die Reisen, das tägliche Training. Künftig soll der Fußball Priorität haben.“
„Absoluter Instinkt-Schiedsrichter“: Jarno Wienefeld gibt Debüt bei den Profis
Mit seinem Entschluss, auf die Karte Fußball zu setzen, liegt der Lohbrügger goldrichtig. Davon ist einer seiner Lehrmeister, der langjährige Referee Christian Henkel, überzeugt. „Ich war früher mal in einem Spiel sein Assistent, da habe ich sofort gemerkt: Das ist ein absoluter Instinkt-Schiedsrichter“, schwärmt Henkel.
Seine Feuerprobe im bezahlten Fußball hat Wienefeld bereits hinter sich. Am 2. Spieltag war er Schiedsrichter-Assistent in der 2. Bundesliga-Partie Schalke 04 gegen den 1. FC Kaiserslautern. Ein Traumspiel: 62.000 Fans in der Veltins-Arena, 1,5 Millionen Zuschauer vor dem Fernseher. Und mittendrin: die Fahne des neuen Manns an der Seitenlinie.
Vor 62.000 Fans die Fahne heben, um ein Tor abzuerkennen: Da steigt der Puls
Denn schon in der 7. Minute trafen die Gäste aus Kaiserslautern zur Führung, doch Wienefeld hatte etwas dagegen, signalisierte: Abseits. „Es war meine erste Entscheidung in dem Spiel“, erinnert er sich. „Da steigt schon der Puls.“ Die Fernsehbilder bestätigen: Die Entscheidung stimmt, das Tor zählt nicht. „Gut gemacht, Jarno“, lobt Schiedsrichter Harm Osmers seinen Mann an der Seitenlinie.
Der Rest geht dann wie von selbst. Schalke gewinnt 3:0, der Lohbrügger Neuling liefert eine souveräne Vorstellung ab. Jeder Auftritt eines Schiedsrichter-Teams wird von einem Beobachter im Stadion bewertet, dazu kommen die Video-Analysen. Die Bewertungen sind mit entscheidend dafür, ob ein Schiedsrichter weiter aufsteigt und in höheren Ligen pfeifen darf.
Jarno Wienefeld gehört nun zu den jüngsten Schiedsrichtern in der 3. Liga
Der Weg nach oben ist steinig. 24 Referees pfeifen aktuell in der Fußball-Bundesliga, 16 in der 2. Bundesliga und 25 in der 3. Liga. Wienefeld ist einer von acht Neuzugängen in der 3. Liga, doch während die anderen fast alle schon 27 oder 28 Jahre alt sind, hat er diesen Sprung bereits mit 25 geschafft. Ein wichtiger Pluspunkt für den Lohbrügger, aber keine Gewähr für eine steile Karriere.
Der aktuell einzige Hamburger Bundesliga-Schiri, Patrick Ittrich, schaffte schon mit 24 den Sprung in den Bereich des Deutschen Fußball-Bundes, musste dann aber sechs Jahre auf den Aufstieg in die 2. Liga und weitere sieben Jahre auf den Sprung in die 1. Bundesliga warten. Geduld ist also gefragt: 2022 nominierte der DFB niemanden für den Aufstieg in die 1. Liga, in diesem Sommer mit dem 36-jährigen Timo Gerach nur einen.
Auch junge Schiedsrichter bekommen vom DFB früh die Chance, sich zu beweisen
Doch man muss sich nicht hochdienen. Youngster müssen nicht den Älteren den Vortritt lassen. Allein die Leistung zählt. So sind unter den drei Schiedsrichtern, die 2022 den Sprung von der 3. Liga in die 2. Bundesliga schafften, mit dem 25-jährigen Richard Hempel und dem 26-jährigen Tom Bauer zwei Unparteiische, die nur wenig älter als Wienefeld sind. Der Deutsche Fußball-Bund überträgt also auch Nachwuchs-Referees schon früh viel Verantwortung, wenn sie gute Leistungen bringen.
Dazu gehört neben körperlicher Fitness auch ein souveränes Auftreten gegenüber Spielern, Medien und Fans. Etwa 16 Kameras beobachten ein Bundesliga-Spiel. „Man weiß als Schiedsrichter, dass man nach einer wichtigen Entscheidung groß ins Bild kommt. Dann sollte man sich nicht gerade die Schnürsenkel binden“, erzählt Wienefeld, der sich bewusst ist, wie schnell er zur Zielscheibe der Kritik werden kann. „Mir sind aber die Rückmeldungen der Beobachter viel wichtiger als die der Fans.“
Wo der Kölner Keller niemals anruft: In der 3. Liga hängt alles am Schiedsrichter
In der 3. Liga gibt es noch keinen Videobeweis. Die Referees sind bei ihren Entscheidungen also auf sich allein gestellt. Etwa zehn Einsätze als Hauptschiedsrichter dürfte Jarno Wienefeld in dieser Saison in der 3. Liga bekommen. Jedes einzelne dieser Spiele ist von Bedeutung bei der Bewertung, ob er in Zukunft den Sprung in die 2. Bundesliga schafft oder nicht.
Dort würde dann auch der Videobeweis hinzutreten. In dem berühmten Kölner Keller beurteilt ein ausgebildeter Schiedsrichter mit seinen Helfern als Video Assistant Referee (VAR) die Fernsehbilder und greift ein, wenn eine klare Fehlentscheidung vorliegt.“
Videoassistent als „Rettungsschirm“ für den Schiedsrichter auf dem Platz
Doch das kostet Zeit: Im Finale der Frauen-Fußball-Weltmeisterschaft zwischen Spanien und England dauerte es geschlagene vier Minuten, bis sich VAR und Schiedsrichterin darüber einig waren, ob ein elfmeterwürdiges Handspiel vorlag oder nicht. Zum Vergleich: Manchester United hatte das legendäre Europapokalfinale 1999 gegen Bayern München einst binnen drei Minuten von 0:1 auf 2:1 gedreht.
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„Ich bin persönlich ein absoluter Befürworter des Videobeweises“, betont Wienefeld. „Natürlich sollte es so schnell wie möglich gehen, doch der Videobeweis ist eine gute Sache: Fehlentscheidungen können so abgewendet werden. Kein Schiedsrichter möchte im Mittelpunkt der Kritik stehen, weil er durch eine Fehlentscheidung das Spiel entschieden hat. Ich sehe das als ganz, ganz großes Hilfstool. Für uns Schiedsrichter ist der VAR ein guter Rettungsschirm.“
Lehrgänge sollen einheitliche Auslegung der Regeln garantieren
Dass trotzdem immer wieder Entscheidungen in den Medien diskutiert würden, läge in der Natur der Sache bei einem Sport wie Fußball, in dem es für den Unparteiischen so viele enge Situationen zu beurteilen gibt. „Wir machen unfassbar viele Lehrgänge, um eine einheitliche Bewertung zu gewährleisten“, erläutert Wienefeld. „Man kann im modernen Fußball nicht mehr alles sehen. Dafür ist der Sport zu schnell geworden.“
Um auf dem Spielfeld stets auf der Höhe des Geschehens zu sein, trainiert der Lohbrügger jeden Tag, vor allem Sprints und Krafttraining. Früher hat Wienefeld noch selbst gespielt, war Torhüter in der Junioren-Regionalliga. Dann entschied er sich für eine Karriere als Unparteiischer.
Premiere in der 3. Liga beim Spiel zwischen dem SSV Ulm und VfB Lübeck
Mit 13 hat Jarno Wienefeld einst sein erstes F-Jugendspiel gepfiffen, mit 16 die erste Herren-Partie, mit 22 das erste Regionalliga-Spiel. Nun, mit 25, ist er im Profi-Fußball angekommen und hofft darauf, nicht nur bei seinem Drittliga-Debüt im Spiel SSV Ulm gegen VfB Lübeck mit einer guten Leistung und klaren Entscheidungen dazu beizutragen, dass die Referees den Respekt bekommen, den sie verdienen.
Das ist oft nicht der Fall. „Der Fußball ist nun einmal ein Sport, der in alle Gesellschaftsschichten hinein wirkt und sie verbindet. Er ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft und lässt viele Graubereiche zu“, führt Wienefeld aus. „Letztlich ist es einfach eine Frage des respektvollen Umgangs miteinander. Der ist mir sehr wichtig. Wir Schiedsrichter tun alles, um die richtige Entscheidung zu treffen.“