Reinbek. Nicht mehr zeitgemäß? Erste Sportvereine taufen den Klassiker unter den Fitnesskursen um – aus BBP wird CBW. Das sind die Gründe.
Schwitzen ist Frauensache. Jedenfalls in Fitnesskursen. Etwa 9:1 beträgt das Verhältnis normalerweise. Im Sportforum der TSG Bergedorf ist es etwas anders. „Bei uns ist es etwa 7:3, weil wir auch sehr viele Ehepaare als Mitglieder haben“, vermutet Felicia Heinrich, Studioleiterin des beFit.
Begriffe wie „Gymnastik“ oder „Bauch-Beine-Po“ finden sich aber mittlerweile nur noch selten in den Kursprogrammen der Vereine. „Ein Ausdruck wie ,Bauch-Beine-Po’ ist einfach zu angestaubt und altbacken“, sagt Uwe Schneider, Sportlicher Leiter der TSV Reinbek für den Bereich Fitness, Gesundheit und Freizeitsport.
Fitness: Aus Bauch-Beine-Po wird Complete Body Workout
Daher hat die TSV Reinbek ihren Kursus, der zehn Jahre lang Bauch-Beine-Po hieß, jetzt in Complete Body Workout umbenannt. „Aus BBP wird CBW“, verkündet die TSV stolz. Das ist das Ergebnis einer Tagung der Trainerinnen mit dem Verein. „Der Begriff ,Bauch-Beine-Po’ war einfach nicht mehr passend, weil sehr viel mehr trainiert wird als nur das“, führt Schneider aus. „Es geht uns um den gesamten Bewegungsapparat, der für eine gute Haltung nötig ist.“
Core-Training wird das in der modernen Trainingslehre genannt: das Training für den Core – die Körpermitte. Ein Complete Body Workout – Core to Extremity, wie es die TSV Reinbek nun anbietet, ist also ein anspruchsvolles Fitnesstraining, bei dem von der Körpermitte hin zu den Extremitäten gearbeitet wird. Wer hier mithalten will, muss topfit sein.
Fitnessjünger sind das finanzielle Rückgrat eines Sportvereins
Solche Konzepte sind von großer Bedeutung für die Clubs. In dem 3900-Mitglieder-Verein TSV Reinbek etwa ist die Sparte Fitness, Gesundheit, Freizeitsport mit 600 Mitgliedern die größte Abteilung. Und vor allem wirtschaftlich die bedeutendste, denn praktisch alle sind Erwachsene und damit Vollzahler. Die vielen unbesungenen Heldinnen (und wenigen Helden), die allwöchentlich in den Fitnesskursen an ihre Grenzen gehen, sind das Rückgrat eines jeden Vereins.
So ist im Hamburger Sportbund der Fachverband für Turnen und Freizeit mit 99.000 Mitgliedern in 200 Vereinen jenseits des Fußballs der größte Fachverband der Stadt. Bei der TSG Bergedorf liegt das Alter der Fitness-Jünger üblicherweise zwischen 30 und 60 Jahren. „In der Gruppe der 20- bis 30-Jährigen haben wir hingegen kaum jemanden“, bedauert Studioleiterin Heinrich.
Hot Iron, Bootcamp, Deepwork, Tabata und Co.: die Kurswelt der TSG Bergedorf
Die TSG setzt stärker als alle anderen Vereine auf moderne Konzepte mit hippen, häufig englischen Namen. Da wäre Hot Iron (Fitness mit Gewichten), Deepwork (Training mit schnellen Wechseln zwischen Anspannung und Entspannung für die tiefer liegenden Muskeln), Bootcamps (Gruppentraining an der frischen Luft) oder Tabata. Das ist ein Hochintensitäts-Intervalltraining, das nach seinem Erfinder Izumi Tabata benannt wurde.
Klingt nicht mehr so gemütlich wie Bauch-Beine-Po oder Gymnastik. Das Wort „Gymnastik“ ist abgeleitet vom griechischen „gymnastike“, die Kunst der Leibesübungen oder im Wortsinne die „Kunst des Gymnasten“. Der Gymnast war im Alten Griechenland der Lehrer für das Nacktturnen.
Das Sporttreiben war den Frauen bis ins 19. Jahrhundert hinein verboten
Ursprünglich war Frauen zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus politischen Gründen Gymnastik und Turnen verboten, wie die Sportwissenschaftlerin Gertrud Pfister im „Handbuch Sportgeschichte“ ausführt: „Man empfand den Körper der Frau gegenüber dem stärkeren Körper des Mannes als defizitär. Die Befürworter des Mädchenturnens teilten den Mythos von der weiblichen Schwäche, der sie aber durch gezielte Übungen zu begegnen suchten.“
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts blieben die Möglichkeiten für Frauen, Sport zu treiben, begrenzt. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts und im Zuge des Ersten Weltkriegs änderte sich das. „Sport und Weiblichkeit standen nun nicht mehr im Widerspruch“, führt Pfister weiter aus. „Die neue Frau, die in Filmen und Illustrierten idealisiert wurde, war schlank und langbeinig, erfolgreich in der Liebe, im Beruf und im Sport.“
Wo warst du? – Der soziale Aspekt spielt in den Fitnesskursen eine große Rolle
Für viele heutige Teilnehmerinnen von Fitnesskurses sind aber nicht nur körperliche Fitness und gutes Aussehen wichtig. „Für einen Großteil unserer Kursteilnehmer ist auch die soziale Komponente ganz entscheidend“, hat Felicia Heinrich beobachtet. „Die Trainer kennen die Mitglieder mit Namen. Wenn man zweimal nicht da war, wird direkt gefragt: Wo warst du?“ So schafft es auch ein Großverein wie die TSG Bergedorf mit ihren rund 10.000 Mitgliedern, eine familiäre Atmosphäre zu schaffen.
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Je jünger die Kursteilnehmer seien, desto anspruchsvoller. „Viele wollen in möglichst kurzer Zeit möglichst intensiv trainieren, denn sie stehen voll im Berufsleben und haben nicht viel Zeit“, führt TSG-Studioleiterin Heinrich weiter aus. So sind die aktuellen Fitness-Trends wie das Hochintensitäts-Intervalltraining Tabata entstanden.
Bauch-Beine-Po und Power Workout: Zwei Namen für dieselbe Sache
Auch beim TSV Glinde gibt es viele moderne Konzepte. In der Gymnastik-Abteilung ist man jedoch mit der Veränderung des Kursprogramms vorsichtiger. Namen seien da oft ohnehin nicht sehr aussagekräftig, betont Rüdiger Reuter. Der 72-Jährige führt seit knapp zwei Jahren die Gymnastik-Abteilung des TSV. „Bei uns gibt es zum Beispiel einen Kursus Bauch-Beine-Po und einen Kursus Power Workout“, führt er aus. „In beiden findet praktisch dasselbe Programm statt, und auch die Kursmitglieder sind bis auf ein, zwei Ausnahmen dieselben.“
Vieles an den modernen Trends sei Augenwischerei. Reuter: „Ich frage mich immer, ob die Leute nicht enttäuscht sind, wenn sie einen Kursus mit einem fantasievollen Namen besuchen und dann feststellen, dass es im Grund genommen nur Gymnastik ist.“