Hamburg. Die Zeit der Bergedorfer Koalition in der Bezirksversammlung ist vorbei. Das sind die Strategien der Fraktionen für die neue Situation.
Großer Jubel bei Bergedorfs CDU: Erstmals seit 19 Jahren stellen die Christdemokraten mit einem Wahlergebnis von 28,6 Prozent (plus 4,4 Prozentpunkte) wieder die stärkste Fraktion im Bezirk. „Wir haben unser Wahlziel erreicht“, jubelt Spitzenkandidat und Fraktionschef Julian Emrich. „Die Bergedorfer Ampel aus SPD, Grünen und FDP ist abgewählt.“
Damit hätten die Bergedorfer den Weg freigemacht für einen Neuanfang, bei dem es „um die Kraft der Argumente geht, statt wie in den vergangenen Jahren um die Macht der Mehrheit“. Die CDU lehnt die Bildung einer neuen Koalition ab, will in der Bezirksversammlung wieder auf wechselnde Mehrheiten setzen, wie es vor der Gründung der Ampel-Koalition im Winter 2019 in Bergedorf normal war.
Bezirksversammlung Bergedorf: SPD ist nicht mehr stärkste Kraft
Anders ist die Stimmung bei der SPD, die mit 26,6 Prozent (plus 0,2 Prozentpunkte) nur Platz zwei belegt. Natürlich wollten sie den Wahlsieg. Natürlich wollten sie auch in der vierten Legislaturperiode am Stück die stärkste Fraktion sein. Beides klappte nun bei den Bezirkswahlen 2024 für die Bergedorfer SPD nicht, doch deren Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidatin Katja Kramer ist dennoch nicht unzufrieden: „Das nehmen wir erstmal so hin, zumal wir hinsichtlich des Bundestrends mit Schlimmeren gerechnet hatten. Wir fühlen uns politisch aber keineswegs abgestraft“, kommentiert die 34-Jährige den neuen Status der Sozialdemokraten als Nummer zwei hinter Wahlgewinner CDU.
Demnach bleibt die Bergedorfer SPD stabil bei zwölf Abgeordneten im Bezirksparlament. Zu einer Koalitionsaussage möchte sich Kramer nicht hinreißen lassen, was ja auch aufgrund der eingebüßten Stimmenmehrheit schwierig ist – nur so viel sei schon klar: „Die Ampel wie in den vergangenen fünf Jahren wird nicht mehr funktionieren.“ Erschreckt zeigt sich die SPD-Chefin über die Stärke der AfD, die sich mittlerweile über Neuallermöhe hinaus auch auf Lohbrügge und Lohbrügge-Nord erstreckt habe: „Die Frage, die ich mir stelle: Wie kriegen wir Menschen, die der AfD zugeneigt sind, in eine Gesprächskultur zurück?“
Bergedorfer Grüne enttäuscht von Stimmenverlusten
Lenka Brodbeck, Spitzenkandidatin der Bergedorfer Grünen, ist hörbar angefasst, ob des Ergebnisses ihrer Partei im Bezirk. 7,3 Prozentpunkte büßen die Grünen gegenüber der vorherigen Bezirkswahl ein. Es sind die größten Verluste aller Parteien der Koalition. „Natürlich bin ich enttäuscht und hätte mir ein stärkeres Ergebnis gewünscht“, sagt Brodbeck.
Viele Wähler hätten anscheinend Zweifel, ob in einer multikulturellen Gesellschaft ein gutes Miteinander möglichst ist. Um sie zurückzugewinnen, möchte die Grünenpolitiker stärker eine positive Vision von der Zukunft vermitteln, die den Grünen vorschwebt. Das wahrscheinliche Ende der Koalition macht Brodbeck Sorgen. „Es gibt jetzt das Risiko, dass die beiden größten Fraktionen es schaffen, sich um die Themen wie Umwelt und Migration herumzuschleichen.“
FDP nicht nur traurig über Ende der Koalition
Gesprächsbedarf gibt es womöglich auch bei Bergedorfs Freien Demokraten ob des Verlustes der Fraktionsstärke in der nächsten Bergedorfer Bezirksversammlung. Doch deren Bergedorfer FDP-Spitzenkandidatin Sonja Jacobsen sieht die neue Konstellation nicht nur negativ: Enttäuschend sei das Ergebnis sicher, doch auch kein schlechtes mit Blick auf den bundesweiten Abwärtstrend der FDP: „Die Ampelparteien wurden abgestraft, und bei uns hat es auf Bergedorfer Ebene eben nicht mehr gereicht.“
Doch die künftige Oppositionsrolle – vermutlich mit Parteikollege Dr. Geerd Dahms – könne auch Möglichkeiten bieten. Sonja Jacobsen glaubt in der neuen Rolle durchaus an eine höhere Sichtbarkeit der Liberalen – auch bei Themen wie der Verknüpfung von Wohnungsbau mit Verkehrsplanung. Offensichtlich stimmte zuletzt auch der innere Koalitionsfrieden bei rot-grün-gelb nicht mehr. Insbesondere bei den Grünen bemängelt Jacobsen „fehlenden Sportsgeist“ und eine mit der Zeit problematischer werdende Zusammenarbeit. „Am Schluss habe ich die Tage gezählt“, sagt die FDP-Leaderin.
Die Bergedorfer Koalition sei schlichtweg abgewählt worden, meint Bergedorfs Spitzenkandidat für die AfD, Reinhard Krohn. Er findet eine Koalition im Bezirksparlament „grundsätzlich sowieso überflüssig“, weil hier weder Gesetze noch Verordnungen verabschiedet werden.
AfD erfreut über gutes Ergebnis – vor allem in Neuallermöhe
Mit ihrem eigenen Ergebnis von 14,4 Prozent sei die AfD „sehr bravourös zufrieden“. Insbesondere mit den 23,2 Prozent, die Direktkandidat Eugen Seiler in Neuallermöhe einsammelte: „Neben Lohbrügge war das schon immer unsere Hochburg mit den vielen Spätaussiedlern. Da war an den Infoständen sehr wenig Feindseligkeit gegen uns zu spüren. Und so werden wir unseren Kurs halten, also weiterhin gegen den Bau von Oberbillwerder kämpfen“, so Krohn.
Voraussichtlich mit sieben Sitzen in der Bezirksversammlung wolle die AfD nun „aus dem Wahlprogramm möglichst viel umsetzen“, so Reinhard Krohn: „Wir gehen unseren konservativen Weg weiter und können uns frei entscheiden. Dabei können wir durchaus auch mal einem guten SPD-Antrag zustimmen.“
Christin Feiler, Spitzenkandidatin der Linken, ist trotz der Verluste ihrer Partei zufrieden mit dem Wahlergebnis: „Vor allem, wenn man auf den Bundestrend und die Europawahl schaut.“ Die bisherige Fraktion der Linken in der Bezirksversammlung habe gute Arbeit geleistet, das werde von den Wählern gewürdigt. Angesichts des anstehenden Endes der Bergedorfer Koalition sieht Feiler durchaus neue Gestaltungsmöglichkeiten für ihre Partei. „Wir hoffen, dass wir über Parteigrenzen zusammenarbeiten können – für Bergedorf und gegen die AfD“.
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Der Aufstieg der rechten Partei sei auch der Zukunftsangst der Menschen geschuldet. „Viele Hamburger haben Angst, ihre Mieten nicht mehr bezahlen zu können.“ Die demokratischen Parteien müssten jetzt Antworten finden, so die Linkenpolitikerin, die erstmals selbst in die Bezirksversammlung einzieht.
Wieder nicht gereicht hat es dagegen für die Freien Wähler in Bergedorf. Wie schon bei der letzten Bezirkswahl scheiterten sie mit 2,9 Prozent der Stimmen denkbar knapp an der Dreiprozenthürde. Spitzenkandidat Daniel Meincke ist trotzdem stolz. „Wir haben alles gegeben“, sagt der Bergedorfer. Ein Problem der Freien Wähler: Mangels ausreichender Kandidaten konnte die Partei den Wahlkreis Vierlande I nicht besetzen. Das will die Partei bei der nächsten Bezirkswahl besser machen.