Bergedorf. Dr. Jens Kalke beobachtet die Situation seit 1. April genau. Viel ist ihm nicht aufgefallen, doch für ein Verbot spricht er sich aus.
Seit 1. April gilt der straffreie Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis zum Eigenbedarf, jeder Erwachsene darf drei Pflanzen selbst anbauen. Wie sollen sie jetzt mit dieser Teillegalisierung von Cannabis umgehen? Diese Frage treibt vor allem die Mitarbeiter in Bergedorfs Jugendzentren an – nun luden sie Dr. Jens Kalke in den Jugendhilfeausschuss ein. Der Politikwissenschaftler arbeitet für das Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung und weiß die Pädagogen zu beruhigen: „Wir sollten die Kirche im Dorf lassen, ich erlebe das als unaufgeregt.“ Jedenfalls habe er seit Anfang April bislang noch keinen „Kulturbruch in Bergedorf“ ausgemacht, seien nach 20 Uhr keine kiffenden Horden in der Fußgängerzone zu entdecken. Dennoch spricht er sich für ein Konsumverbot in der Öffentlichkeit aus.
Dabei sei ein gestiegener Konsum durchaus zu beobachten. Im Rückblick: Einer Umfrage zufolge gaben im Jahr 1990 genau 7,7 Prozent der 18- bis 24-Jährigen an, sie hätten Cannabis geraucht, im Jahr 2021 waren es bereits 23,9 Prozent. Das sind die jüngsten Zahlen aus dem Epidemiologischen Suchtsurvey und zeigen, „dass auch ein Verbot keine erwachsenen, jungen Menschen davon abgehalten hat“, so Kalke. Er betont, dass unter 1000 befragten Fachkräften aus der Suchtprävention sich 60 Prozent für eine regulierte Abgabe an Erwachsene aussprachen – etwa gekoppelt an ein Werbeverbot, wie es nun auch gilt. „Das würde ich mir auch für Alkohol und Tabak wünschen“, so der Experte aus Geesthacht.
Hamburger Suchtexperte gegen Cannabiskonsum in der Öffentlichkeit
Immerhin seien in Deutschland lediglich die Blüten oder Harz zu verwenden, während in Amerika sogar Kekse, Fruchtgummis und Bier Cannabis enthalten. Für äußerst „fragwürdig“ indes hält der Suchtforscher die deutsche Regelung für die Clubs („Anbauvereinigungen“), die sich ab Juli gründen und maximal 500 Mitglieder haben dürfen: „Die dürfen dann da zusammen Cannabissamen und Stecklinge anbauen, aber nicht zusammen konsumieren. Das macht doch wenig Sinn. Ich hätte da lieber den öffentlichen Konsum verboten“, meint Jens Kalke und zielt damit etwa auf die Vorgabe, dass in Sichtweite von Kindergärten nicht gekifft werden darf.
Zwar wurde Cannabis nun aus dem Betäubungsmittelgesetz herausgenommen, aber weiterhin „haben wir weltweit das strengste Modell“, vergleicht er etwa mit Kanada, Uruguay, Malta oder Luxemburg. Daher erwarte er, dass die Konsumzuwächse hierzulande „sehr gering ausfallen“. Jugendliche würden sicherlich nicht mehr als vor der Legalisierung konsumieren.
Beratungsstelle Kodrobs erwartet keine andere Kundschaft
Das bestätigt auch Corinna Harms von der Bergedorfer Drogenberatungsstelle Kodrobs an der Lohbrügger Landstraße: „Zwar ist Cannabis unser Hauptthema, aber wir haben noch keine Veränderung bemerkt.“ In ihrer Arbeit werde sich wohl auch nicht viel ändern, denn ihr Klientel, das etwa von Gerichten und Bewährungshelfern geschickt werde, sei sowieso minderjährig.
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Die Altersbeschränkung sei besonders wichtig mit der neuen Regelung, findet Wissenschaftler Kalke: „Bei 18- bis 20-Jährigen ist der berauschende THC-Gehalt auf maximal zehn Prozent beschränkt. Das ist gut, da das Gehirn ja erst mit 25 Jahren ausgereift ist.“ Und schließlich hänge die Wirkung von der Menge ab, ähnlich wie beim Alkohol: „Es ist ja ein Unterschied, ob ich mich mit Strohrum besaufe oder ein schönes Glas Rotwein trinke.“
Sechs Millionen Euro für die Prävention
Im Übrigen sei es wichtig, sich über die Inhaltsstoffe zu informieren, etwa über die Seite www.infos-cannabis.de der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), der allein in diesem Jahr sechs Millionen Euro für die Cannabis-Prävention zur Verfügung stehen.
Um direkt in Bergedorf das Thema zu beleuchten, empfehle er einen Runden Tisch, so der Wissenschaftler: „Am besten setzen sich Polizei und Ordnungsamt mal mit der Jugendhilfe zusammen. Es geht ja auch darum, wer die neue Regelung wie und vor allem bitte mit Augenmaß kontrolliert.“