Hamburg. Der Bezirk muss sich auf die neue Gesetzgebung aus Berlin einstellen. Die lokalen Politiker sorgen sich um Kinder und Jugendliche.
Vor dem Bergedorfer Rathaus einfach einen Joint rauchen? Ab 1. April könnte dieses Szenario völlig legal sein, betonte Suchtexperte Jens Kalke bei seinem Auftritt im Sozialausschuss des Bezirks. Der Sozialwissenschaftler vom Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) kündigte nicht weniger als eine Zeitenwende in der Drogenpolitik an – und trieb so manchem Politiker die Sorgenfalten auf die Stirn.
Ab April wird nach den Plänen der Berliner Ampel der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis für Privatpersonen legalisiert werden. Für Christdemokratin Erika Garbers der völlig falsche Weg, wie sie bei der jüngsten Ausschusssitzung klarmachte: „Wenn wir Cannabis freigeben, möchte ich nicht wissen, was in Bergedorf dann im Dunkeln los ist.“ Selbst Linken-Politikerin Maria Westberg betonte: „Exzessiver Genuss von Cannabis kann zu kognitiven Problemen führen.“ Dabei hatte ihre Fraktion im Herbst noch gefordert, Bergedorf zum Versuchslabor beim legalen Kiffen zu machen.
Legales Cannabis: Bergedorf muss sich auf „Zeitenwende“ einstellen
Suchtexperte Kalke machte in der Sitzung klar, dass er die kommende Legalisierung grundsätzlich befürwortet: „Ich begrüße den Abschied vom Cannabisverbot. Es hat mehr Schaden als Nutzen gebracht. Das ist auch der Mainstream der Forschung.“ Die negativen Entwicklungen der Vergangenheit, wie höhere Konsumentenzahlen und immer potentere Drogen seien schließlich geschehen, obwohl Cannabis illegal sei.
Daten aus Kanada und den USA, wo Cannabis in zahlreichen Bundesstaaten komplett legalisiert wurde, zeigen: Es konsumieren zwar mehr Erwachsene Haschisch und Marihuana, doch die gesundheitlichen und sozialen Probleme des Drogengebrauchs werden nicht größer. Für Kalke ein Indiz dafür, dass mehr volljährige Menschen die Legalisierung nutzen, um gelegentlich einen Joint zu rauchen – ohne die Kontrolle zu verlieren. „Bei Kindern und Jugendlichen geht der Konsum teilweise sogar zurück. Vielleicht, weil der Reiz des Verbotenen schwindet“, so der UKE-Forscher.
Allerdings: Die Drogenprävention bei Heranwachsenden hält auch der Suchtexperte für eine große Herausforderung. „Die Hirnreifung ist erst mit 25 Jahren beendet – Kinder und Jugendliche sollten auf jeden Fall die Finger davon lassen“, sagte Kalke deutlich. Für CDU-Frau Garbers nicht genug. „Auch wenn mir Hunderte Ärzte und Wissenschaftler sagen, dass die Legalisierung eine gute Sache ist – ich glaube das nicht.“ Viele Gespräche mit Eltern und Großeltern hätten ihr gezeigt, dass Cannabis eine Einstiegsdroge sei.
Jugendarbeit im Bezirk bereitet sich auf neue Gesetzeslage vor
Um den Jugendschutz zu gewährleisten, sah der Gesetzesentwurf der Ampel ein Konsumverbot im Abstand von 200 Metern von Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen, Spielplätzen sowie Sportstätten vor. In Fußgängerzonen darf nur nach 20 Uhr und vor 7 Uhr Cannabis eingenommen werden. Wird die Abstandsregel in dicht besiedelten Großstädten wie Hamburg konsequent umgesetzt, bleiben zumindest im Zentrum kaum Bereiche zum legalen Cannabiskonsum übrig.
Außerdem dürfte die Umsetzung des Verbots für die Polizei zum organisatorischen Alptraum werden. „Ich glaube nicht, dass alle Polizisten jeweils die exakten Abstände zur nächsten Kita im Kopf haben“, sagte Kalke. Die Bannzone soll deswegen jetzt auf 100 Meter gesenkt werden.
Vermutlich ab 1. Juni sollen dann in Deutschland auch Cannabis-Clubs gegründet werden, deren Mitglieder das Rauschmittel für den Eigenbedarf anbauen können. „Solche Clubs werden sicherlich auch in Bergedorf entstehen“, betonte Kalke. Der UKE-Experte hält diese Regelung für sinnvoller, als den Markt für den Verkauf einfach vollständig zu öffnen, wie in den USA geschehen. Auf Nachfrage von Grünen-Politiker Heribert Krönker machte der Sozialwissenschaftler dennoch Hoffnung, dass die Legalisierung den Schwarzmarkt zumindest teilweise austrocknen werde: „Ganz verschwinden wird der illegale Verkauf aber nicht. Das zeigen die Erfahrungen aus anderen Ländern.“
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Die Jugendarbeit in Bergedorf hat das Thema bereits auf dem Schirm. Stefan Baumann vom Verein „In Via Hamburg“, der die beiden Jugendzentren Clippo in Boberg und Lohbrügge betreibt, berichtet, dass sich die offenen Träger der Kinder- und Jugendarbeit im Bezirk demnächst zusammensetzen werden. Dann werde beraten, wie Suchtprävention unter den neuen Bedingungen gelingen könne. Ob die Legalisierung eine positive Entwicklung ist, hält Baumann für schwer zu beurteilen. In den Jugendzentren des Vereins wird bekifftes Erscheinen weiterhin ein No-Go sein, genau wie der Konsum von Alkohol.
Der Vorstoß der Linken vom Herbst 2023 ist übrigens vom Tisch. Die Fraktion zog ihren Antrag zurück, in dem sie gefordert hatte, dass sich Bergedorf als Modellkommune für die zweite Stufe der Legalisierung – also den Verkauf von Cannabis in Geschäften unter wissenschaftlicher Aufsicht – bewirbt. Der Grund: Die Einführung dieser zweiten Stufe steht noch in den Sternen und muss unter anderem noch von der EU-Kommission geprüft werden. Außerdem betonte die Verwaltung, dass sich nur die gesamte Stadt Hamburg für dieses Projekt bewerben kann. Ein Bergedorfer Alleingang ist nicht möglich.