Hamburg. Vor allem 15- bis 17-Jährige konsumieren mehr und stärker, haben Suchtberater von Kodrobs erfahren. Sie warnen vor zwei Entwicklungen.

Die Bergedorfer Jugend-Suchtberater sind alarmiert: Zwar habe man vergangenes Jahr etwas weniger Klienten gezählt, aber „die 15- bis 17-Jährigen konsumieren umso mehr und stärker“, erfuhren Corinna Harms und Max Hieber von Kodrobs an der Lohbrügger Landstraße 6. Die beiden waren an vielen Bergedorfer Schulen unterwegs – und warnen vor einem gefährlichen Trend: Dem Mischen verschiedener Drogen.

Sind fünf Ecstasy-Pillen eine Überdosis? Sind Benzos, also Benzodiazepine als Beruhigungsmittel, gefährlich? Darf man sie zusammen mit Alkohol nehmen? Kann man sie denn zusammen mit Opioiden wie Tramadol, Tilidin oder Codein mischen? Solche Fragen stellen einige Schülerinnen und Schüler in den Fragerunden in den achten und neunten Klassen, bei denen die Lehrer nicht dabei sein dürfen, berichten die Suchtberater. Sie klären auf und betonen, dass man nie alleine sein soll, wenn man nicht einschätzbare Substanzen konsumiert.

Suchtberater warnen vor gefährlichem Drogentrend unter Jugendlichen

Die Schülerinnen und Schüler nähmen betäubende und angstlösende Tabletten, um ihren stressigen Alltag zu dämpfen, der sie überfordere, wissen Corinna Harms und Max Hieber. Und berichten von einem weiteren gefährlichen Trend: Dem Missbrauch von E-Zigaretten. „Es gab einige Vorfälle. Einmal musste eine 15-jährige Schülerin sogar ins Krankenhaus, weil sie das Cannabinoid HHC, das man in E-Zigaretten raucht, geschluckt hat“, sagt Hieber. Er weiß, dass andere Schüler das halbsynthetische Liquid auch vom Handrücken ablecken: „Das geht gar nicht, denn die psychoaktive Substanz kann Herzrasen und paranoide Schübe auslösen“, warnt der 26-Jährige.

Was gibt es noch, dass dir Spaß im Leben macht? Was brauchst du, damit es dir auch ohne Drogen gut geht? „Manche erinnern sich, dass sie gern malen, Sport machen oder mit ihrem Haustier schmusen“, erzählt Jugendsuchtberaterin Corinna Harms, die am jedem letzten Donnerstag im Monat zur Sprechstunde von 14 bis 16 Uhr im KulturA an der Otto-Grot-Straße einlädt. In Neuallermöhe wohnen mit 26 Prozent die meisten ihrer Klienten, aber auch das Bergedorfer Kerngebiet ist mit 25 Prozent dabei, etwa 17 Prozent kommen aus Lohbrügge.

Drogen: Cannabis-Konsum betrifft mehr als die Hälfte der Suchtkranken

77 junge Menschen mit einer Suchtproblematik (38 Prozent unter 18 Jahren), dazu 50 Personen aus deren sozialem Umfeld, meldeten sich im vergangen Jahr. Das Hauptthema bleibe mit 44,7 Prozent der Cannabis-Konsum, wenn es auch im Vorjahr noch 54,1 Prozent waren. Eine offene Szene gibt es dafür im Bezirk nicht. Man trifft sich zur Übergabe in Hauseingängen oder in einem Auto: „Der Treffpunkt wird oft über eine Telegram-Gruppe ausgemacht, wo man die Telefonnummern austauscht“, sagt Hieber.

Auf Cannabis folgt mit 18,8 Prozent der Alkohol (Vorjahr: 16,5 Prozent) – die Jugendlichen trinken meist Wodka und Bier. Die Männer sind im Durchschnitt 19,3 Jahre alt, bei den jungen Frauen sind es 17,3 Jahre. „Die Mädchen gestehen sich eine Sucht früher ein. Und es fällt bei ihnen auch leichter auf, weil sie mehr unter Aufsicht stehen“, denken die Suchtberater, denen die Schülerinnen oft von mehreren Problemen berichten, da sie zudem Essstörungen haben, sich ritzen und oft die Schule schwänzen.

Angehörige sorgen sich um Alkoholkranke

Während es die beiden Jugendberater zu 93,9 Prozent mit deutschen Suchtgefährdeten zu tun haben, berichtet Bianca Kunze von 33,6 Prozent Nicht-Deutscher, was dem Bevölkerungsanteil der Bergedorfer mit Migrationshintergrund entspricht. Kunze leitet bei Kodrobs das Team von sechs Beratern für Erwachsene. Normalerweise sprechen sie jährlich 550 bis 600 Menschen an, in 2022 waren es lediglich 317 Betroffene. Sie erklärt dies mit einem hohen Krankheitsstand aufgrund von Corona.

Kostenlos, vertraulich und auf Wunsch auch anonym können jetzt wieder Termine vereinbart werden, ist auch der offene Bereich uneingeschränkt zugänglich. Weiterhin stellt der Alkohol mit 58,7 Prozent das größte Suchtproblem dar, so schilderten es auch die 49 Angehörigen, die Rat suchten. Ein Großteil von ihnen (85,7 %) sind Frauen, die „das Problem lange leugnen und manchmal sehr spät, erst nach fünf bis zehn Jahren zu uns kommen, dann aber eine schnelle Lösung wünschen“, sagt Kunze. Sie muss oft erklären, dass die Sucht zunächst als Krankheit akzeptiert werden muss. Das ist natürlich nicht leicht, wenn etwa häusliche Gewalt im Spiel ist, Kinder im Haushalt leben oder gar Existenzangst herrscht, weil es schon eine Abmahnung vom Arbeitgeber gab.

Erwachsene Süchtige konsumieren mehr Kokain

Während der Cannabis-Konsum bei den Bergedorfer Erwachsenen mit 13 Prozent eher rückläufig war im Vergleich zum Vorjahr, habe der Kokain-Konsum sogar „stark zugenommen“, so Kunze: „Der liegt jetzt bei 12,7 Prozent, im Vorjahr waren es 10,6 Prozent.“ Als mögliche Erklärung gilt auch hier der Leistungsdruck, Kokain hat eine aufputschende Wirkung. Das Durchschnittsalter der Betroffenen lag bei 45,1 Jahren. Aus den Schilderungen der Angehörigen ging zudem hervor, dass zunehmend Opioide in Medikamenten genommen werden: „Das war zu 18,8 Prozent der Fall, im Vorjahr lag dieser Wert noch bei nur 4,3 Prozent. Das ist also ein deutlicher Anstieg“, sagt die Suchtberaterin.

Neu für erwachsene Angehörige wird nun eine Selbsthilfegruppe angeboten, die sich jeden Dienstag von 15 bis 16.30 Uhr trifft. Wer dabei sein will, sollte ein Vorgespräch vereinbaren. Ebenfalls neu ist ein Angebot, bei dem die Ohren akupunktiert werden. Das soll ausgleichend wirken, bei Schlafstörungen beruhigen und den Suchtdruck beim Entzug lindern. „Bedürftige zahlen pro Sitzung nur 1,50 Euro“, wirbt Bianca Kunze für den Dienstagstreff zwischen 11 und 12 Uhr. Hierfür ist eine Anmeldung erforderlich unter Telefon 040/721 60 38.