Bergedorf. Bergedorfs neue Jugend- und Sozialdezernentin verspricht Handlungssicherheit. Was die Chefin von 300 Mitarbeitern umtreibt.
Hinter welchem Busch, genau 100 Meter vom Hauseingang entfernt, darf jetzt eigentlich gekifft werden? Das werden derzeit alle gefragt, die in Bergedorfs Jugendtreffs arbeiten oder im Kinderhaus St. Elisabeth: „Wir brauchen Kiffer-Regeln, am besten mit genauer Umgebungskarte für jede Einrichtung“, regt Maren Liedtke vom Lohbrügger Mädchentreff an: „Mit einer offiziellen Handreichung könnten wir auch besser die Nachbarn aufklären und die Situation entschärfen.“
Das könne sie total gut verstehen: „Man braucht Handlungssicherheit, daher wird das Gesundheitsamt jetzt eine Karte erstellen“, verspricht Anke Jungblut im Jugendhilfe-Ausschuss. Die 51-Jährige ist die neue Chefin von knapp 300 Mitarbeitenden im Bergedorfer Rathaus, entscheidet über alles Geschehen im Jugendamt, im Sozialamt und im Gesundheitsamt. Auch das Sozialraummanagement gehört dazu, also alles, was die Rise-Stadtteilförderung betrifft, die Seniorenarbeit sowie sportliche und kulturelle Angebote im Bezirk.
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Ein riesiges Themenfeld also, das die Dezernentin zu beackern hat – und dabei „bitte nur sinnvolle Regeln“ akzeptiert. „Es ist wichtig, die überbordende Bürokratie etwas einzudampfen.“ Im Wandsbeker Jugendamt, das sie zuletzt acht Jahre lang leitete, sei es vielfach auch darum gegangen, „neue Regeln zu verhindern, wenn sie nicht dem praxisorientierten Kinder- und Jugendschutz helfen“.
Da trifft es sich bestens, dass die Frau nicht bloß eine akademische Schreibtischtäterin ist: „Ich hab zwar drei Semester Jura studiert, aber das war mir zu trocken. Dann bin ich in die Sozialpädagogik gewechselt, mit Schwerpunkt soziales Management.“ Nach dem FH-Studium ging es tatkräftig weiter, samt Blutzucker messen und Kompressionsstrümpfe anziehen: „In Bramfeld war ich sieben Jahre lang Geschäftsführerin eines ambulanten Pflegedienstes. Da musste man schon ordentlich wirtschaften, damit für die Mitarbeiter auch ein Weihnachtsgeld drin ist.“
Einblick in beengte und meist ärmliche Hochhauswohnungen
Von den Alten wechselte sie zu den Jungen, als Honorarkraft für den Mädchentreff in Steilshoop. Und da ging es nicht nur um Nagellack und rosa Wände: „Beeindruckt hat mich, dass mehr Rohkost als Süßigkeiten gegessen wurde. Davon gab es wahrscheinlich zu Hause genug“, erzählt Jungblut – und hatte oft Einblick in die beengten und meist ärmlichen Hochhauswohnungen der etwa 22.000 Einwohner.
„,Steili‘ hat mich sozialisiert“, sagt die 51-Jährige, die in diesem Quartier sieben Jahre lang eine Abteilung des Allgemeinen Sozialen Dienstes geleitet hat: „Wir dürfen nicht bloß an Beratungsstellen weiterverweisen. Wir müssen mehr raus in die Stadtteile und direkt zu den Familien“, war stets ihre Devise.
Neue Dezernentin ist ein Fan des FC St. Pauli
Und sie nennt ein „beeindruckendes Beispiel“ für diesen Job, der stets ausloten muss zwischen dem Autonomiewunsch der Eltern und dem Wächteramt in Sachen Kinderschutz: „Wir hatten eine geistig Behinderte, die unbedingt ihre Tochter zur Welt bringen und großziehen wollte. Das haben wir tatsächlich mit einer hochfrequentierten, ambulanten Betreuung geschafft. Das war wirklich rührend.“
Mit Augenmaß handeln, auf Augenhöhe reden – das ist typischer Pädagogen-Sprech. Und Anke Jungblut kann offenbar gut diplomatisch und direkt zugleich sein. Obwohl: „Soll ich wirklich sagen, dass ich ein Fan von St. Pauli bin?“, fragt sie unsicher den Bergedorfer Rathaussprecher. Dabei hängt doch längst ein Poster von Kapitän Jackson Irvine an ihrer Bürotür. Gleich neben dem Tisch, auf dem ein Glas voller Kinderschokolade steht.
Straßensozialarbeiter seien auch virtuell denkbar
„Gutes Aufwachsen und Leben in Bergedorf“ sei ihr Berufsziel. Das gilt auch privat: Erst vor vier Jahren zog sie von Alsterdorf in ein Neuallermöher Reihenhaus: „Wir sind eine fröhliche Patchworkfamilie mit drei Kindern zwischen sieben und 23 Jahren“, sagt sie lachend. Auch wenn wohl nicht alle in der Familie auf ihren geliebten schwedischen Folkrock von „The tallest man on earth“ stehen: Sie alle genießen gemeinsame Ferientage in der Provence.
Hobbys? Anke Jungblut schwingt sich gern aufs Rennrad und manchmal auch auf einen Haflinger-Mix, den sie sich als 18-Jährige gemeinsam mit einer Freundin kaufte: „Das Pferd ist schon 35 Jahre alt, hat keine Zähne mehr und frisst nur Brei.“
Fachkräftemangel in der offenen Kinder- und Jugendarbeit ist ein großes Problem
Selbst aber wird sie hartes Brot nicht vermeiden können in Zeiten klammer Kassen: Da sind etwa die vielen Flüchtlinge in Bergedorf, die zeitlich aufwendig mit Dolmetschern betreut werden müssen („für die sozialräumliche Integration ist schon ein finanzieller Mehrbedarf angemeldet“), da gibt es den großen Ärztemangel in Bergedorf („insbesondere fehlen Kinderärzte, vielleicht lässt sich eine mobile Sprechstunde wie in Wandsbek einrichten“).
Ein Riesenproblem sei auch der Fachkräftemangel in der offenen Kinder- und Jugendarbeit, die gestärkt werden müsse. Wobei ergänzend auch „virtuelle Straßensozialarbeiter“ denkbar seien: „Viele Kids sind sowieso nicht mehr auf der Straße, sie hängen lieber zu Hause vor dem PC ab.“
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Die Quartiere sollten vorgeben, was ihnen fehlt und was sie haben wollen, so die Diplom-Sozialpädagogin: „Wir müssen gemeinsam vor Ort gucken und kreative Ideen entwickeln.“ Wobei zugleich auf Kosten und Ergebnis zu achten sei, denn: „Hilfen müssen wirken, auch wenn sie teuer sind.“ Ihre Parole: „In Bergedorf soll niemand allein im Regen stehen.“