Hamburg. Marktkauf-Center testet das reizarme Einkaufen im Lohbrügger Supermarkt. Warum viele Menschen davon profitieren könnten.
Es klingt fast wie Werbung für eine Wellness-Oase: Die Beleuchtung wird gedimmt und alle Monitore ausgestellt. Alles, was sonst ständig blinkt und piept, soll ausgeschaltet werden. Sogar die oft nervenden Geräusche an den Kassen werden verstummen. Stefanie Pieles aus der Centerverwaltung lädt neugierige Käufer für Montag, 11. März, ins Marktkauf-Center an der Alten Holstenstraße ein: Von 8 bis 9 Uhr gibt es eine „stille Stunde“ – eine Idee der Inklusion.
Wenn keine Musik erklingt und keine Durchsagen über die Lautsprecher kommen, ist das nicht nur angenehm für psychisch belastete und hektische Menschen, die schnell gestresst sind. „Wir möchten nicht eine bestimmte Gruppe von Menschen ansprechen, sondern generell alle, die von einem reizarmen Einkaufen profitieren. Dazu gehören beispielsweise Hochsensible oder an Autismus oder an Demenz erkrankte Personen“, meint Pieles.
In der „stillen Stunde“ gibt es nur wenige Geräusche im Supermarkt
Sie hofft, dass auch möglichst wenig geräumt werden muss, damit zum Beispiel auch keine Geräusche durch die Bewegung von Hubwagen entstehen. Pieles: „Andere Edeka-Märkte haben die ,stille Stunde‘ schon ausprobiert und gute Erfahrungen gemacht. Aus Rostock weiß ich, dass es dort jetzt auch nachmittags eingeführt wurde, also zweimal am Tag. Das kommt gut an.“
Gespannt sind Edeka-Geschäftsführer Marcel Besang und Lohbrügges Marktkauf-Manager Martin Bo Ahlers, wie die Kunden das stille Einkaufen empfinden werden. Sie haben auch Bergedorfs Bezirksamtsleiterin Cornelia Schmidt-Hoffmann eingeladen. Dazu kommt Jana Borutta, die in der Bergedorfer Verwaltung für das Gesundheitsförderungsmanagement zuständig ist – und von der „großartigen Idee“ schwärmt: „Eigentlich weiß ich gar nicht, warum die Kassen überhaupt piepen müssen. Ist doch toll, wenn es weniger Reizüberflutung gibt. Das hilft sowohl Menschen, die mit kleinen Kindern einkaufen gehen als etwa auch pflegenden Angehörigen, die mit einem Demenzkranken unterwegs sind.“
Bislang gibt es ein solches Angebot noch nicht in Hamburg, wohl aber haben sich Edeka-Läden in Brandenburg, Hessen und Niedersachsen der Idee angeschlossen, auch eine Stadtbibliothek in Rheinland-Pfalz zählt zu den Pionieren, Optiker und Fitnessstudios. Wer mitmachen möchte, kann sich einfach beim Limburger Verein „gemeinsam zusammen“ registrieren, der für Unternehmen auch professionelle Werbemittel bereithält – beispielsweise auch für die Aktion „silent cut“, wenn Friseursalons während des Schneidens das Telefon abstellen und möglichst leise Haarschneidemaschinen benutzen.
Idee für die „stille Stunde“ stammt aus Neuseeland
Auf der Webseite des Vereins ist dann auch zu erfahren, dass die Idee für die „Quiet Hour“ von Theo Hogg kommt. Der Angestellte im neuseeländischen Supermarkt „Countdown“ hat ein autistisches Kind: „Kaum jemand weiß, dass Fachkräfte jahrelang mit ihren autistischen Klienten üben, damit sie überhaupt einkaufen gehen können. Kaum jemand weiß, dass viele Eltern neurodivergenter Kinder nur dann zum Spielplatz gehen, wenn sie hoffen, dass niemand da ist. Es ist ein verstecktes Leid – leise, angepasst und hinter verschlossenen Türen.“
„Für mindestens eine Stunde in der Woche werden Sie für einige Menschen einen großen Unterschied machen“, wirbt Vereinsvorsitzende Anne Olschewski bei Geschäftsleuten für Inklusion und Teilhabe: „Supermärkte wie Tesco in Großbritannien bieten die ,stille Stunde‘ flächendeckend und täglich morgens an.“ Sie sei ganz sicher, „dass mittelfristig, diese Art der Inklusion selbstverständlich sein wird“.
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Darauf setzt auch Lohbrügges Edeka-Geschäftsführer Marcel Besang, der jetzt schon mittwochs einen Rentnerrabatt von fünf Prozent gewährt. Für die stille Stunde hat er nun den Elektrikern gesagt, dass die volle Beleuchtung bitte auf eine Zweidrittel-Automatik gedimmt wird. Zudem kennt er die drei Knöpfe, um das Piepen an den Kassen auszuschalten („der Ton hilft der Kassiererin, die dann nicht ständig aufs Display gucken muss“). Jetzt gelte es, die Resonanz abzuwarten: „Aber vielleicht muss sich das Angebot auch erst einmal herumsprechen. Ich möchte jedenfalls künftig jeden Montagmorgen eine stille Stunde anbieten.“