Hamburg. Es wird im Bezirk zu wenig an Menschen mit Beeinträchtigungen gedacht, findet Sonja Bahr und sucht Interessierte für das neue Gremium.
Warum hat man nicht einfach von Anfang an auch an behinderte Menschen gedacht? Diese Frage kam auf, als Bergedorfs Polizeiwache an die Wentorfer Straße umgezogen ist – und ein Schild fehlte, das auf den barrierefreien Hintereingang verweist. „Es will doch keiner auf der Straße stehenbleiben, um eine Anzeige zu erstatten. Ist doch klar, dass auch behinderte Menschen in die Wache hineinwollen“, meint Sonja Bahr. Sie ist die neue Vorsitzende der Bergedorfer Behinderten-AG (BAG), die nun auch bei der Inklusionskonferenz im Bergedorfer Rathaus teilnahm.
Und hier wurde deutlich: Auch die Verwaltung muss „stets Inklusion mitdenken“ – und zwar selbstverständlich: „Es ist doch schade, wenn man immer extra auf das Thema stupsen muss“, findet die 43-Jährige, die einen Inklusionsbeirat in Bergedorf etablieren möchte.
Inklusionsbeirat Bergedorf für bessere Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen
So waren Rathaus-Mitarbeiter und Politiker dabei, um in drei Gruppen die Problemfelder zu diskutieren – samt Schrift- und Gebärdendolmetscher sowie einem Dolmetscher für leichte Sprache. Denn auch die Verwaltung wünscht sich Beratung, wenn etwa Vorschriften in einfachen, leicht verständlichen Sätzen formuliert werden sollen. Ziel ist stets eine bessere Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen.
Da geht es also um abgesenkte Bordsteine und um Fahrstühle, die breit genug sind für einen Elektro-Rollstuhl. Es geht um blindengerechte Ampeln (die piepen) und den öffentlichen Nahverkehr. Es geht um Bergedorfer Ärzte, die bloß über Stufen erreichbar sind oder eine für Rollstuhlfahrer schwer zu öffnende Tür haben. „Da ist noch viel Luft nach oben“, meint Bahr und überlegt, einen Stadtplan zu entwerfen, der Positives auflistet, so etwa auch Toiletten in Bergedorfer Restaurants, die barrierefrei erreichbar sind: „Es geht stets darum, dass die betroffenen Menschen ihr Leben selbstständiger bewältigen können.“
Bezirk Wandsbek ist Vorreiter in Hamburg
Von seinen Erfahrungen konnte der Bezirk Wandsbek berichten, der als erstes in Hamburg einen Inklusionsbeirat einrichtete. „Auch in Nord bildet sich gerade ein solches Gremium, und Harburg hat ebensolche Bestrebungen“, weiß Sonja Bahr, die auch Bemühungen aus Eimsbüttel und Hamburg-Mitte kennt. Sie hofft, dass bald auch im Bezirk Bergedorf ein solches ehrenamtliches Gremium drei- bis viermal jährlich tagt. Insbesondere Betroffene sind zur Mitarbeit aufgefordert, sie können ins BAG-Büro im Marktkauf-Center kommen (dienstags von 10 bis 12 Uhr, Alte Holstenstraße 30) oder eine Mail schreiben an info@bag-bergedorf.de.
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Bergedorfer Tor bietet Wohnraum für 25 beeinträchtigte Menschen
Derzeit engagieren sich elf Mitgliedervereine und zwei Einzelpersonen in der Bergedorfer Behinderten-Arbeitsgemeinschaft, die immer mehr psychisch Kranke berät, auch viele Anfragen an Wohn- und Arbeitsplätzen registriert. Damit kennt sich Sonja Bahr gut aus. Sie ist Fachwirtin für Sozial- und Gesundheitswesen, leitete eine Seniorenresidenz in Ratzeburg und die Verwaltung einer geriatrischen Reha-Einrichtung, bevor sie nach Bergedorf kam.
Hier übernahm sie 2020 die Stadtteil-Leitung für ihren Arbeitgeber „Leben mit Behinderung GmbH“, der soziale Dienste anbietet und aktuell mit 14 Mitarbeitern 65 Klienten aufsucht. Dazu betreibt der Träger eine Tagesstätte am Rahel-Varnhagen-Weg in Neuallermöhe und acht Wohneinrichtungen im Bezirk Bergedorf. Eine davon leitet Sonja Bahr: Am Ludwig-Rosenberg-Ring leben zwölf Klienten mit geistigen Behinderungen.
Eine weitere Einrichtung möchte sie im Frühjahr an der Stuhlrohrstraße eröffnen: Im Bergedorfer Tor werden auch 25 Menschen mit geistigen Behinderungen einziehen, in Dreier-Gemeinschaften, als Single oder in Zweier-Wohnungen. Ihnen wurde etwa eine Lernentwicklungsstörung, Autismus oder eine Hirnschädigung diagnostiziert. Jedenfalls brauchen sie Hilfe im Haushalt und beim Einkaufen. „Manche haben 40 oder 50 Jahre bei ihren Eltern gewohnt, die jetzt zu alt für die Betreuung sind“, meint Bahr und betont, dass das Wohnen mit Assistenz auch stets eine Nachtbereitschaft biete.