Bergedorf. Am Achterdwars sollen bis zu 83 Männer von der Straße ihren Lebensabend verbringen können. Was die Einrichtung einzigartig macht.
Die Bockwurst liegt warm auf dem Teller, das Graubrot ist in kleine Vierecke geschnitten. Während der Fernseher läuft, guckt Jürgen Zschiesche aus dem Fernster in den sonnigen Hof: „Ich bin wirklich sehr gerne hier, schon seit acht Jahren“, sagt der Mann, der 52 Jahre lang in Hamburg als Taxifahrer unterwegs war. Angekommen ist er am Achterdwars: „Das ist jetzt mein Zuhause“, meint der älteste Bewohner des Bergedorfer Männerwohnheims.
Zschiesche ist immerhin schon 82 Jahre alt – und passt damit perfekt in die Zielgruppe für das neue Konzept. Betreiber Fördern & Wohnen möchte nämlich kräftig umbauen, damit sich die öffentlich-rechtliche Wohnunterkunft an die Realität anpasst: „Eigentlich bewilligt die Fachstelle einen Platz nur befristet für ein Jahr, aber viele Männer leben hier schon viel länger und wollen hier in ihrem Zuhause auch sterben“, sagt Jörg Konow, der die Unterkunft, im Bezirk wegen ihrer Fensterrahmen auch die „Blaue Lagune“ genannt, seit einem Jahr leitet.
Wohnung Hamburg: „Lebensplätze“ für obdachlose Senioren
Ein „Hamburger Jung“ lebe beispielsweise schon seit 1998 im Haus. Er ist der erste, der einen der neuen 83 „Lebensplätze“ erhalten solle. Vorbild ist ein Haus in München, in dem 26 ältere, obdachlose Frauen seit 2011 in eigenen, kleinen Appartements wohnen. „Für Männer wird das unbefristete Wohnen bei uns deutschlandweit erstmalig sein“, meint Teamleiter Konow, der hofft, dass die nötigen Umbauarbeiten noch in diesem Jahr beginnen können.
Geplant ist, dass zunächst das mittlere der drei Häuser umgebaut wird, damit die meisten Bewohner ein barrierefreies Einzelzimmer bekommen – wer mag, mit Kochnische. Im Anschluss soll „Haus 13“ umgebaut werden, das sogar einen Aufzug bekommt, denn hier wird die zweite Etage noch um ein Sattelgeschoss erweitert. So entstehen insgesamt 16 bis 19 Quadratmeter große Zimmer. Dazu ist ein Abschiedsraum geplant sowie ein Treffpunkt im Atrium – derzeit gibt es nämlich keine Gemeinschaftsräume.
Das Konzept ist aber auch deshalb außergewöhnlich, weil die Männer „besonders geschützt“ werden: „Das Gelände ist bereits mit einem Zaun eingefriedet. Künftig soll es einen 24-Stunden-Pförtnerdienst geben, ist also immer jemand von Fördern & Wohnen ansprechbar“, erklärt Sozialökonom Jörg Konow. Und wie reagieren die Bewohner? „Ich glaube, sie freuen sich drauf. Wobei sie ja eher nicht euphorisch sind, sondern vieles schon einfach hinnehmen mussten“, weiß Konow um manch trauriges Schicksal der Obdachlosen.
Obdachlose: Ärzte und Sozialarbeiter kümmern sich um Senioren
Insgesamt vier Sozialarbeiter werden sich um die Senioren kümmern, die suchtkrank sind und nicht behandelt werden wollen, schwer verwahrlost und/oder so wenig sozialkonform, dass sie in keinem üblichen Alten- oder Pflegeheim zurechtkämen. Schon jetzt ist die Sozialstation der Diakonie vor Ort, gibt es wöchentlich eine allgemeinmedizinische Sprechstunde. Dazu kommt alle zwei Wochen aus der Bethesda-Klinik der Leitende Oberarzt für Psychiatrie und Psychotherapie vorbei.
Weitere Hilfen sollen künftig zwei Hauswirtschaftskräfte bieten (für den Teilzeitjob werden gern auch Männer gesucht): „Die Bewohner werden dabei unterstützt, ihr Zimmer sauber zu halten oder ihre Wäsche zu machen, auch können sie zum Arzt oder Amt begleitet werden“, sagt Susanne Schwendtke. Was das neue Konzept kosten wird, kann die Sprecherin von Fördern & Wohnen mit Blick auf die schwankenden Baukosten derzeit nicht sagen: „Erst wenn alle Gewerke beauftragt sind, können wir die Gesamtkosten beziffern.“
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Auch Hamburgs Sozialbehörde weiß, dass das Haus aktuell nicht mehr voll ausgelastet ist: Für die geplanten „Lebensplätze“ sind manche Umzüge geplant, aber das vordere „Haus 7“ soll wie gewohnt bleiben: Das sind etwa 50 von aktuell 160 Plätzen, die weiterhin befristet für die öffentlich-rechtliche Unterbringung zur Verfügung stehen – und derzeit auch mit Internet ausgestattet werden.
Wohnung Hamburg: Leiter will ehrenamtliches Engagement stärken
Bloß das ehrenamtliche Engagement im Männerwohnheim ist nicht stark ausgeprägt, bedauert Jörg Konow: „Unser Klientel ist auch nicht gerade leicht zu händeln, aber ich will ein paar Ausflüge planen, vielleicht ins Rathaus.“ Außerdem hat der HSV-Fan noch eine andere Idee, denn bei Heimspielen bleibe vom leckeren Catering, das in die Logen serviert werde, immer etwas übrig.
„Vielleicht findet sich jemand mit Auto, der das Essen an Spieltagen im Stadion abholt und zu uns bringt“, überlegt der Sozialökonom – und nahm bereits Kontakt zur Bergedorfer Freiwilligen-Agentur auf. Wer also Interesse hat, kann sich im Körberhaus an der Holzhude 1 melden, gern auch unter Telefon 040/72 57 02 75.