Hamburg. Die Sturmflut im Februar kostet 315 Hamburger das Leben. Auch in den Marschlanden brechen Deiche. Doch 1962 hat mehr bewegende Momente.

Im Jahr 1962 werden die Nachrichten in der Bergedorfer Zeitung von einem Thema beherrscht, denn eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes erschütterte Hamburg. In der Nacht zum Sonnabend, 17. Februar, brechen bei einer schweren Sturmflut an mehreren Stellen die Deiche, auch in Ochsenwerder und in Moorfleet. Teile der Marschlande – in Ochsenwerder, Billwerder, Allermöhe und Moorfleet – werden überflutet. In Hamburg sterben 315 Menschen, die meisten von ihnen im besonders schwer betroffenen Wilhelmsburg.

„Flutchaos in Hamburg“ und „Deichbrüche in den Marschlanden“ titelt die Bergedorfer Zeitung in roter Farbe bereits in der Wochenendausgabe 17./18. Februar. „Von Howe abwärts bis nach Moorfleet sind die Deiche überall ‚angeknabbert‘. An zwei Stellen ist der Deich gebrochen und das Wasser strömt in die Marsch. In Moorfleet ist vor allen Dingen die Siedlung am Funkturm überschwemmt. Das Wasser steht bis zum Mittleren Landweg, überall werden in großer Eile Menschen evakuiert“, schreiben damals die Kollegen. Erstmalig war auch der Elbtunnel von einer Flut unter Wasser gesetzt worden.

Februar 1962: Hamburg geht in den Fluten unter

„Noch über 20.000 eingeschlossen“ heißt es am Montag, 19. Februar. „Wilhelmsburg gleicht einem Schlachtfeld/75 000 Obdachlose“ ist in der Unterzeile zu lesen. Bis dato waren in Hamburg erst 117 Tote gefunden worden. „Die furchtbarste Überschwemmungskatastrophe seit über 100 Jahren brach in der Nacht zum Sonnabend über die Hansestadt Hamburg ein. Von Orkan-Böen gepeitscht, erreichte das Hochwasser eine Höhe von über vier Metern und überspülte Deiche und Elbniederungen.“ Die Berichte über die Katastrophe erstrecken sich über neun Seiten. Am Tag darauf ist die verheerende Flut erneut Thema auf dem Titel und auf sechs weiteren Seiten. Auch Fotostrecken dokumentieren die Rettungsarbeiten. „Der Ausnahmezustand dauert an“ oder „Moorfleet, Stätte des Grauens“ lauten die Überschriften, fast täglich wird die Zahl der Toten nach oben korrigiert.

Auf dem Alten Landweg in Billwerder stand das Wasser 2,20 Meter hoch.
Auf dem Alten Landweg in Billwerder stand das Wasser 2,20 Meter hoch. © Thomas Heyen/Kurt Schröder | Kurt Schröder

In der Ausgabe vom 21. Februar ist die Katastrophe in den unteren Teil der Titelseite gerutscht: „Weltraumflug stürmisch umjubelt“ heißt die Hauptgeschichte auf der Titelseite. Die Rede ist von der dreimaligen Erdumrundung eines US-Astronauten in einer Mercury-Kapsel. Auf Seite 3 dann ein Foto von Franz-Josef Strauß: Der Bundesverteidigungsminister war mit einem Hubschrauber in Boberg gelandet. „Nach fünf Minuten flog sein kleiner Helikopter weiter, anderen Stützpunkten des Katastrophendienstes entgegen“, ist unter dem Schwarz-Weiß-Foto zu lesen. Hubschrauber waren tagelang auf dem Segelflugplatz gelandet und gestartet, um lebenswichtige Versorgungsgüter an die Süderelbe zu befördern. Von einer „Luftbrücke“ ist die Rede. Auf der Seite „Aus dem Heimatgebiet“ dann die gute Nachricht: „Das Wasser läuft ab . . .“. An zwei Stellen zwischen S-Bahn-Damm und Billwerder Billdeich floss das Wasser aus dem riesigen „Staubecken“ in die untere Bille.

100.000 Menschen trauern auf dem Rathausmarkt

Franz-Josef Strauß, damals Verteidigungsminister, ist am 20. Februar in Boberg gelandet, um einen Stützpunkt des Katastrophendienstes zu inspizieren.
Franz-Josef Strauß, damals Verteidigungsminister, ist am 20. Februar in Boberg gelandet, um einen Stützpunkt des Katastrophendienstes zu inspizieren. © Thomas Heyen | Thomas Heyen

Am 23. Februar berichtet die Bergedorfer Zeitung von einer Gedenkfeier im Bundestag. Bis dato waren 285 Opfer gezählt worden. In einem „Aufruf des Senats an alle Hamburger“ ist die Rede von 25 Millionen Mark, die nötig seien, „um die erste Not zu lindern“. Und: „Weit über eine Milliarde Mark ist nötig, um alle Schäden zu decken“. Deshalb ist jeder, „der vom Unglück nicht betroffen wurde“, aufgerufen zu spenden. Von Suchmeldungen nach Vermissten im Fernsehen, Typhus-Impfungen gegen verschlucktes Elbwasser und schweißtreibenden Aufräumarbeiten ist die Rede.

Von einer ergreifenden Trauerfeier mit 100.000 Menschen auf dem Hamburger Rathausmarkt berichtet die Bergedorfer Zeitung groß am 27. Februar. Bundespräsident Heinrich Lübcke hatte in seiner Ansprache „zu einer Hilfe in brüderlicher Gemeinschaft“ aufgerufen. Einige Seiten weiter heißt es „135 Kilometer Deiche zerstört“. Einige Tage darauf war in der Hamburgischen Bürgerschaft verkündet worden, dass ein neuer Deich bis zum Beginn der Herbststürme fertig sein soll. Ein „Bunter Abend“ zugunsten der Geschädigten in der großen neuen Halle von VW-Wiegmann in Bergedorf wird angekündigt. Im März dann ein großer Nachbericht mit einem Bild, auf dem Heinz Höpfner als einer der Hauptinitiatoren 2545,87 Mark an den Bezirksamtsleiter überreicht.

Hamburg nicht um weitere Hilfe gebeten

Das Landgebiet habe schon in den vorangegangenen Jahrhunderten „immer wieder Not und Elend“ erlebt, heißt es in einem Artikel über vorangegangene Katastrophen. Überschrift: „1164 gab es den ersten Deichbruch“. Fazit: Die Vorfahren hatten es noch viel schwerer, schließlich hatten sie keine „heimatgebundenen und festorganisierten Feuerwehren, keine Motorspritze war vorhanden“. Es gab kein THW, keine Hubschrauber und keine Pioniereinheiten der Bundeswehr.

Die Bergedorfer Zeitung berichtet am 27. Februar über die Trauerfeier für die Flutopfer auf dem Hamburger Rathausmarkt. 100.000 Menschen nehmen daran teil.
Die Bergedorfer Zeitung berichtet am 27. Februar über die Trauerfeier für die Flutopfer auf dem Hamburger Rathausmarkt. 100.000 Menschen nehmen daran teil. © Thomas Heyen | Thomas Heyen

Am Sollredder besuchte Bürgermeister Paul Nevermann am 15. März 180 Menschen, die durch die Flut ihr Zuhause verloren hatten und in Wentorf untergebracht worden waren. Wenige Tage darauf ergriffen Hermann Heitmann und Ulrich Vöge, Deichvogt und Ortsamtsleiter der Vier- und Marschlande, vor dem Sonderausschuss Flutkatastrophe der Hamburgischen Bürgerschaft das Wort. „Wir hatten 12 000 Sandsäcke an den Deichen eingelagert, aber heute liegen dort mehr als 100 000“, wird der Deichvogt in dem Artikel zitiert. Man sei in den Vier- und Marschlanden nach dem Ausfall der der Telefonverbindungen „restlos auf uns selbst angewiesen“ gewesen, berichtete der Ortsamtsleiter. Die Vier- und Marschländer wollten Hamburg auch nicht um weitere Hilfe bitten, als sie erfuhren, dass Wilhelmsburg noch schwerer getroffen worden war.

Asphalthut für die gesamte Deichlinie

Von 20 freiwilligen Helfern aus Essen wird Ende März berichtet, später, in der Oster-Ausgabe von vielen weiteren jugendlichen Freiwilligen aus ganz Europa, die beim Wiederaufbau helfen. Ebenso von der Bedeutsamkeit eines zweiten Elbtunnels, der sich damals aber lediglich im „Stadium ‚stadteigener Gedanken‘“ befunden habe. „Die Lehren der großen Flut“ ist der Titel eines Textes, in dem der sogenannte Asphalthut als notwendig beschrieben wird. Er soll ein Abbröckeln der oberen Deichkante im Falle einer Sturmflut verhindern und auf weit größeren Deichabschnitten als bisher verwendet werden. Ende November berichtete die Bergedorfer Zeitung dann über die Asphaltierung des Moorfleeter Elbdeichs. „Nach diesem Verfahren sollen alle Deiche von Moorfleet bis Altengamme hergerichtet werden“, steht in dem Text. Zum Jahresende erscheint dann ein Rückblick auf „Tage des Schreckens – Monate des Aufbaus“.

Doch es gibt auch viel anderes Berichtenswertes: Auf einer ganzen Seite wird die Ausstellung „Camping, Wochenend und Wassersport“ in Planten un Blomen vorgestellt – mit vielen Fotografien von neuen Wohnwagenmodellen und Camping-Zubehör. „Vom Komiker zum Komödianten“ lautet die Überschrift eines Artikels anlässlich des 60. Geburtstags des Schauspielers Heinz Rühmann. Auf einer Sonderseite empfehlen Schneidermeisterinnen die neuen Frühjahrs- und Sommermoden: „Röcke bleiben kurz – betonte Taille – freier Rücken“. Häufiger werden Auftritte von Weltstars in Hamburg angekündigt, etwa der von Igor Strawinsky gemeinsam mit dem New-York-City-Ballett, am 24. Juni, eine Woche nach dem 80. Geburtstag des Komponisten, in der Staatsoper. Bereits am 16. März sollte Opernsängerin Maria Callas in der Musikhalle auftreten. Einige Wochen darauf war dort (mal wieder) Stargeiger Yehudi Menuhin zu erleben.

Elizabeth Taylor und Richard Burton lernen sich besser kennen

In Seattle wurde die 180 Meter hohe Space Needle anlässlich einer Weltausstellung eingeweiht. „Warum nicht einmal nach Teneriffa?“ heißt es in der Rubrik „Reisen und Wandern“. Die Leser erfahren von einer „ganzjährigen Badesaison“ und „ausgeglichenem Klima“. Fußballbundestrainer Sepp Herberger wird anlässlich seines 65. Geburtstages mit einem Porträt gewürdigt. Ein Foto von Elizabeth Taylor und Richard Burton am Set des Films „Cleopatra“ deutet auf eine sich anbahnende Liebe hin. Tatsächlich heiratete das Schauspielerpaar 1964 – und 1975. Am 14. Mai wird der 1. FC Köln auf dem Titel als Deutscher Fußballmeister gefeiert.

Mit Sandsäcken werden Häuser am Spadenländer Elbdeich geschützt.
Mit Sandsäcken werden Häuser am Spadenländer Elbdeich geschützt. © Archiv Bernd Jacubczik | Archiv Bernd Jacubczik

„Waffenstillstand in Algerien“ titelt die Bergedorfer Zeitung am 19. März. Immer wieder hatte sie im Laufe der Monate auf der Titelseite über den Konflikt zwischen Frankreich und der rechten Terrororganisation OAS (Organisation de l’armée secrète, deutsch: Organisation der geheimen Armee) berichtet. Am 11. April siegte die deutsche Fußballnationalmannschaft in Hamburg 3:0 gegen Uruguay – erfolgreicher Abschluss der Vorbereitungen auf die bevorstehende Fußballweltmeisterschaft in Chile.

Deutsche Elf scheidet bei der Fußball-WM in Chile aus

Mehrere wichtige Wahlen gab es 1962. Im März verbesserten CDU, SPD und FDP in Schleswig-Holstein ihre Positionen. Nach der Landtagswahl Ende September konnte die CDU stärkste Partei im Kieler Landtag bleiben. Die SPD errang wiederum bei der Landtagswahl in Hessen am 11. November die absolute Mehrheit. Bei den Landtagswahlen in Bayern wenige Tage später erzielte wiederum die CSU die absolute Mehrheit.

„Was halten Sie vom Klima?“, werden die Leser gefragt. Doch es geht nicht um die Belastung der Atmosphäre durch Kohlenstoffdioxid, sondern um Wetterfühligkeit. Die Einweihung des neuen Großmarktes Hamburg wird im Juni auf mehreren Seiten angekündigt und abgefeiert. Schlechte Nachrichten dann am 12. Juni: Die deutsche Fußballelf ist bei der WM ausgeschieden, unterlag 1:0 gegen Jugoslawien. Wie ein Atombunker der Marke Eigenbau aussieht, erfahren die Leser am 13. Juni. Auf einem Foto sind ein Mann und zwei Frauen abgebildet, die zwischen Wassertank, gebrauchsfertigen Lebensmitteln, Matratzen, Notlichten, Medikamenten, Eimern und Kofferradio sitzen. „Das bringe man alles ‚rechtzeitig‘ in den Bunker, denn, wenn die Bombe fällt, ist dazu keine Zeit mehr“, heißt es unter dem Bild. „Junge Leute im Taumel des Twist“: Die Jugend tanzt in den Lokalen auf der Reeperbahn den „Schlangentanz“.

Die Ausgabe vom 6. August berichtet vom Tod des Sexsymbols Marilyn Monroe.
Die Ausgabe vom 6. August berichtet vom Tod des Sexsymbols Marilyn Monroe. © Thomas Heyen | Thomas Heyen

Marilyn Monroe ist tot

Hammer-Nachricht am 6. August: Die US-Schauspielerin Marilyn Monroe ist am Vortag an einer Überdosis Schlaftabletten gestorben. Der Artikel erscheint auf der letzten Seite („Blick in die Welt“). Auf der Titelseite wird über den Tod des Sexsymbols kein Wort verloren. Im August wird auf einer Sonderseite auf „Ein Jahr Berliner Mauer“ zurückgeblickt. Der Mauerbau, Fluchtversuche und Tote an der neuen Grenze waren im Laufe des Jahres immer wieder Thema in der Bergedorfer Zeitung. Ein großes Thema ist auch der Staatsbesuch von Frankreichs Präsident Charles de Gaulle in Hamburg am 7. September. „Etwaige Bombenleger sind unerwünscht“, schreibt der zuständige Redakteur. Sicherheitshalber wurde eine Mercedes-Limousine eigens für den Besuch des Franzosen in einer Hamburger Werkstatt „in einen unsichtbaren Panzerwagen umgebaut“. Kosten (die wohl der Steuerzahler zu tragen hatte): 30.000 Mark.

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Am 12. September dann die nächste ganz große Nachricht: „Moskau droht den USA mit heißem Krieg um Kuba“. Mit der Konfrontation, die als Kubakrise in die Geschichte einging, erreichte der kalte Krieg eine neue Dimension. Die Gefahr einer direkten militärischen Konfrontation und eines möglichen Atomkriegs war vor allem in der 13-tägigen Schlussphase der Krise im Oktober hoch. „Weltweite Alarmbereitschaft“ titelte die Bergedorfer Zeitung in roten Lettern am 23. Oktober. Die Konfrontation hatte sich entwickelt, nachdem die Russen in Folge des nuklearen Wettrüstens Nuklearwaffen auf der karibischen Insel aufgestellt hatten. Kuba ist vom amerikanischen Festland nur 180 Kilometer entfernt.

Helmut Schmidt besucht Bergedorfer Bezirksversammlung

72.000 Fußballfreunde hatten am 21. Oktober im Volksparkstadion viel Spaß, verwandelten es in einen „Vulkan“. So beschrieb es jedenfalls der Sportreporter der Bergedorfer Zeitung. Der HSV spielte an dem Tag gegen den FC Santos, als Gewinner des Weltcups (heute Weltpokal) die damals beste Vereinsmannschaft der Welt. Uwe Seeler gegen Coutinho und den damals 19-jährigen Pelé. Das Spiel in dem Hexenkessel endete 3:3 (2:1).

„Weltweite Alarmbereitschaft“ titelt die Bergedorfer Zeitung am 23. Oktober
„Weltweite Alarmbereitschaft“ titelt die Bergedorfer Zeitung am 23. Oktober © Thomas Heyen | Thomas Heyen

Doch auch im Erscheinungsgebiet tut sich eine Menge: Die Planungen für das 48 Hektar große Neubaugebiet Krabbenkamp zwischen Reinbek und Aumühle schreiten voran, wird am 14. März berichtet. Die Bewohner der Ernst-Mantius-Straße können aufatmen: „Nur noch wenige Tage Lärm“ verspricht ein Artikel über das bevorstehende Ende der Rammarbeiten auf dem Gelände der neuen Bergedorfer Schwimmhalle. Helmut Schmidt, Senator der neuen Innenbehörde, besuchte die Bergedorfer Bezirksversammlung, um für Wilhelm Lindemann als neuen Bezirksamtsleiter zu werben. Ende Juni werden groß die Feierlichkeiten zum 800-jährigen Bestehen Bergedorfs angekündigt. Und: Richtspruch für das neue, siebengeschossige Bürohaus der Firma Glunz am Mohnhof. Auch in Lohbrügge-Nord wird fleißig gebaut. Dort entstehen neue Wohnhäuser für Zehntausende. Eifrig wird auch an der Planung eines neuen Gemeindehauses mit Pastorat in Curslack gearbeitet.

Zwei Zeitungsseiten für die Reinbeker Feuerwehr

„Bergedorfs neuer Friedhof wächst um das Dreifache“, heißt es in der Bergedorfer Zeitung vom 18. April. Anfang Juli ist ein fast 50 Meter hoher Bohrturm in Kirchwerder abgebildet. Die Vierlande sind das zweitgrößte Erdölfördergebiet in Norddeutschland. Am 22. Juli weihten die Ochsenwerder Schützen ihren neuen Schießstand ein. Er ist noch heute in Betrieb. Der Freiwilligen Feuerwehr Reinbek werden am 1. September zwei ganze Seiten gewidmet – „75 Jahre Kampf gegen Feuer und Not“ waren der Grund.